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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Die bildende Kunst auf der Weltaustellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0305

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II. Die Architektur.

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eine acht künstlerische Gestalt erheben lassen. Sie zugleich haben die Bauweise der Renaissance in
ihrem wahren Wesen begrisfen und von Neuem gezeigt, daß dieselbe, innerlich verwandt mit der
Anschauungsweise des Zeitalters und vorzugsweise berusen, seine Bauaufgaben zu lösen, einer-
erneuten und vielleicht sortbildenden Blüthe fähig ist. Das lassen freilich die Gothiker nicht gelten.
Der alte Streit läßt sich hier nicht äusfechteu; doch möchte ich den Punkt berühren, auf den es mir
anzukommen scheint. Die antiken Formen allein (mit denen ja die Renaissance arbeitet) haben sich
aus einem rein künstlerischen Bedürfnisse entwickelt; sie stehen keineswegs, wie die gothischen, im
Dienst der Konstruktion, sondern lassen die struktive Nothwendigkeit und ihren Ausdruck ohne Rest
in der lebendigen Schönheit einer frei gegliederten Gestalt aufgehen. Die Renaissance aber hat
dieselben für die mannigfaltigen Bauzwecke des modernen Geistes mit genialem Sinn verwerthet,
sie erweitert und gleichsam angepaßt dem bewegten Körper der neuen Zeiten. Hat sie dabei ihre
strenge Einheit mit der Konstruktion, welche das hellenische Bauwesen kennzeichnet, gelockert, so hat
sie doch den Schein derselben in lebensvollen Bildungen bewahrt und mit künstlerischer Gestaltungs-
kraft durchgeführt. Und gerade dieser Sieg eines frei waltenden Geistes über die Bedingungen der
Materie nnd das mathematische Gesetz ist zugleich ein tiefgehender Charakterzug des modernen
Geistes.
Wer unter jenen Architekten gemeint ist, weiß der Leser schon: es sind Semper und Hansen.
Bekanntlich hält sich der Letztere näher an das griechische Vorbild. Wie bei ihm ein nachempfindender
und den Griechen ebenbürtiger Geist mit tief eindringender Erkenntniß der Antike Hand in Hand
geht, das bekundet schon seine schöne Restauration des choragischen Monuments des Lysikrates*).
Weit bleiben dahinter alle jene Restanrationen klassischer Denkmäler zurück, welche französischerseits
(eingeschickt von den Pensionären der römischen Akademie) die Hauptgruppe der architektonischen
Ausstellnng ausmachen. Fast aus allen spricht eine halb abenteuerliche, halb nüchterne Anschauung,
die höchstens den Mantel der Antike, aber nicht ihren schönen Leib zu fassen wußte. Davon macht
auch die Via Appia von Ancelet, dem die Jury einen großen Preis zuerkaunt, keine Ausnahme.
Wie überhaupt die Franzosen sich im Verständniß der klassischen Kunst auch heute noch auf eiu
pathetisches Umwerfen der römischen Toga beschränken, davon geben die Entwürfe von Hünard ein
erheiterndes Beispiel: der eine zu einem Denkmal für die Vereinigung der Nationen, der andere für
die Erinnerung an Paris im I. 1814. Der Letztere würde als immenser Kachelofen einem kunst-
gebildeten Hafner alle Ehre machen. Von Hansen's übrigen Rissen sind namentlich diejenigen für
das Abgeordneten - und das Herrenhaus in Wien durch die reine Durchführung der antiken Formen,
jedesmal in einer dem Bauzweck lebendig angepaßten Weise, von edler und echt monumentaler Wir-
kung. Hansen greift hier über die losere Weise der Renaissance zu einer strengeren Anwendung des
griechischen Bausystems und sucht diesem Princip auch bei neuen Kombinationen treu zu bleiben.
Letztere sind indeß nicht jedesmal glücklich; wenigstens kann ich dafür die Krönung des Loggienvor-
baus am Abgeordnetenhaus durch einen Tempelgiebel nicht Halten. Es ist also eine zweite, eine
geläuterte Renaissance, womit Hansen die Antike wieder einsühren möchte; und es ist bewunderns-
werth, wie er die Schwierigkeiten dieser Neuerung zu überwinden weiß durch seine ungewöhnliche
Fähigkeit, den Bau auch bei verwickelten Raumbedürsnissen organisch zu gliedern und durchzubilden.
Allein weshalb sollten wir die große Arbeit, die darin Italien vor uns gethan hat, unbenutzt
liegen lassen? Schon das Cinquecento hat die Antike den modernen Bedürfnissen und Anschauungen
mit kühn umgestaltender Phantasie angepaßt und so niit den mustergültigen Formen, die sie entlehnt
Hat, den Inhalt des neuen Lebens in vertranten und lebensvollen Zügen ausgeprägt. Das hat kein
Anderer von den Zeitgenossen so wie Semper begriffen. Ein ächter Nachkomme der großen
italienischen Architekten, bekundet er in seinen Theaterentwürfen mit Hervorragender Meisterschaft,
wie er die Formen der Renaisfance groß und schöpferisch zu gebrauchen weiß. Dabei zeigt sich in
der dekorativen Ausstattung eine fast überströmende Phantasie, wenn sie nicht wieder durch die
Klarheit eines planvoll anordnenden Geistes in Schranken gehalten würde. Auch darin ist Semper

I Mit dieser werden die Leser der Zeitschrift in allernächster Zeit durch eigene Anschauung bekannt
gemacht werden. A. d. R.
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