Theodor Kalide's Bacchantin auf dem Panther.
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sahen, einen sehr Hervorragenden Rang ein. Unabhängig von Rietschel's Lessing, und der
Zeit nach auch wohl noch vor demselben, wagte Kalide es hier, sich von der conventionell
gebotenen Mauteldrapirung sreizumachen und seines Helden Gestalt frei und schlicht Hinzu-
stellen in der knappen charakteristischen Tracht des Bergbeamten, die Hacke in der Hand,
den Grubenplan über den Schenkel gebreitet, ein Gebilde von markiger Kraft und jenem
großen Zuge in der Bewegung und den Linien, welcher Allem, was er schuf, unverlierbar
war. Es steckte in Kalide etwas von der Natur jener trotzigen leidenschaftlichen Meister
der italienischen Renaissance, denen er eine so begeisterte Berehrung widmete: die oft kindliche
Naivetät des Sinnes und die feurige Verwegenheit der Phantasie. Die Redenstatue, im
Modell 1851 vollendet, wurde 1853 bei Königshütte aufgestellt. Gleichzeitig mit dem
Abschluß der ersteren, erhielt nach langer, mehrfach unterbrochener Arbeit auch die Marmor-
gruppe der Bacchantin auf dem Panther den ihrigen. Als er sie damals zur ersten großen
Weltausstellung in London sendete, erntete er freilich nicht den gehofften Erfolg und den
Lohn, den er sich von einem solchen Werk versprechen zu können geglaubt Hatte. Das
euglische prüde Anstandsgefühl fand sich fo sehr durch die Stellung dieses üppigen
Frauenleibes verletzt, daß man die Gruppe in eine Halbdunkle Seiteugalerie verbannte.
Ganz unbegreiflich ist eine solche Ausnahme freilich keineswegs. Wer mit den Forderungen
des Anstands und der guten Sitten hier herantritt, wird jene kaum vollständiger unbe-
friedigt finden können, als es hier geschieht. Das von Wein und sinnlicher Lust berauschte
junge Weib wälzt seinen blühenden Körper im uugeuirtesten Nebermuth über des Panthers
Rücken hin und wirft ihre schwellenden Glieder höchst unbekümmert um die Gesetze weib-
licher Scheu und Verschämtheit, — freilich auch wohl um die der reinen Schönheit
und Anmuth, hie und da selbst der natürlichen Möglichkeit. Aber auch zugegeben,
daß diese Gliederbewegungen zuweilen nahe an Verrenkung streifen, so vermögen doch die
gerechtesten Bedenken und Einwände nicht uns unempfindlich gegen das unverwüstlich
Große zu machen, das sich auch in dieser so vielfach ausschweifenden Arbeit nicht ver-
leugnet. Diese bacchische Lust schäumt freilich über, aber sie ist das, was sie sein soll,
und sie pulsirt lebendig durch alle Theile des Werkes, des Mädchen- wie des Pantherleibes.
Der ruhig schöne Fluß der Linien ist in ersterem überall unterbrochen; aber der ganze
Marmor hat dafür auch seine steinerne Härte gänzlich abgeworfen und in diesen elastisch
schwellenden Formen, um diese trunken lächelnden Lippen und Augen zuckt wirklich heißes
Leben. So wird man sich diesem Werk gegenüber immer in ungelöstem Widerstreit der
eigenen Empfindungen fühlen. Mit der Auffassnng der fchon so seltsam gewählten Auf-
gabe und mit vielen direkten Unschönheiten sich ganz zu versöhnen, wird immer eben so
unmöglich sein, wie die außerordentliche Genialität, Kraft und Kunst darin zu bestreiten oder
sich ihrer Wirkung zu entziehen. — Im Besitz eines Privatmannes nicht recht an ihrem
Platz, kommt die Gruppe gegenwärtig in Berlin zum Verkauf, und es wäre nur zu wün-
schen, daß sie, als merkwürdiges und bedeutendes Denkmal des Schaffens eines deutschen
Meisters und einer bestimmten Periode in der Geschichte unserer Skulptur in einem öffent-
lichen Museum ihre dauernde Aufstellung fände.
Kalide hat später noch einmal an einer sehr verschiedenen und doch in gewissem Sinne
verwandten Ausgabe seiner künstlerischen Lieblingsneigung genügen wollen, die Thier- und
Menschengestalt in bewegtem Zusammen- oder Aufeinanderwirken zur Gruppe zu verbinden.
In den fünfziger Jahren bildete er die lebensgroße Gruppe des Knaben mit dem Bock.
