Von Max Jordan.
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lehrreichsten Aufschlüsse: vor allen Dingen machen sie deutlich, welcher hohe Grad von
Berstandesthätigkeit, Kenntniß und Besonnenheit mit phantastischem Schaffen nicht blos verein-
bar ist, sondern geradezu verbunden sein muß, wo es sich um derartige Ausgaben
Handelt. Ihnen gegenüber steht der Maler dem Baumeister, dessen Arbeit ihm verausge-
gangen und seiner Schöpfungen bedingendes Substrat ist, so nahe, daß auch sein Verfahren
dem Jneinandergreifen von Wissenschaft und Kunst ähnelt, welches die Architektur charak-
terisirt.
Den Grundplan des Gedichts in der Totalität der Malereien anschaulich zu machen,
dabei den Reiz der Mannigfaltigkeit im Auge zu behalten, endlich die Gegenstände nicht
Llos nach dem Gesichtspunkte malerischer Darstellbarkeit überhaupt, sondern so zu wählen,
daß sie zugleich eigenthümliche Reize bildlicher Wiedergabe zur Geltung brächten: das waren
die Anforderungen, die der Künstler an sich stellte. Er ordnete demgemäß seinen Chklus
in folgender Weise: Die Bilder der Hauptwand und der zu ihr gehörigen Deckenwölbung
vergegenwärtigen in großen Zügen die poetische Tradition vom Hergänge des Kampfes wider
die Sarazenen, den Karl mit seinen Paladinen führt. Wir sehen, wie der Kaiser das von
Agramant, dem Führer des Heidenhceres bedrängte Paris zu retten auszieht; den Gläubigen
eilt der Erzengel Michael zu Hilfe (Lünette); unter seinem Schutz vollziehen sich die großen
Aktionen: Rinaldo vertreibt im Bunde magischer Gewalten die Mauren aus Frankreich,
Dudo verfolgt nnd vernichtet mit seiner durch Wunder herbeigeschafften Flotte die Fliehen-
den aus den: Meer; Biserta, die stärkste Feste der Heiden im Orient, fällt durch der
Christen Tapferkeit, Agramant selbst wird auf Lipadusa in einem Sechskampf von Roland
erschlagen (Dcckenwölbung).
Aus der Eingangswand gegenüber stehen in den schmalen Pseilerstreifen zwischen Thür
und Fenstern die Gestalten von vier Haupthelden der Heidenschaft: Mandricard, Ferragu,
Marsil und Nodomont, verurtheilt gleichsam, den Ruhm ihrer Gegner ohn' Unterlaß zu
betrachten.
Nun nach Vollendung des kriegerischen Schauspiels, das er in prägnanten dramatischen
Momenten vor den Augen des Betrachters abgespielt, wendet sich der Künstler mit gleich
liebevollem Blick wie der Poet den einzelnen Helden zu, ihre Schicksale zu belauschen, die
mit dem Gang der großen Ereignisse in Wechselbeziehung stehn. — Wand zur Linken:
Roland, der Achill des höfischen romanischen Epos, vergißt seiner ritterlichen Sendung über
leidenschaftlicher Liebe zur schönen Angelika; da er erfährt, daß ihr Herz einem Andern
gehört, fällt er in solche Verzweiflung, daß ihm Gott, um ihn zu strafen, den Verstand
entzieht. Er wird uns vorgeführt in seiner Raserei, in der Ferne die beiden Liebenden,
die sie veranlaßt Haben. In der Lünette über diesem Wandbild zeigt sich uns dann die
Wendung seines Schicksals: Astolf bringt, vom Evangelisten Johannes geleitet, den Ver-
stand des Helden zurück, dessen treueste Genossen Brandimart und Zerbin mit Flördelise
und Isabella in den diebenräumen vorgestellt sind. — Auf der anderen Seite sind die
Schicksale Rüdiger's geschildert, des edlen Heiden, den Ariost als den Stammvater des
Hauses Este ganz besonders verherrlicht. Wir sehen in seiner Taufe die Vermittlung
großer Zukunft, und als deren schöne Bürgschaft erscheint Bradamante, wie sie in Merlin's
Höhle aus Zauberwink die erlanchte Zahl ihrer einstigen Nachkommen erblickt. Darüber in
dem Rundstreifen ist die Jungfrau im Amazonenstand mit ihrer Nebenbuhlerin Marfisa
abgebildet; zwischen Beiden in der Lünette Melissa, die holdgesinnte Sibylle, mit Atlas
und Alcina, über deren Pläne sie durch Herbeiführung der verheißungsvollen Ehe triumphirt.
