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1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
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mag ja wohl das Einsetzen eines Pun/.ens in
die Blätter gewesen sein; später jedoch stach
man mit einem spitzen Instrument, etwa einer
Ahle, annähernd in der Mitte des Blattes ein.
Dadurch hob sich das Leder etwas, und es wurde
eine Schattenwirkung erzielt, die dem Ganzen
sehr zum Vortheil gereicht. Alsbald finden
wir auch, dafs man bei allen Blattachseln und
Stengelansätzen in derselben Weise vorging, um-
somehr, als in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts die reichen Blattornamente mit den
vielen Umschlägen und Kröpfungen hierzu reich-
lich Anlafs boten. Arbeiten aus dieser Zeit sind
in Bezug auf Zeichnung sowohl, als auch in
Bezug auf das Raffinement, mit welchem die
Technik ausgenützt ist, geradezu einzig.
Gleichfalls hervorragend in Bezug auf die
Arbeitsweise und Zeichnung ist das geschnit-
tene Kästchen (91/, x 12 cm grofs, 5 cm
hoch), das ehemals zum Aufbewahren der Schlüs-
sel vom Archiv diente. Das Ornament ist, der
Ordnung gemäfs, zwischen den Beschlag —
drei quer über den Deckel laufende Schienen
— hineinkomponirt; Rankenwerk, von der Mitte
nach den Ecken zustrebend, füllt die beiden
mittleren Felder, auch ist das am vorigen be-
merkbare, eingeschlagene Blattmotiv vorhanden,
nur ist der Schnitt schärfer, die ganze Arbeit
genauer; der Punzen im Mittelpunkte der Blätter
fehlt hier. Die Ränder an den kürzeren Seiten
zeigen nach aufsen strebende Blätter, gleich-
mäßig übereinander angeordnet. Der aufge-
klebte Zettel4) mit der Angabe der Bestimmung
des Kästchens zeigt die Jahreszahl 1440, doch
dürfte der Gegenstand selbst um 1400 ange-
fertigt sein, in welche Zeit auch die Entstehung
des Nadelfutterals zu setzen wäre.
Das auf demselben Blatte mit abgebildete
Kästchen aus etwa derselben Zeit ist besonders
durch den feingliedrigen und zierlichen Be-
schlag werthvoll. Nicht zu breite Bandeisen
sind in der Mitte zu schmalen, nach oben ver-
jüngten Stäben ausgefeilt, während nach dem
vorderen Rande des Deckels zu eine viereckige
Rosette, nach hinten das Gelenk, wie auch mitten
auf dem Deckel um den Kopf des Nietstiftes
4) [Diese Aufschrift lautet: Dit is dat schryngin da
der sch[eff]enbrief. ind. slussel. van dem gewill de ynne
lygt dat yn un[se] herren haint laissen machen beneuen
der capellen an dem ra[it]huyse. davan die scheffenen
dat siusselgin haint. damit dat sfchrlyngin zo besegelt is.
Anno domini M". CCCC". quadragesimo.] D. H.
jedesmal eine kleine Rosette stehen blieb. Die
Kanten des Gelenkbandes sind schräg gereifelt,
die Ansätze zierlich verfeilt, wie überhaupt alle
Zierarbeit am Beschläge gefeilt ist. Die Hand-
habe mitten auf dem Deckel ist in der Mitte etwas
faconnirt, an beiden Enden kurz gespalten und
zu einem Schlangenkopf geformt.
Das schönste Stück der hier vorgeführten
Lederarbeiten ist das Messerfutteral (Fig. 4,
23 cm lang, 3 cm breit) aus der ersten Hälfte des
XV. Jahrh. Die Technik mufs als eine vollendete
bezeichnet werden, nicht minder die Zeichnung.
