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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Teichlein, Anton: Betrachtungen über Dr. H. Riegel's Buch: "Cornelius, der Meister der deutschen Malerei"[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0178
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IZ6 Betrachtungen über Vr. H. Riegel's Buch: „Cornelius, der Meister der deutschen Malerei".

blos eine Vielheit von Bildern mit gleicher Liebe durchzudenken, nein, einen weitläufigen Cyklns
durchzuarbeiten nnd auf das erschöpfendste als ein streng einheitliches Ganzes ideell und räumlich
auszugestalten. O wie weise waren doch jene alten „Gaukler", welche diese Klippe mit Heiterkeit
zu umgeheu wußten! Und diese Weisheit ist ihnen nicht einmal schwer geworden! Sie durften
mit heiterer Sorglosigkeit, mit schöner Zuversicht dem guten Genius ihres Zeitalters, dem alter-
thumssreudigeu Geiste des Cinquecento und seinem weithin verbreiteten epidemischen Geschmack
für malerische Ausschmückung architektonischer Räume vertrauen, und sie thaten es — nicht ohne
Sinn und Verstand — jedoch ohne Grübelei und in bestem Humor. Da konnte es ihnen denn frei-
lich gelingen, sich die volle Frische der Phantasie sür das eigentlich Bildnerische am Bildwerke zu be-
wahren und jenen vollen Schein spielender Leichtigkeit im Schassen lebensvoller Gestaltungen zu er-
reicheu, hinter welchem nichts Anderes verborgen liegt, als der tiesste Ernst des streng künstlerischen
Willens, der freudig seiu Alles, feiue ganze Geisteskraft an die Erfüllung feiner Lebensaufgabe,
au die Erfcheinuug eurer idealen Welt fetzt, in welcher die ideelle, welche allerdings den An-
stoß zu dieseu Schöpfungen gegeben hat, nur wie in keufcher Verhüllung im Stillen fortwirkt. Die
Glücklichen! Sie haben das goldene Zeitalter der Kunst erlebt, da der Gedanke sich noch begnügte,
seine Wahrheiten ohne vorlantes Selbstbewußtsein irn schweigsamen und dennoch offenen Geheimniß
der Schönheit zu offenbaren. Ja, diese schönen Zeiten jener „früheren Heiterkeit" sind freilich
dahin!
Da tritt nnn 300 Jahre später ein tiefer dentfcher Geist in eine Zeit, die 300 mal weniger
Kunstberuf, bei seinem Austreten einen grundverdorbenen, und späterhin nur sporadisch einigen ge-
länterten Geschmack hat, und diesem einsamen Manne, weil er ein großes Genie ist, sollten wir zu-
muthen, daß er Alles leiste, was das Zeitalter der „Wiedergeburt" geleistet hat und noch darüber
hinaus eiuen allgemeiu künstlerischen Forschritt mache? Bedenken wir die Sache doch genau! —
Seiuem uatioualeu uud Zeitcharakter entsprechend hat Cornelius bekanntlich den Gedanken zum
Leitstern seiner Kunst gewählt. Was ist aber die Wendung des Malers znm Dichterischen und Phi-
losophischen anderes als eine halbe Abwendung vom Bildnerischen? Der Hinweis auf die formelleu
Vorzüge seiner Komposition kann uns hierin keines Bessern belehren. Denn diese neue Weudung
der Phautasie ist ebeu darum ein so zweifelhafter Fortschritt, weil sie, genan beseheu, unter dem
Mantel bildnerisch strengeren Verfahrens nach einer Seite hin (nämlich hinsichtlich der unver-
gleichlichen Naunitheilnng, dieser Frucht der strenger einheitlichen Konception) im Grnnde doch nur
in die Malerei, diese ausdrückliche Kuust des „Nebeueiuander" mit Vorliebe eiu „Nachein-
ander", d. H. die Bedentnng der sinnreichen Koordination einer Anfeinanderfolge von Ideen
einführt und gerade dies zur Hauptsache des ganzeu Kuuststrebens macht. Damit mag denu der
Dichter immer höher uud höher steigen und seine deutschen Zeitgenossen mögen immer lautere und
lautere Bewunderung ihm zujubeln, — die Muse der klassischeu Kunst aber sieht dem nenen Titanen
nicht ohne Besorgnis; zn. Je strenger einheitlich der Cyklus dnrchgearbeitet wird, desto weniger
wird sowohl der schaffende Künstler als der aus seine Schöpsung eingehende Beschauer Lust und
Ruhe, Sammluug uud Hingebung genug sür das einzelne Bild in seinem geschlossenen Rahmen
haben. Der Nahmen selbst verzweigt sich weiter und weiter und zieht uns nach von Gedanken zu
Gedaukeu. Die Phantasie des Schöpfers ist absorbirt von der Kombination des Ganzen, sie hat
nun einmal diese Richtung eingeschlagen und verfolgt sie mit leidenschaftlicher Begeisterung — und
woher soll er noch Muße uud Ausdauer für alles Andere nehmen, was erst den Bildner, den
Maler ausmacht. Wir aber, sofern wir eingehende Beschauer und Menschen sein wollen, denen
Herr Vr. Riegel nicht jede Vorbedingung des Verständnisses absprechen müßte, wir sollen erst recht
nicht blos am einzelnen Bilde oder einer Mehrheit von vortrefflichen Kunstwerken haften und uns
ihrer Schönheit freuen, wir sollen überhaupt nicht mehr blos sehen was zu sehen ist, wir sollen
auch noch und zwar vor Allem die Tiefe des Gedankenganges bewundern, den uns allerdings die
fchöne klare architektonische Gliederung höchst annehmlich und zugänglich macht, aber im Grunde
doch nur vermutheu läßt! Deun eigentlich ist der dichterischeOrganismus, den wir jetzt als das
eigentlich Klassische solcher Werke anerkennen sollen, doch gar nicht zu sehen, sondern nur so zu
sagen zwischen den Zeilen seiner räumlichen Erscheinungsformen heraus zu lesen. Daß nun
 
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