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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0229

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399

1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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gambe zurückgeführt werden. Es ist zunächst ein
Triptychon zu erwähnen, das für die Abtei von Mar-
chienne gemalt war, und jetzt sich im Museum zu Lille
befindet. Daran reiht sich das gedankenreiche und
vielgestaltige Altarwerk für Anchin, das aus 9 Flügeln
bezw. Tafeln sich zusammensetzt, nunmehr in der
Sakristei der Liebfrauenkirche zu Douai. Es stellt auf
den äufseren Flügeln die Verehrung des Kreuzes dar,
wozu Christus alle Stände der Christenheit einlädt.
Die Deutung der eine Krone opfernden Frauenfigur
auf die Madonna scheint jedoch kaum zutreffend: es
ist viel wahrscheinlicher die anima christiana, oder
etwa die christliche Vollkommenheit versinnbildet. Die
Innenseile zeigt die Dreifaltigkeit von dem ganzen
himmlischen Hofstaat verehrt. Nach Gedankenreich-
thum und Fülle der darüber ausgegossenen Ziermotive
gehört das Polyptychon von Anchin zu den hervor-
ragendsten Werken der Zeit. Ein im Jahre 1882 für
das Museum zu Lille erworbenes Triptychon wird zwar
Bellegarobe zugesprochen; allein es dürften die von
Dehaisnes dafür beigebrachten Gründe kaum genügen,
alle Zweifel bezüglich der Urheberschaft zu zerstreuen.
Die Darstellung des sogen, „mystischen Bades" knüpft
dabei an das mittelalterliche Motiv des „Jungbrunnens"
an, nicht wie Dehaisnes meint, an das eherne Meer des
Alten Bundes und liefert einen Beweis von der wunder-
lichen Verquickung der erhabendsten Gedanken der
christlichen Mystik mit den groben Freiheiten mittel-
alterlichen Lebens. Zwei Flügelaltäre in der Kathedrale
zu Arras bewegen sich mehr in den herkömmlichen
Bahnen, sind aber durch reizende Entwickelung der
architektonischen Umrahmung, welche einem Meister wie
Bellegambe alle Ehre macht, besonders ausgezeichnet.
Von ganz hervorragendem Werth ist endlich das bereits
oben genannte Altarwerk der Berliner Galerie, das die
Eigenart, Vorzüge wie Schwächen Bellegambe's in
durchschlagender Weise beleuchtet. Auch hier tritt in
merkwürdiger Weise hervor, was man der Zeit an
Freiheiten, selbst an der Stätte der Andarjht, und eben-
so an geschmackloser Verführung des Abstofsendsten
bieten durfte. Geringere und weniger gut erhaltene
Werke, deren Spuren von Dehaisnes gleichfalls ver-
folgt wurden, mögen hier unerwähnt bleiben.

Das Werk bietet nach der archivalischen Seite eine
so vollständige Quelle zur Geschichte Bellegambe's,
dafs die Kunstwissenschaft dem emsigen Forscher zu
lebhaftem Danke verpflichtet ist; die Werthschätzung
des Meisters wie die Zuweisung der verschiedenen
Werke dürfte dagegen von der Kritik nicht durchweg
getheilt werden.

Mainz. Friedrich Schneider.

Von den im letzten Heft besprochenen „Bau- und
Kunstdenkmälern Thüringens", bearbeitet von
Professor Dr. P. Lehfeldt, ist inzwischen eine weitere,
9 Bogen umfassende Lieferung erschienen:

Heft VI, welches den Amtsgerichts-Bezirk
Saalfeld behandelt. Die hier eingeführte Neuerung,
von einigen öfters vorkommenden fachlichen Aus-
drücken, namentlich Profil-Formen, das Verständnifs
durch gewisse ganz einfache Bildzeichen zu erleichtern,

erscheint als sehr praktisch und wird sich gewifs be-
währen. — Den Hauptbeilrag, ungefähr zwei Drittel
des Ganzen, liefert die Stadt Saalfeld selbst, zu-
meist durch ihre baulich recht bedeutende und auch
in Bezug auf ihre Ausstattung merkwürdige Johannis-
kirche, der deswegen auch eine grofse Anzahl von
Lichtdrucktafeln und Text-Illustrationen gewidmet ist.
Neben ihr verdient das spätgothische Rathhaus be-
sondere Beachtung, auch das eine und andere Wohn-
haus mit ganz interessanten Details. Dafs der Bezirk
eine aufsergewöhnlich grofse Anzahl von Flügelaltären
und von einzelnen Holzfiguren aufweist, ist nicht mehr
zu verwundern, nachdem der Verfasser in der „Zeit-
schrift für Thüringische Geschichte und Alterthums-
kunde", N. F. VI. Bd., eine Saalfelder Altarwerkstatt
nachgewiesen hat, die in der Spätzeit des XV. und in
der Frühzeit des XVI. Jahrh. an tüchtigen Leistungen
aufserordentlich produktiv gewesen ist, wahrscheinlich
unter dem Schutze und der Pflege der dort blühenden
und schaffenden Benediktinerabtei. — Möge die jetzt so
geschäftige Denkmäler-Statistik nach weiteren Künstler-
schulen und -Werkstätten recht erfolgreich forschen!

Italien. Forschungen zur Kunstgeschichte.
Herausgegeben von August Schmarsow. —
I. Band: S. Martin von Lucca und die Anfänge
der toskanischen Skulptur im Mittelalter von August
Schmarsow. Breslau 1890, Druck und Verlag von
S. Schottländer.
Diese Forschungen eröffnet der Verfasser mit einer
(248 Textseiten und 25 Abbildungen umfassenden) sehr
gründlichen und interessanten Studie über Sankt Mar-
tin von Lucca, d. h. über das diesen Heiligen mit
dem Bettler darstellende lebensgrofse Reilerbild von
Marmor an der reichen romanischen Fassade des Domes
von Lucca. Trotz seiner hohen kunstgeschichtlichen Be-
deutung wird es nur und zwar in geringschätzigem Sinne
von Crowe und Cavalcasalle erwähnt, die es um 1204
entstanden sein lassen, und in durchaus anerkennender
Weise von Enrico Ridolfi, der es in die zweite Hälfte
des XIV. Jahrh. versetzt, so dafs die wichtige Frage
entsteht, ob es vor oder nach Niccolo Pisano entstanden
sei. Diese Frage prüft der Verfasser an der Hand der
Baugeschichte des Domes, sowie durch Vergleichung
dieser Figur mit früheren, gleichzeitigen und späteren
Bildwerken zunächst in den Nachbarstädten Toskanas,
sodann in anderen Provinzen Italiens. Die sehr ein-
gehende und gründliche Prüfung bezieht sich zunächst
auf die Bildnerschule Lucca's im XII. Jahrh., weist dann
die Thätigkeit von Guido da Como am Dome in der
ersten Hälfte des XIII. Jahrh. nach, untersucht demnach
das weitere bildnerische Schaffen an demselben kurz
vor der Mitte des Jahrh., um im Anschlüsse daran die
bezügliche Wirksamkeit von Niccolo Pisano festzustellen.
Unmittelbar vor ihn stellt der Verfasser als den hervor-
ragendsten Zögling der Comaskenschule den Urheber
der St. Martinsgruppe. Die Beleuchtung und Aufklärung,
welche bei dieser Untersuchung die ganze romanische
und gothische Plastik Italiens erfährt, ist eine frappante,
die ganze streng wissenschaftliche Art der Prüfung eine
sehr lehrreiche und anregende. 1).
 
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