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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Die französische Malerei seit 1848: mit Berücksichtigung des Salons von 1866[2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0053

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Die französische Malerei seit 1848.

muthige Welt einlassen; von ihr läßt sich der eigene Reiz derselben weniger fassen, weil
hier die fortwährende Zersetzung, in der die Gesittung begriffen ist, der tolle Aufwand
und Luxus, der rastlose Wechsel des Glücks jede feste Form auflösen und eine malerische
Erscheinung des Lebens vollends unmöglich machen.
Allein auch die Schäferidylle der Boucher, Lancret, Pater und Fragonard, das Ge-
wand also, worein das 18. Jahrhundert dieses erotische Dasein kleidete, ist nun nicht mehr
die passende Form. Selbstbewußt steht die Zeit der Sinnlichkeit gegenüber und erlaubt
ihr nicht mit lockendem Bein aus der aufgebauschten Seidenhülle naiv lüstern hervorzu-
blicken. Sie spielt und tändelt nicht mehr, sondern in monumentaler Nacktheit will sie die
weiblichen Reize jetzt vor sich Haben. Im Gefühl, der engen Schranken des vom Christen-
thum eingeführten Anstandes endlich ledig zu sein, und stolz aus ihr künstlerisches Heiden-
thum will sie die Schönheit des menschlichen Körpers in unverhüllter Freiheit schauen.
Doch zugleich begehrt sie nach dem warmen Schimmer des Fleisches und jenem berückenden
Ausdruck sinnlicher Anmuth, wodurch nun das Weib die gesellschaftliche Welt beherrscht.
Endlich spielt in diese noch immer aus das Ideal sich berufende Anschauung auch der
realistische Sinn des Zeitalters: nicht die Göttin, an der alles bloß Irdische getilgt und
die Gluth des Lebens in dem dünnen Aether reiner Schönheit abgekühlt ist, will der Maler
auf die Leinwand zaubern, sondern die pulsirende Gestalt in natürlicher Fülle und Be-
wegung und mit dem holden Zug des liebesfähigen Weibes. Oft mögen in diesen Aphro-
diten und Bacchantinnen die Schönen noch erkennbar sein, denen es pikant schien, auch
einmal, ohne Krinoline und ohne die neuesten Moden von Longchamp, sich im Kostüm der
längst verlorenen und vergessenen Unschuld bewundern zu lassen. Diese Göttinnen, sie Haben
„genossen das irdische Glück" und dehnen die wollüstigen Glieder in der träumenden Er-
innerung an die letzten süßen Stunden. Eine solche Kunst taucht die antike Mythe in die
heiße Lust der sinnlichen Gegenwart und streift ihr mit unreinen Händen die Keuschheit des
unberührten Leibes ab; durch die lockende Nähe der ganz individuellen Gestalt reizt sie nur
die Phantasie, ohne zugleich die Begierde durch die rein ästhetische Befriedigung wieder
auszulöschen. Darin unterscheidet sie sich wesentlich von der Malerei der Renaissance.
Auch diese zog die mythischen Götter aus ihrem Olymp in die warme Erscheinung des
unmittelbaren Lebens herab, tilgte aber im Entstehen das Verlangen der Sinne durch die
selbständige künstlerische Schönheit.
Die Künstler, welche hierher zählen, bilden die zweite der oben erwähnten Gruppen.
Sie haben auch bei uns Interesse erregt, namentlich durch ihre Aphroditen aus der Aus-
stellung von 1863, in der diese sinnlich ideale Malerei zu ihrem Höhepunkte kam. Voran
sind Paul Baudry und Alex. Cabanel zu neunen. Baudry ist wohl von Allen das
bedeutendste Talent und der Ersten Einer, der sich von den akademischen Stilbestrebungen
der römischen Schule lossagte, um die ideale Formenschönheit an der Unmittelbarkeit der
natürlichen Erscheinung zu erwärmen. Er ist auch in der Zeichnung und Modellirung
ziemlich naturalistisch und geht keineswegs auf eine klassische Durchbildung der Form aus;
nicht selten sogar spielt diese bei ihm in's Gemeine. Dagegen haben seine koketten und
sinnlich Holden Gestalten koloristischen Reiz sowohl durch die tonige Kraft der Farbe als
die harmonische Stimmung, worin sie mit ihrer Umgebung stehen. Dazu lassen sie, in Be-
wegung und Ausdruck von entgegenkommender Anmuth, unter dem pulsirenden Fleisch einen
schelmischen Sinn und ein glühend erregtes Herz ahnen. Gewiß, diese Nacktheit ist nicht
ohne den Beigeschmack moderner Eleganz; aber sie hat den gewinnenden Zug des Lebens
und insofern ächt malerischen Werth, als sie wirkliches Fleisch ist und nicht angemalter
Stein noch gefärbte Baumwolle. Die ersten Bilder des Künstlers, die Fortuna mit dem
 
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