Das Mittelbild der Decke endlich zeigt das Fest am Kaiserhofe, in welchem der Künstler
des Sängers Lied im Bilde erweiternd neben der Hochzeit Rüdiger's und Bradamante's auch
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lehrreichsten Aufschlüsse: vor allen Dingen machen sie deutlich, welcher hohe Grad von
Berstandesthätigkeit, Kenntniß und Besonnenheit mit phantastischem Schaffen nicht blos verein-
bar ist, sondern geradezu verbunden sein muß, wo es sich um derartige Ausgaben
Handelt. Ihnen gegenüber steht der Maler dem Baumeister, dessen Arbeit ihm verausge-
gangen und seiner Schöpfungen bedingendes Substrat ist, so nahe, daß auch sein Verfahren
dem Jneinandergreifen von Wissenschaft und Kunst ähnelt, welches die Architektur charak-
terisirt.
Den Grundplan des Gedichts in der Totalität der Malereien anschaulich zu machen,
dabei den Reiz der Mannigfaltigkeit im Auge zu behalten, endlich die Gegenstände nicht
Llos nach dem Gesichtspunkte malerischer Darstellbarkeit überhaupt, sondern so zu wählen,
daß sie zugleich eigenthümliche Reize bildlicher Wiedergabe zur Geltung brächten: das waren
die Anforderungen, die der Künstler an sich stellte. Er ordnete demgemäß seinen Chklus
in folgender Weise: Die Bilder der Hauptwand und der zu ihr gehörigen Deckenwölbung
vergegenwärtigen in großen Zügen die poetische Tradition vom Hergänge des Kampfes wider
die Sarazenen, den Karl mit seinen Paladinen führt. Wir sehen, wie der Kaiser das von
Agramant, dem Führer des Heidenhceres bedrängte Paris zu retten auszieht; den Gläubigen
eilt der Erzengel Michael zu Hilfe (Lünette); unter seinem Schutz vollziehen sich die großen
Aktionen: Rinaldo vertreibt im Bunde magischer Gewalten die Mauren aus Frankreich,
Dudo verfolgt nnd vernichtet mit seiner durch Wunder herbeigeschafften Flotte die Fliehen-
den aus den: Meer; Biserta, die stärkste Feste der Heiden im Orient, fällt durch der
Christen Tapferkeit, Agramant selbst wird auf Lipadusa in einem Sechskampf von Roland
erschlagen (Dcckenwölbung).
Aus der Eingangswand gegenüber stehen in den schmalen Pseilerstreifen zwischen Thür
und Fenstern die Gestalten von vier Haupthelden der Heidenschaft: Mandricard, Ferragu,
Marsil und Nodomont, verurtheilt gleichsam, den Ruhm ihrer Gegner ohn' Unterlaß zu
betrachten.
Nun nach Vollendung des kriegerischen Schauspiels, das er in prägnanten dramatischen
Momenten vor den Augen des Betrachters abgespielt, wendet sich der Künstler mit gleich
liebevollem Blick wie der Poet den einzelnen Helden zu, ihre Schicksale zu belauschen, die
mit dem Gang der großen Ereignisse in Wechselbeziehung stehn. — Wand zur Linken:
Roland, der Achill des höfischen romanischen Epos, vergißt seiner ritterlichen Sendung über
leidenschaftlicher Liebe zur schönen Angelika; da er erfährt, daß ihr Herz einem Andern
gehört, fällt er in solche Verzweiflung, daß ihm Gott, um ihn zu strafen, den Verstand
entzieht. Er wird uns vorgeführt in seiner Raserei, in der Ferne die beiden Liebenden,
die sie veranlaßt Haben. In der Lünette über diesem Wandbild zeigt sich uns dann die
Wendung seines Schicksals: Astolf bringt, vom Evangelisten Johannes geleitet, den Ver-
stand des Helden zurück, dessen treueste Genossen Brandimart und Zerbin mit Flördelise
und Isabella in den diebenräumen vorgestellt sind. — Auf der anderen Seite sind die
Schicksale Rüdiger's geschildert, des edlen Heiden, den Ariost als den Stammvater des
Hauses Este ganz besonders verherrlicht. Wir sehen in seiner Taufe die Vermittlung
großer Zukunft, und als deren schöne Bürgschaft erscheint Bradamante, wie sie in Merlin's
Höhle aus Zauberwink die erlanchte Zahl ihrer einstigen Nachkommen erblickt. Darüber in
dem Rundstreifen ist die Jungfrau im Amazonenstand mit ihrer Nebenbuhlerin Marfisa
abgebildet; zwischen Beiden in der Lünette Melissa, die holdgesinnte Sibylle, mit Atlas
und Alcina, über deren Pläne sie durch Herbeiführung der verheißungsvollen Ehe triumphirt.
Das Mittelbild der Decke endlich zeigt das Fest am Kaiserhofe, in welchem der Künstler
des Sängers Lied im Bilde erweiternd neben der Hochzeit Rüdiger's und Bradamante's auch