Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

DOI article:
Lübke, Wilhelm: [Rezension von: Adolph Braun, Handzeichnungen alter Meister aus der Sammmlung des Louvre]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0254
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
202

Recension.

vorderen linken Ecke der Disputa, in welcher man eben wegen dieser prägnanten Charakteristik ein
Porträt des Bramante vermuthet hat. Endlich ist ein anderes Blatt sehr merkwürdig, weil es
einen ersten Entwurf zur Messe von Bolsena zu enthalten scheint, von welcher Raffael später in
durchgreifendster Weise abgewichen ist. Hier kniet der betende Papst unten an der linken Seite des
Fensterbogens im Vordergründe, und die wunderbare Handlung selbst ist durch eine Schaar von
Engeln, welche den Altar umschweben und den ganzen oberen Raum etwas unruhig aussüllen, in's
Symbolische gezogen, während das Freskobild jene kühne Umgestaltung zeigt, die den Vorfall in
seiner ganzen Wirklichkeit packt und dadurch aus dem äußerlich Symbolischen in's Innerliche,
Psychologische übersetzt, um den Eindruck des Wunders in unvergleichlicher Weise zur schlagendsteu
Anschauung zu bringen. Endlich gehört eine herrliche in Rothstift gezeichnete Karyatide zu den
Sockelfignren der Stanzen.
Aus den Loggien begegnen wir dem Entwurf zu Pharao's Untergang im rothen Meere in
voller Wirkung das Hockdramatifche des Vorganges betonend. Außerdem eine Zeichnung zu dem
Bilde, welches die Brüder Josephs auf dem vorgeblichen Diebstahl des Bechers ertappt dar-
stellt, ein Blatt, das Passavant dem Francesco Penni zuschreibt. In den Cyklns der Farnesina
gehört eine der schönsten Zeichnungen in Rothstift: Psyche, mit dem Salbgefäß vor ihrer
Peinigerin erscheinend. Aus der Transsiguration sind zwei Apostel in nackten Stndienfiguren
vorhanden.
Von andern Kompositionen Raffael's nennen wir zunächst die sogenannten sünf Heiligen, das
bekannte von Marc Anton gestochene Blatt; sodann den hinreißend schönen (in den Konturen durch-
stochenen) Karton zur H. Katharina, jenem köstlichen Bilde der Nationalgalerie zu London, das
noch in die florentinische Epoche des Meisters gehört und in der Behandlung nahe Verwandtschaft
mit der belle Muliniere zeigt. Aus derselben Epoche ein Entwurf zum Porträt der Maddalena
Doni in der Galerie Pitti, von Passavant schon richtig erkannt, ein Bild, welches offenbar unter
dem Einfluß Lionardo's entstanden ist. Sodann eine Madonna, der sogenannten Madonna
Colonna verwandt, jedoch mit freier bewegtem Motiv, namentlich dadurch, daß die jungfräuliche
Mutter das Buch fortgelegt hat und sich ausschließlich der Pflege des Kindes widmet. Eine andre
Madonna, stehend vor dem am Boden liegenden Kinde. Christus und Johannes miteinander
spielend, voll naiver Innigkeit. Unmittelbar nach Raffael's erstem Aufenthalt in Florenz muß die
herrliche Komposition des von den heiligen Franen betrauerten Christusleichnams entstanden sein,
durch den Stich von Agricola und das Facsimile in Woodburn's Lawrence-Galerie bekannt (vergl.
R. Weigel's Handzeichnnngen p. 564 Nr. 6689). Der abseits stehende Johannes ist eine der
wunderbarsten Inspirationen des jugendlichen Rassael, der eben die Schwingen entfaltete, um aus
der Euge der umbrifchen Schule in die freiere Lebensauffassung der florentinischen sich zu erheben.
Das Werk athmet dieselbe Empsindung wie die nur wenig später entstandene Grablegung in der
Galerie Borghese. Ein Vergleich dieser Komposition mit Perugino's Kreuzabnahme vom I. 1.495
ist eben so lehrreich, zeigt eben so klar die Ueberlegenheit des Schülers über den Meister, wie ein
Vergleich des Sposalizio Raffael's mit dem im Museum zu Caen befindlichen Bilde des Perugino.
Endlich ist noch eine zierliche Federzeichnung Raffael's aus feiner ersten Epoche zu erwähnen, der
erste Entwurf zu einem der beiden in die Berliner Galerie gelangten frühen Madonnenbildchen.
Mit Interesse verfolgt man hier die Umgestaltungen, welche der jnnge Meister vorgenommen hat,
um das frisch aus dem Leben geschöpfte Motiv in die Welt der Idealität zu erheben.
Die vierte Mappe enthält 30 Blatt vornehmlich aus den Schulen Oberitaliens. Wir heben
als eine der herrlichsten Zeichnungen Mantegna's die Judith hervor, die das Haupt des Holo-
fernes in den von der Dienerin bereit gehaltenen Sack gleiten läßt. Sodann 6 Zeichnungen von
Tizian, darunter zwei Eremitenköpse in Kreide, mit weißen Lichtern auf grünem Papier, ungemein
grandios und malerisch behandelt; eine Landschaft in zierlicher Federzeichnung, welche in Behand-
lung und Auffassung den Einfluß Dürers erkennen läßt; eine Gruppe der aufschauenden Apostel
zu einer Himmelfahrt Mariä gehörig; ein Urtheil des Paris, kühn mit der Feder hingeschrieben,
endlich einen an eine Wand gelehnten Lanzknecht, breit und frei in Rothstein entworfen. Ein
nobles Frauenporträt von Sebastian del Piombo, im Charakter an das edle Bildniß in der Tri-
 
Annotationen