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Die bildende Kunst auf der Weltausstellung. Von Julius Meyer.
Im geraden Gegensatz zu diesen schwächlichen Ueberresten alter Zeiten stehen einige Modelle
zu wohlfeilen und bequemen Arbeitshäusern, die Frankreich, und ein Schulhaus, das Preußen
ausgestellt hat. Alle Architektur, soweit sie wirklich Kunst ist, ging von einem Kultus aus; sie
Laute dem Gotte sein Haus und sand für die anbetende Verehrung des Menschen den räumlichen
Ausdruck. Allein was von jeher gerade die Kirche am wenigsten kümmerte, die Wohlfahrt und die
Bildung der arbeitenden Klaffen, gerade das läßt die moderne Welt besonders sich angelegen sein.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sie hierbei zunächst an das Nothwendige denkt und vorerst
weder die Mittel noch die Fähigkeit hat, dieses Bedürfniß in eine (wenn auch einfache) künstlerische
Form zu erheben. Schmucklos und kahl, der nackte Ausdruck des eben erst geretteten nackten Daseins,
umschließen diese Mauern die simpelsten Räume; aber aus der gemeinen Noth und Sorge des
Leibes wie des Geistes wollen sie das Volk erlösen zu dem freien Bewußtsein einer gesicherten Existenz.
Denke dir ein Geschlecht, freundlicher Leser, das bis in seine untersten Klassen das Ideal Verwirk-
licht hat, welches diese Musterhäuser andeuten wollen, — und du wirst die Kunst von selber sich ein-
stellen sehen, als die aufgeschlossene Blüthe eines aus innerem Mark genährten und gereiften Lebens.
Doch auch die heutige Welt will das Geschmeide der Kunst nicht missen. Von ihren eigenen
Versuchen in Malerei und Plastik nicht zu reden, ist sie unermüdlich, die Formen der Vergangenheit
tausendfältig zu wiederholen. Die Ausstellung ist merkwürdig reich an den trefflichen Proben der
vervielfältigenden Technik im verschiedensten Material, von den Terracotten und der Steinpappe
bis zum edelsten Metall. Ein wahrer Wetteifer hat sich entspannen, die überlieferten Werke der
großen Kunstepochen, vom Standbild bis zum kleinsten Hausgeräthe, in allen möglichen Größen und
Stoffen zum Gemeingut aller Klassen zu machen. Erst jetzt wieder haben die Engländer eine
neue, nach den ausgestellten Proben treffliche Reproduktionsweise gefunden, womit sie die Schätze
des Kensington-Museums in die weitesten Kreise verbreiten wollen. Aber auch die freie Nachbildung
in den Stilen der besten Zeiten ist nun mehr als je Aufgabe der Kunstindustrie geworden, und die
Leistungen auf diesen Gebieten gehören zu den interessantesten der Ausstellung.
Von geringer Bedeutung sind im Grunde, wie schon bemerkt, die im Park aufgeführten
Baulichkeiten. Die Architektur ist keines jener Dinge, das sich wie ein Kästchen herumtragen und
sich irgendwo für ein halbes Jahr ein Plätzchen anweisen ließe. Sobald sie in Massen auftreten
will und doch nicht die Aufgabe hat, als dauerndes Denkmal einem großen Zwecke des menschlichen
Lebens seine Stätte zu gründen, kann sie in gemeinem oder nachgemachtem Material mit ihren
Formen nur spielen. Zudem sieht sich Europa noch immer suchend und rathlos nach der Bauweise
um, worin es eigenthümlich, treffend und ohne Besinnen, auch für das Bedürfniß des Augenblicks,
seine Räunie gestalten könnte. Denn soweit hat doch auf dem Marsselde der gute Genius des
Zeitalters über dessen Kobolde und Gespenster den Sieg davongetragen, daß diese es nicht gewagt
Haben, mit Versuchen eines „neuen Stils" einen Hexensabbat, wie wir deren in Deutschland wohl
erlebt haben, aufzuführen.
Am meisten Charakter und ästhetischen Werth hat noch die orientalische Abtheilung. Allein
der Orient baut bekanntlich nur in der alten ihm überlieferten Weise. Seine Kunst ist wie der
Zauberpalast, in dem Dornröschen schläft, seit Jahrhunderten in demselben Zustande, worin sie vor
Zeiten alle Pracht und Ueppigkeit entfaltete. Spurlos ist an den Morgenländern das ganze mo-
derne Leben vorübergegangen, und während bei uns Welten erstanden und in Trümmer gingen,
blieben sie mit träumerischem Spiel in einem Scheinbild ihrer alten Existenz versenkt. Aegypten
hat zugleich seine alte vorchristliche Tempelarchitektur und die neuere maurische Bauweise, wie sie
seit lange dort sich ausgebildet hat, vergegenwärtigen wollen. Der erstere Versuch, ein Auszug,
eine Abbreviatur gleichsam aus der Anlage und den Jnnenräumen des Tempels von Edfu vermag
doch kein deutliches Bild vom Ganzen zu geben. Namentlich aber ist die polychrome Behandlung von
höchst zweifelhafter Aechtheit und von einer Buntheit, die sicher das Auge jedes alten Aegyptier's
auf's Tiefste beleidigt hätte. Dagegen zeigt die aus Holz und Ziegeln leicht ausgerichtete Karawan-
serai die zierliche und luftige muhamedanische Bauart, wie sie noch heute in Anwendung kommt.
