Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

DOI Artikel:
Förster, Erwin: Werke der Kunst um einen Groschen[2]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0310

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
252

Werke der Kunst um einen Groschen.

Ich merk' es dem Leser an, daß er mich fragen will: „Ja, um Alles in der Welt, Sie sprechen
mir da von den Wirkungen dieser Zauberbögen auf die Erwachsenen, für welche sie doch eigentlich
nicht bestimmt sind; elektrisiren sie denn auch die kleine Welt oder sind sie nicht vielmehr unverständlich
für diese?" Allein die Frage beantwortet sich von selbst beim Durchblättern der bis jetzt erschie-
nenen Bände, in denen die allerliebsten Landschaften mit den Soldaten des alten Fritz abwechfeln;
Theaterfiguren, die Trachten zum Märchen des Grafen von Gleichen, die maskirten Thiere,
lutornu muKieu, sind das nicht lauter Dinge, welche die Kinder entzücken und die man, so gut sie
auch gezeichnet sind, doch am Ende der Vernichtung durch ihren Pinsel preisgeben kann? Das
Kind weiß so gut zwischen Schönem und Häßlichem den Unterschied zu fühlen, wie es durch Eva's
Apfelbiß die Erkenntnis des Guten und Bösen erlangt haben soll, es wird sich daher Mühe geben,
die schönen Bilder nicht durch allzu kühne Aneinanderreihung der Farben zu verderben, sondern sich
vielmehr von den älteren und geschickteren Gespielen willig unterrichten lassen, die Figuren ordent-
lich zu malen und sie, auf einem Karton aufgezogen, auszuschneiden, und sich dadurch ein Spielzeug
zu schaffen, das werthvoller als die reichste gekaufte Puppe oder Schachtel mit Bleisoldaten ist. Es
würde mich zu weit führen, wollte ich diese Betrachtung bis in alle Konsequenzen verfolgen, allein
es sei erlaubt, mit ernster Miene zu sagen, daß man einem Kinde von mehr als 6 Jahren nie ein
fertiges Spielzeug kaufen sollte; denn indem es ein solches erst vollenden muß, wird es die
Beschäftigung, die Arbeit lieb gewinnen, und da die Münchner Bilderbögen ein solch unvollendetes
Spielzeug in den schönsten Formen bieten, haben sie einen so großen pädagogischen Werth.
Im Eingänge stellte ich die Behauptung auf, jetzt würde kein Junge mehr eine Freude
Haben an so schlechten Bilderbögen, als ich sie in meiner Knabenzeit bekam, allein ich muß es jetzt selbst
sehr in Zweifel ziehen, da ich gestern an einem Buchbinderladen die „Stuttgarter Bilderbögen"
angezeigt fand; ich trat ein und ließ sie mir zeigen. Sie sind auf gelbes Tonpapier lithographirt,
haben viel von den Münchenern abgezeichnet,, freilich mit Verbesserungen ü In Johann Ballhorn, so,
daß Braun nicht wohl wegen Nachdruck klagbar werden kann. Der Preis dieser Machwerke, deren
ich mich als Bube geschämt haben würde, ist derselbe, wie der der C. Braun'schen Bilderbögen, so
daß es mir unbegeislich ist, wie sie nur erscheinen, geschweige denn gekauft werden können.
Aufmerksamen Lesern meiner Phantasieen möchte es erscheinen, ich sei bestochen oder ein
Quacksalber, welcher die Münchener Bilderbögen als ein Universalmittel sowohl gegen Zahnschmerz
als gegen Chiragra empfehlen möchte, und so kann ich nichts anderes thun, um diesen Verdacht
von mir abzuwälzen, als statt vieler, Ein Beispiel zu nennen, wo sie nicht die gewünschte Wirkung
lhaten.
Mir ist nämlich nichts fataler an jungen Damen, als wenn sie „nervös" sind oder eine gar zu
große Krinoline haben. Nun besitze ich unter meiner Verwandtschaft eine junge, schöne Cousine,
welche beide Fehler hat. Daß sie nervös ist, liegt außer allem Zweifel, denn sie inuß alle Som-
mer nach Kissingen oder auch nach Ischl, trinkt Abends immer dünnen Thee und am Morgen Choeo-
lade, weil Kaffee sie aufregt, und Bier würde ihr unzweifelhaft einen Nervenschlag znziehen, obwohl
sie Wein und Champagner recht gut verträgt. In besondere Gunst mich bei ihr zu setzen, vermochte
ich noch nicht, denn da ich nicht ganz gut höre, so spreche ich etwas laut, was ihre Nerven leider
afficirt, und ich verstehe ihr Geflüster wieder nicht ordentlich; sie hat zwar eine klangvolle Stimme,
denn bei dem Riesenconcert im Glaspalast vor zwei Jahren fang sie einige Solopartieen und das
Bombardon, vor welchem sie stand, griff sie nicht im mindesten an. Ich gab mir, auf Bitten ihrer
Mutter, redlich Mühe, ihr zu beweisen, daß ihre ganze Krankheit nichts sei als Einbildung, durch
welche sie sich und Andere unglücklich mache, und daß sie mit festem Willen die Krankheit ohne alle
Hülfsmittel bannen könne; das einzige, was ich etwa ralhen könne, wären starke Fußtouren, eine
kräftige Kost und hie und da ein Glas guten Bieres.
O, Himmel! in ein ärgeres Wespennest trat ich noch nie. Meine gute Cousine wurde ganz
roth vor Zorn und sagte: „Du bist ein ungehobelter Mensch, kennst weder Takt noch Anstand,
freilich, so ein Säufer meint, es müßte Jeder fo dick werden, wie er, und hat keine Idee von äthe-
rischen Wesen, von Grazie und Nervose. Schweig!" schrie sie, als ich mich entschuldigen wollte
und so laut, daß ich. ordentlich zusammenschrak, mich aber nicht enthalten konnte, zu sagen: „Siehst
 
Annotationen