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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Springer, Anton: Hans Holbein und sein neuester Biograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0093

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Hans Holbein und sein neuester Biograph.

Jahr 1519. Den Beweis dafür findet er in dem auf Holz gemalten „Nachtmahle" im Baseler
Museum, dessen Komposition jener Lionardo's ähnlich ist. Nach unserer Ansicht ist dieselbe doch
nicht so schlagend, daß wir unbedingt annehmen müßten, Holbein habe das Freskobild in 8. Nuriu
äslls Arams persönlich geschaut. Ueber die Anklänge an Vinci in dem Lissaboner „Brunnen des
Lebens", das wir nur aus der flüchtigen Nachbildung bei Förster kennen, erlauben wir uns kein
Nrtheil. Doch selbst auf dem schablonenmäßig gearbeiteten Stiche bei Förster legen die Ornamente
der Architektur im Hintergründe Zeugniß ab für die Richtigkeit der Woltmann'schen Behauptung,
daß Holbein die italienifche Kunst in der Lombardei studirt habe. Diese Pilasterverzierungen sind
nemlich nicht blos allgemein im Renaissancestile gehalten, sondern verrathen eine deutliche Familien-
ähnlichkeit mit lombardischen Renaissancewerken. An die Certosa bei Pavia, wie auch der Verfasser
hervorhebt, an die Dekoration der Bauten in Brescia (8. Nariu äsi wirusoli) wird man unmittelbar
im Angesicht des Holbein'schen Prachtbaues erinnert. Solche Aehnlichkeiten erfindet man nicht,
folche Anklänge gehen nothwendig aus der Eriuueruug an Selbstgefchantes Hervor.
Wer Woltmann's Buch in die Hand nimmt, und wir wünschen, daß recht viele Hände es thun
möchten, wird natürlich mit besonderer Spannung sein Nrtheil über die Dresdener Madonna, über
ihr Verhältniß zum Darmstädter Exemplare und über die Bedeutung des Kindes auf dem Arme der
Madonna, ob es das Christuskind oder ein krankes oder wohl gar verstorbenes Knäblein des Bürger-
meisters Meyer vorstelle, erwarten. In Nebereiustimmung mit Zahn hält auch Woltmann das
Darmstädter Exemplar für das ältere Originalbild, die berühmte Perle der Dresdener Galerie für
eine spätere, nur theilweise vom Meister selbst geschaffene Wiederholung desselben. Au diesem Ur-
theile wird sich nichts mäkeln lassen, wenngleich für den Dresdener Kunstfreund nach wie vor die
größere Schönheit des Dresdener Bildes ein Glaubensartikel bleiben wird. Indem Woltmann aber
von dem Darmstädter Exemplare ausgeht, hat er sich auch schon gegen die landläufige Hypothese,
das Kind im Arme der Madonna sei nicht das Christuskind, dieses wandere unter den Gliedern der
Meyer'schen Familie herum oder sei überhaupt auf dem Bilde gar nicht zu finden, entsckieden.
Denn, wie er ganz richtig bemerkt, wäre das allgemeiner bekannte Exemplar das Darmstädter und
nicht das Dresdener gewesen, so hätte man niemals von dem „kränklichen" Aussehen des Christus-
kindes gesprochen und daranf die sentimentaleu Vorstellungen von einem Austausch eines gesunden
nnd kranken Knäbleins u. s. w. gebaut. Die Literatur über das wirklicke oder vermeintliche Christus-
kind droht in bedenklicher Weise sick zu vermehren. Zu Schäfer, Jakobi, Mrs. Jameson ist seit der
Publikation des Woltmannschen Buches uoch Feckner Hinzugekommen. Im Archive für die
Zeichueudeu Künste (XII, 1.) liefert Feckner eine „Vorbesprechung über die Deutungsfrage der
Holbein'schen Madonna", in welcher er ein ausführliches Werk darüber in Aussicht stellt, vorläufig
aber sckou das Resultat seiner Untersuchungen mittheilt: dasselbe Kind, welches wir krank und siech
oben im Arme der Madonna erblicken, tritt uns, durck die Gnade der Madonna geheilt, unten im
Kreise seiner Geschwister frisch und gesund entgegen. Die Autorität eines anonymen katholischen
Geistlichen wird von Fechner allen Zweiflern entgegengehalten, welche die Möglichkeit einer Ver-
wechslung des Christnskindes mit einem kranken Knäblein bestreiten wollten. Der katholische Geist-
liche erinnert sich aber nur auf Votivbilderu zuweilen an der Stelle des Christuskindes ein verstör-
benes Kind gesehen zu habeu; daß auch kranke Kinder auf den Arm der Madonna gehoben worden,
davon weiß er nichts. Die gehoffte Bestätigung der erst feit Tieck aufgetauchten Ansicht durch die
Tradition fällt demnach fort. Man mnß wieder auf das kränkliche Aussehen des angeblichen
Christuskindes, die eigenthümliche Handbewegung desselben zurückgehen, um Grüude für die Deutung
desselben als des jüngsten Familiengliedes zu finden. Es ist richtig, daß das Christuskind den Segen
nicht in der typischen Weise spendet; aber ans der andern Seite ist auch die Anuahme überaus ge-
waltsam, daß es den kranken Arm ansstrecke, den wir an seinem gesunden Gegenbilde unten bereits
geheilt wahrnehmen. Wäre in der unteren Gruppe der jüngste Knabe in der üblichen Kindertrackt
dargestellt, schwerlich hätte man in dem oberen Kinde etwas anderes als das Christuskind gesucht
und gefunden. Die ideale Nacktheit des ersteren verleitete zur Grübelei und ließ zwischen den zwei
nackten Kinderfiguren noch einen besonderen Zusammenhang ahnen. In der altdeutschen Malerei
ist auch dieses Herausheben einer einzelnen Gestalt aus der realen Umgebung selten. Nun belehrt
 
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