Die bildende Kunst auf der Weltausstellung. Von Julius Meyer.
Im geraden Gegensatz zu diesen schwächlichen Ueberresten alter Zeiten stehen einige Modelle
zu wohlfeilen und bequemen Arbeitshäusern, die Frankreich, und ein Schulhaus, das Preußen
ausgestellt hat. Alle Architektur, soweit sie wirklich Kunst ist, ging von einem Kultus aus; sie
Laute dem Gotte sein Haus und sand für die anbetende Verehrung des Menschen den räumlichen
Ausdruck. Allein was von jeher gerade die Kirche am wenigsten kümmerte, die Wohlfahrt und die
Bildung der arbeitenden Klaffen, gerade das läßt die moderne Welt besonders sich angelegen sein.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sie hierbei zunächst an das Nothwendige denkt und vorerst
weder die Mittel noch die Fähigkeit hat, dieses Bedürfniß in eine (wenn auch einfache) künstlerische
Form zu erheben. Schmucklos und kahl, der nackte Ausdruck des eben erst geretteten nackten Daseins,
umschließen diese Mauern die simpelsten Räume; aber aus der gemeinen Noth und Sorge des
Leibes wie des Geistes wollen sie das Volk erlösen zu dem freien Bewußtsein einer gesicherten Existenz.
Denke dir ein Geschlecht, freundlicher Leser, das bis in seine untersten Klassen das Ideal Verwirk-
licht hat, welches diese Musterhäuser andeuten wollen, — und du wirst die Kunst von selber sich ein-
stellen sehen, als die aufgeschlossene Blüthe eines aus innerem Mark genährten und gereiften Lebens.
Doch auch die heutige Welt will das Geschmeide der Kunst nicht missen. Von ihren eigenen
Versuchen in Malerei und Plastik nicht zu reden, ist sie unermüdlich, die Formen der Vergangenheit
tausendfältig zu wiederholen. Die Ausstellung ist merkwürdig reich an den trefflichen Proben der
vervielfältigenden Technik im verschiedensten Material, von den Terracotten und der Steinpappe
bis zum edelsten Metall. Ein wahrer Wetteifer hat sich entspannen, die überlieferten Werke der
großen Kunstepochen, vom Standbild bis zum kleinsten Hausgeräthe, in allen möglichen Größen und
Stoffen zum Gemeingut aller Klassen zu machen. Erst jetzt wieder haben die Engländer eine
neue, nach den ausgestellten Proben treffliche Reproduktionsweise gefunden, womit sie die Schätze
des Kensington-Museums in die weitesten Kreise verbreiten wollen. Aber auch die freie Nachbildung
in den Stilen der besten Zeiten ist nun mehr als je Aufgabe der Kunstindustrie geworden, und die
Leistungen auf diesen Gebieten gehören zu den interessantesten der Ausstellung.
Von geringer Bedeutung sind im Grunde, wie schon bemerkt, die im Park aufgeführten
Baulichkeiten. Die Architektur ist keines jener Dinge, das sich wie ein Kästchen herumtragen und
sich irgendwo für ein halbes Jahr ein Plätzchen anweisen ließe. Sobald sie in Massen auftreten
will und doch nicht die Aufgabe hat, als dauerndes Denkmal einem großen Zwecke des menschlichen
Lebens seine Stätte zu gründen, kann sie in gemeinem oder nachgemachtem Material mit ihren
Formen nur spielen. Zudem sieht sich Europa noch immer suchend und rathlos nach der Bauweise
um, worin es eigenthümlich, treffend und ohne Besinnen, auch für das Bedürfniß des Augenblicks,
seine Räunie gestalten könnte. Denn soweit hat doch auf dem Marsselde der gute Genius des
Zeitalters über dessen Kobolde und Gespenster den Sieg davongetragen, daß diese es nicht gewagt
Haben, mit Versuchen eines „neuen Stils" einen Hexensabbat, wie wir deren in Deutschland wohl
erlebt haben, aufzuführen.
Am meisten Charakter und ästhetischen Werth hat noch die orientalische Abtheilung. Allein
der Orient baut bekanntlich nur in der alten ihm überlieferten Weise. Seine Kunst ist wie der
Zauberpalast, in dem Dornröschen schläft, seit Jahrhunderten in demselben Zustande, worin sie vor
Zeiten alle Pracht und Ueppigkeit entfaltete. Spurlos ist an den Morgenländern das ganze mo-
derne Leben vorübergegangen, und während bei uns Welten erstanden und in Trümmer gingen,
blieben sie mit träumerischem Spiel in einem Scheinbild ihrer alten Existenz versenkt. Aegypten
hat zugleich seine alte vorchristliche Tempelarchitektur und die neuere maurische Bauweise, wie sie
seit lange dort sich ausgebildet hat, vergegenwärtigen wollen. Der erstere Versuch, ein Auszug,
eine Abbreviatur gleichsam aus der Anlage und den Jnnenräumen des Tempels von Edfu vermag
doch kein deutliches Bild vom Ganzen zu geben. Namentlich aber ist die polychrome Behandlung von
höchst zweifelhafter Aechtheit und von einer Buntheit, die sicher das Auge jedes alten Aegyptier's
auf's Tiefste beleidigt hätte. Dagegen zeigt die aus Holz und Ziegeln leicht ausgerichtete Karawan-
serai die zierliche und luftige muhamedanische Bauart, wie sie noch heute in Anwendung kommt.