Die Blätter sind, wie vorhin erwähnt, schräg
eingestochen, auf der oberen Seite zeigt das Or-
nament eine Bestie zwischen reichem Ranken-
werk. Die Griff- und Schneideseiten sind mit
einfachem Rankenornament, wie beim Nadel-
futteral, der kleine Absatz mit Flechtwerk
geziert. Der Deckel fehlt; Schlaufe auf der
Rückseite. Die ganze Arbeit erinnert an die
gleichzeitigen italienischen Gebilde, die sich mit
der Renaissance vervollkommnen.
Das Ornament wuchs immer mehr aus dem
Grunde heraus, man hob es durch Unterarbeiten
mit kleinen gekröpften Instrumenten, einer an
der Spitze verbogenen Sonde nicht unähnlich,
während man häufig den Grund noch dadurch
vertiefte, dafs vor dem Punziren derselben die
Oberhaut des Leders vorsichtig abgeschält wurde.
Ein solches Stück —■ ein Kelch-Etui — besitzt
das Düsseldorfer Museum.
Borten, Ränder und Füllungen wurden als
Flechtwerk oder übereinander geschuppte Blätt-
chen dargestellt, Knöpfe und Knäufe als Früchte
behandelt, ja selbst die Böden der Kästchen
waren mit rautenförmigen oder anderen Mustern
bedeckt. Später wurde das Ornament mein'
und mehr plastisch; der Grund und damit die
Punzirung trat allmählich zurück, der Charakter
des Leders ging verloren und näherte sich dein
des geschnittenen Holzes.
Demgemäfs konnte es auch nicht ausbleiben,
dafs das Leder mit Paste unterfüllt und wie
Thon regelrecht mödellirt wurde. Schliefst'1
verschwindet der Schnitt wieder ganz, allein d'e
Modellirung mit beschränkter Punzirung bleibt;
der Lederschnitt hört völlig als solcher auf, cue
Technik kehrt zu ihren Anfängen im XV. Jahi'1,
zurück und geht mit Eintritt der Barockrichtunfc
zum zweiten Male gänzlich verloren, bis er
in der neuesten Zeit frisches Leben und nette-
Blühen in diese so dankbare Technik kam-
1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
280
mag ja wohl das Einsetzen eines Pun/.ens in
die Blätter gewesen sein; später jedoch stach
man mit einem spitzen Instrument, etwa einer
Ahle, annähernd in der Mitte des Blattes ein.
Dadurch hob sich das Leder etwas, und es wurde
eine Schattenwirkung erzielt, die dem Ganzen
sehr zum Vortheil gereicht. Alsbald finden
wir auch, dafs man bei allen Blattachseln und
Stengelansätzen in derselben Weise vorging, um-
somehr, als in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts die reichen Blattornamente mit den
vielen Umschlägen und Kröpfungen hierzu reich-
lich Anlafs boten. Arbeiten aus dieser Zeit sind
in Bezug auf Zeichnung sowohl, als auch in
Bezug auf das Raffinement, mit welchem die
Technik ausgenützt ist, geradezu einzig.
Gleichfalls hervorragend in Bezug auf die
Arbeitsweise und Zeichnung ist das geschnit-
tene Kästchen (91/, x 12 cm grofs, 5 cm
hoch), das ehemals zum Aufbewahren der Schlüs-
sel vom Archiv diente. Das Ornament ist, der
Ordnung gemäfs, zwischen den Beschlag —
drei quer über den Deckel laufende Schienen
— hineinkomponirt; Rankenwerk, von der Mitte
nach den Ecken zustrebend, füllt die beiden
mittleren Felder, auch ist das am vorigen be-
merkbare, eingeschlagene Blattmotiv vorhanden,
nur ist der Schnitt schärfer, die ganze Arbeit
genauer; der Punzen im Mittelpunkte der Blätter
fehlt hier. Die Ränder an den kürzeren Seiten
zeigen nach aufsen strebende Blätter, gleich-
mäßig übereinander angeordnet. Der aufge-
klebte Zettel4) mit der Angabe der Bestimmung
des Kästchens zeigt die Jahreszahl 1440, doch
dürfte der Gegenstand selbst um 1400 ange-
fertigt sein, in welche Zeit auch die Entstehung
des Nadelfutterals zu setzen wäre.