In der prächtigen, eben fo naturwahren als groß stilisirten Gestalt des letztern bewies er
durchaus seine alte Kraft und Frische. Der am Boden liegende Knabe aber, auf den jener
zuspringend mit den Hörnern einstößt, ging in der Gewaltsamkeit gesuchter Bewegung weit
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sahen, einen sehr Hervorragenden Rang ein. Unabhängig von Rietschel's Lessing, und der
Zeit nach auch wohl noch vor demselben, wagte Kalide es hier, sich von der conventionell
gebotenen Mauteldrapirung sreizumachen und seines Helden Gestalt frei und schlicht Hinzu-
stellen in der knappen charakteristischen Tracht des Bergbeamten, die Hacke in der Hand,
den Grubenplan über den Schenkel gebreitet, ein Gebilde von markiger Kraft und jenem
großen Zuge in der Bewegung und den Linien, welcher Allem, was er schuf, unverlierbar
war. Es steckte in Kalide etwas von der Natur jener trotzigen leidenschaftlichen Meister
der italienischen Renaissance, denen er eine so begeisterte Berehrung widmete: die oft kindliche
Naivetät des Sinnes und die feurige Verwegenheit der Phantasie. Die Redenstatue, im
Modell 1851 vollendet, wurde 1853 bei Königshütte aufgestellt. Gleichzeitig mit dem
Abschluß der ersteren, erhielt nach langer, mehrfach unterbrochener Arbeit auch die Marmor-
gruppe der Bacchantin auf dem Panther den ihrigen. Als er sie damals zur ersten großen
Weltausstellung in London sendete, erntete er freilich nicht den gehofften Erfolg und den
Lohn, den er sich von einem solchen Werk versprechen zu können geglaubt Hatte. Das
euglische prüde Anstandsgefühl fand sich fo sehr durch die Stellung dieses üppigen
Frauenleibes verletzt, daß man die Gruppe in eine Halbdunkle Seiteugalerie verbannte.
Ganz unbegreiflich ist eine solche Ausnahme freilich keineswegs. Wer mit den Forderungen
des Anstands und der guten Sitten hier herantritt, wird jene kaum vollständiger unbe-
friedigt finden können, als es hier geschieht. Das von Wein und sinnlicher Lust berauschte
junge Weib wälzt seinen blühenden Körper im uugeuirtesten Nebermuth über des Panthers
Rücken hin und wirft ihre schwellenden Glieder höchst unbekümmert um die Gesetze weib-
licher Scheu und Verschämtheit, — freilich auch wohl um die der reinen Schönheit
und Anmuth, hie und da selbst der natürlichen Möglichkeit. Aber auch zugegeben,
daß diese Gliederbewegungen zuweilen nahe an Verrenkung streifen, so vermögen doch die
gerechtesten Bedenken und Einwände nicht uns unempfindlich gegen das unverwüstlich
Große zu machen, das sich auch in dieser so vielfach ausschweifenden Arbeit nicht ver-
leugnet. Diese bacchische Lust schäumt freilich über, aber sie ist das, was sie sein soll,
und sie pulsirt lebendig durch alle Theile des Werkes, des Mädchen- wie des Pantherleibes.
Der ruhig schöne Fluß der Linien ist in ersterem überall unterbrochen; aber der ganze
Marmor hat dafür auch seine steinerne Härte gänzlich abgeworfen und in diesen elastisch
schwellenden Formen, um diese trunken lächelnden Lippen und Augen zuckt wirklich heißes
Leben. So wird man sich diesem Werk gegenüber immer in ungelöstem Widerstreit der
eigenen Empfindungen fühlen. Mit der Auffassnng der fchon so seltsam gewählten Auf-
gabe und mit vielen direkten Unschönheiten sich ganz zu versöhnen, wird immer eben so
unmöglich sein, wie die außerordentliche Genialität, Kraft und Kunst darin zu bestreiten oder
sich ihrer Wirkung zu entziehen. — Im Besitz eines Privatmannes nicht recht an ihrem
Platz, kommt die Gruppe gegenwärtig in Berlin zum Verkauf, und es wäre nur zu wün-
schen, daß sie, als merkwürdiges und bedeutendes Denkmal des Schaffens eines deutschen
Meisters und einer bestimmten Periode in der Geschichte unserer Skulptur in einem öffent-
lichen Museum ihre dauernde Aufstellung fände.
Kalide hat später noch einmal an einer sehr verschiedenen und doch in gewissem Sinne
verwandten Ausgabe seiner künstlerischen Lieblingsneigung genügen wollen, die Thier- und
Menschengestalt in bewegtem Zusammen- oder Aufeinanderwirken zur Gruppe zu verbinden.
In den fünfziger Jahren bildete er die lebensgroße Gruppe des Knaben mit dem Bock.
In der prächtigen, eben fo naturwahren als groß stilisirten Gestalt des letztern bewies er
durchaus seine alte Kraft und Frische. Der am Boden liegende Knabe aber, auf den jener
zuspringend mit den Hörnern einstößt, ging in der Gewaltsamkeit gesuchter Bewegung weit
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