Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

DOI article:
Meyer, Julius: Die bildende Kunst auf der Weltausstellung
DOI article:
[Rezension von: J. A. Crowe & G. B. Cavalcaselle, A new History of Painting in Italy][1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0338
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
276

Recensionen.

Wood (von der England, nach dem ihr angewiesenen Ehrenplatz zu urtheilen, viel Aufhebens zu
machen scheint), mit der Bezeichnung „das Lied vom Hemde:" ein abgehärmtes schmächtiges
Geschöpf, wohl eine Näherin, in der ärmlichen Kleidung der niederen Klassen. Also die plastische
Verkörperung des socialen Elends unserer Tage, die Schönheit unter dem Druck gemeiner Noth fest-
gehalten in Marmor, saurer Wein in goldenen Schalen. — Tüchtig sind dagegen die englischen
Portraitbüsten, vorzugsweise durch ihre Charakteristik; vor allen diejenigen von Adams.
Eines der größten Talente aber in jener naturalistischen Weise hat Deutschland aufzuweisen:
Reinhold Begas. Sein Weib nach dem Bade und sein Pan, der ein Knäblein im Flötenspiel
unterrichtet, frei von frivolem Reiz, haben doch die Fülle des Lebens, kühn und ursprünglich em-
pfunden, und den packenden Zug der sinnlichen Schönheit bis in die feingefühlte Schwellung des
Fleisches. Von der überquellenden Lebenskraft Michelangelos ist etwas in diesen Werken, und eine
kühn in's Malerische übergreifende Gewalt der Phantasie. Allein noch ist die Formengebung des
jungen Künstlers zu schwankend und unfertig, von zu unbestimmter Weichheit, und allzu willkürlich
springt er mit den Gesetzen plastischer Anordnung und rhythmischen Linienzuges um. — Weniger
energisch und noch mehr nach akademischen Herkommen ist der betrunkene Faun von Sußmann-
Hellborn. —
Unzweifelhaft ist diese neueste Plastik, indem sie zur Natur und der einfachen Schönheit des
menschlichen Leibes, ohne daß sie götter- oder heldenhaft wäre, sich offen bekennt, vollauf berechtigt.
Sie befreit uns von der Kälte und Trockenheit einer Ueberlieferung, die sich sklavisch an die Füße der An-
tike klammerte, ohne sich mit freiem Verständniß zu ihr erheben zu können. Denn dahin war die moderne
Bildnerei schließlich herabgekommen, nachdem sie zuerst mit vollem Recht auf das ächte griechische
Vorbild zurückgegangen war; sie lief Gefahr, in einem leblosen und konventionellen Formenschema
zu erstarren. In jenem Naturalismus pulsirt eine wärmere und vollere Lebensader. In Stein und
namentlich in Erz weiß er wieder den weichen und geschmeidigen Schein des Fleisches hervorzubringen,
auch die momentane Bewegung mit anziehender Leichtigkeit auszusprechen und das edle aber au sich
todte Material zu beleben mit den frischen Zügen der Natur. Auch die griechische Plastik zu ihrer
Blütezeit, die Myron und Polyklet, hatte ihre Freude an dem unbefangenen Ausdruck eines rein
körperlichen Lebens. Allein was schon Plinius dem Myron nachsagte: indem es ihm allzusehr um
die Körper zu thun gewesen, habe er die Seelenstimmungen nicht ausgedrückt, das läßt sich nun mit
weit mehr Grund den Modernen vorwerfen. In der leiblichen Schönheit droht nun alle ideale
Empfindung zu versinken, und wenn die Plastik bald nur noch Seiltänzer und Hetären versinnlicht,
so kann das nicht Wunder nehmen. Schon steht ja die schlimmste Entartung in Frankreich bevor,
da das Gefallen an halbwüchsigen Formen an die Stelle einer franken und üppigen Sinnlichkeit
tritt. Allein auch der rein künstlerischen Seite der Darstellung droht der Verfall, wenn sie der Natur
bis zur Hautsalte folgen will und nicht die Form aus einer gebildeten Anschauung zugleich läutert.
Die Kunst und insbesondere die Plastik gibt sich selbst aus, wenn sie in diesem Sinne stillos wird.
Auch die Weise des Phidias war in enimentem Sinne naturalistisch, aber sie war noch mehr: sie
vermochte aus der Natur ein Idealbild von erhöhtem und reinerem Leben schöpferisch zu entbinden.
Und darin bleibt sie für alle Zeiten unumstößliches Vorbild.

Recensionen.
«I. ^, 6i'0M6 L kl. L. (!avwlew86ll6, F .nerv Histor^ of IllaiwtiwA iw ItwI^, 6to.
Voll HI. Uowäou, ll. Nuiiw^, 1866. —
Die Fortsetzung des obigen Werkes, dessen ersten und zweiten Band wir im Juni 1865
(Recensionen Nr. 24) besprochen, ist seit so geraumer Zeit schon in den Händen der Leser, daß wir
nicht länger zögern dürfen, dieselbe anzuzeigen, wenn wir uns nicht von dem Erscheinen des bevor-
stehenden IV. Bandes überraschen lassen wollen. Die von den Herren Crowe und Cavalcaselle
gemeinschaftlich herausgegebene Geschichte der Malerei in Italien nimmt mit jeder Abtheilung an
 
Annotationen