Das auf demselben Blatte mit abgebildete
Kästchen aus etwa derselben Zeit ist besonders
durch den feingliedrigen und zierlichen Be-
schlag werthvoll. Nicht zu breite Bandeisen
sind in der Mitte zu schmalen, nach oben ver-
jüngten Stäben ausgefeilt, während nach dem
vorderen Rande des Deckels zu eine viereckige
Rosette, nach hinten das Gelenk, wie auch mitten
auf dem Deckel um den Kopf des Nietstiftes
4) [Diese Aufschrift lautet: Dit is dat schryngin da
der sch[eff]enbrief. ind. slussel. van dem gewill de ynne
lygt dat yn un[se] herren haint laissen machen beneuen
der capellen an dem ra[it]huyse. davan die scheffenen
dat siusselgin haint. damit dat sfchrlyngin zo besegelt is.
Anno domini M". CCCC". quadragesimo.] D. H.
jedesmal eine kleine Rosette stehen blieb. Die
Kanten des Gelenkbandes sind schräg gereifelt,
die Ansätze zierlich verfeilt, wie überhaupt alle
Zierarbeit am Beschläge gefeilt ist. Die Hand-
habe mitten auf dem Deckel ist in der Mitte etwas
faconnirt, an beiden Enden kurz gespalten und
zu einem Schlangenkopf geformt.
Das schönste Stück der hier vorgeführten
Lederarbeiten ist das Messerfutteral (Fig. 4,
23 cm lang, 3 cm breit) aus der ersten Hälfte des
XV. Jahrh. Die Technik mufs als eine vollendete
bezeichnet werden, nicht minder die Zeichnung.
Die Blätter sind, wie vorhin erwähnt, schräg
eingestochen, auf der oberen Seite zeigt das Or-
nament eine Bestie zwischen reichem Ranken-
werk. Die Griff- und Schneideseiten sind mit
einfachem Rankenornament, wie beim Nadel-
futteral, der kleine Absatz mit Flechtwerk
geziert. Der Deckel fehlt; Schlaufe auf der
Rückseite. Die ganze Arbeit erinnert an die
gleichzeitigen italienischen Gebilde, die sich mit
der Renaissance vervollkommnen.
Das Ornament wuchs immer mehr aus dem
Grunde heraus, man hob es durch Unterarbeiten
mit kleinen gekröpften Instrumenten, einer an
der Spitze verbogenen Sonde nicht unähnlich,
während man häufig den Grund noch dadurch
vertiefte, dafs vor dem Punziren derselben die
Oberhaut des Leders vorsichtig abgeschält wurde.
Ein solches Stück —■ ein Kelch-Etui — besitzt
das Düsseldorfer Museum.
Borten, Ränder und Füllungen wurden als
Flechtwerk oder übereinander geschuppte Blätt-
chen dargestellt, Knöpfe und Knäufe als Früchte
behandelt, ja selbst die Böden der Kästchen
waren mit rautenförmigen oder anderen Mustern
bedeckt. Später wurde das Ornament mein'
und mehr plastisch; der Grund und damit die
Punzirung trat allmählich zurück, der Charakter
des Leders ging verloren und näherte sich dein
des geschnittenen Holzes.
Demgemäfs konnte es auch nicht ausbleiben,
dafs das Leder mit Paste unterfüllt und wie
Thon regelrecht mödellirt wurde. Schliefst'1
verschwindet der Schnitt wieder ganz, allein d'e
Modellirung mit beschränkter Punzirung bleibt;
der Lederschnitt hört völlig als solcher auf, cue
Technik kehrt zu ihren Anfängen im XV. Jahi'1,
zurück und geht mit Eintritt der Barockrichtunfc
zum zweiten Male gänzlich verloren, bis er
in der neuesten Zeit frisches Leben und nette-
Blühen in diese so dankbare Technik kam-