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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Springer, Anton: Hans Holbein und sein neuester Biograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0092

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Hans Holbein und sein neuester Biograph.

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das sind Dinge die Woltmann im zweiten Bande seines Werkes gewiß ausführlich und zutreffend
erörtern wird. Wir wenden uns zur Beantwortung der Frage, zu welcher Zeit und anf welchem
Wege sich bei Holbein die Nenaissancerichtnng geltend machte.
Bereits in Augsburg *) zeigt Holbein die Wahlverwandtschaft mit den großen Italienern.
Oder hat er bereits in so früher Zeit (1515 — 1517) ihre Vorbilder kennen gelernt? Woltmann
nennt mit Reckt als „die Krone alles desfen, was Holbein in Augsburg geschaffen hat, überhaupt
als eines der vollendetsten von allen Werken, die wir von ihm besitzen", das Martyrium des h.
Sebastian. „Man stelle neben die heilige Elisabeth (das rechte Flügelbild) Alles, was bis dahin
die deutsche Kunst hervorgebracht und Allem wird diese eine Gestalt durch reine Schönheit voran-
stehen. Hier tritt der seltene Fall ein, daß man an ein deutsches Werk den allgemeinsten Maßstab
der Schönheitsgesetze legen kann. Nicht blos relativ, mit Rücksicht aus die Schranken, welche der
vaterländischen Kunst gesetzt sind, nein, absolut schön ist diese Figur". Und vom H. Sebastian
sagt er: „Durch die Lage der Arme, die Wendung des ganzen Körpers kommt eine Stellung heraus,
die an einen ruhenden Apollon oder Bacchus aus der Plastik des Alterthums erinnert". „Die Rechte
nur etwas tiefer noch, nur aus das Haupt selbst gestützt, und der linke Unterarm auf deu Stamm
gelehnt, so würden wir die hellenische Statue vor uns haben. Kann das eine bloß zufällige Ueber-
einstimmung sein ?"
Vielleicht läßt sich die Spur, wie Holbein zu der in der That auffälligen Bildung des
Sebastian-Torso kam, noch verfolgen. Die Eremitage in S. Petersburg besitzt einen H. Sebastian
von Lionardo da Vinci, ein erst seit kurzem allgemein bekannt gewordenes Werk des Meisters. Es
befand sich im Anfänge dieses Jahrhnnderts in Turin, wanderte dann durck die Hände verschiedener
Kunsthändler, bis es vor einigen Jahren in Paris wieder auftauckte nnd 1860 für 60,000 Frcs.
an den Kaiser von Rußland verkauft wurde. Es ist kein Devotionsbild. Unter der Maske des
Heiligen birgt sich ein Galan, den Liebespfeile verwundet haben und welcher seine Standhaftigkeit
im Ertragen von Liebesschmerzen der wahrscheinlich spröden Geliebten anpreist. Huam lidens ob
tui umorem ckuloes M6ulo8 xatinr, memento heißt es auf der Schrifttafel, die an einem Zweige
hängt. Auf dieselbe weist der H. Sebastian hin, der übrigens nicht mit Stricken, sondern mit
schwarzrothen Favenrs an den Baum gefesselt erscheint. Mit dieser galanten Maskerade des
Heiligen haben wir es hier nicht weiter zu thuu, wer aber die Lionardo'sche Gestalt, vor allem
die Haltung des rechten Oberarnis genauer betrachtet, wird auch von der Aehnlichkeit mit der
Holbein'schen Figur sich getroffen fühlen. Lionardo hat diese Stellung nicht erfunden. Unter
den Handzeichnnngen, welche das Louvremufenm aus der Sammlung Vallardi's erworben hat,
befindet sich eine Röthelstudie Lionardo's nack der Antike: der Faun mit dem Panther. Sie
ist offenbar das Vorbild für seinen H. Sebastian, sie zeigt aber die Aehnlichkeit mit der
Holbein'schen Figur in noch höherem Grade. Die Wendung des Oberkörpers, die Neigung
des Kopfes (nur nach links, statt wie bei Holbein nach rechts) trifft da wie dort zu **). Wir
wollen keine weiteren Schlüffe ziehen, da alle Handhaben, für diese Zeit den Verkehr Holbein's mit
Lionardo zu belegen, ermangeln. Doch glaubten wir, die merkwürdige Analogie nicht stillschweigend
übergehen zu dürfen. Woltmann nimmt einen direkten Einfluß Lionardo's auf Holbein erst in einer-
späteren Epoche an und setzt eine Reise Holbein's von Basel nach Mailand muthmaßlich in das

*) Die Aufzählung der Holbeinschen Werke beginnt Woltmann mit den bekannten Porträtskizzen. Es
folgt dann der Flügelaltar vom Jahre 1512 und die Madonna von Ragaz. Von dem einen Bilde des Flügel-
altars: „S. Anna selb dritt" heißt es, daß Holbein den Vorwurf mit „überraschender Originalität" angreife.
„Er malt Christum, wie er gehen lernt". Schon Förster (deutsche Kunstgesch. II, 225) preist die „Neuheit" des
Gedankeus. Ein zu Calcar bewahrtes Relief, wahrscheinlich aus dem Schlüsse des 15. Jahrh., zeigt die gleiche
Situation. Derselbe Gedanke klingt in einem Relief in der Marburger Elisabethkirche an. Die Bilder der Hei-
ligen Sippe Christi sind nicht selten, auf ihnen das Christuskind regelmäßig zwischen Mutter und Großmutter
gestellt. Zu den Sippenbildern scheint uns auch die „Anna selb dritt" zu gehören, in diesem Falle wäre Holbein
dann nicht gerade der kecke Neuerer, wofür ihn namentlich Förster ausgiebt.

In der O-Etts ä68 beaux art8 XII, 65 sind Lionardo's Bild und Röthelzeichnung abgebildet. Waagen
(Gemäldesammlung in der k. Eremitage S. 55) schreibt das Bild Bernardino Luini zu, bemerkt aber, daß es im
Tone von den übrigen Gemälden Luini's abweiche.
 
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