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Zeitschrift für christliche Kunst — 2.1889

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Humann, Georg: Die Restaurirung kirchlicher Bauwerke betreffend
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https://doi.org/10.11588/diglit.3570#0167

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285

1889.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 9.

286

Die Restaurirung kirchlicher Bauwerke betreffend.

Mit 2 Abbildungen.

n den Heften 4 und 5 des Jahr-
l gangs I] dieser Zeitschrift sind
I von geschätzter Seite sowohl die
| hauptsächlichsten Fehler gerügt,
welche bei Restaurirung kirch-
licher Bauwerke begangen zu wer-
den pflegen, als auch viele be-
achtenswerthe Rathschläge ertheilt
worden.

An dieser Stelle möge jedoch
der Versuch gestattet sein, noch
einige Einwendungen zu widerlegen, die seitens
der Restauratoren fast stets und mit Nachdruck
geltend gemacht werden, wenn zur schonenden
Behandlung der betreffenden Bauwerke aufge-
fordert wird. Zunächst heifst es dann, um den
eigenen Mangel an Pietät zu entschuldigen,
dafs auch im Mittelalter, um Raum für neue
Schöpfungen zu gewinnen, ohne Schonung mit
den Werken der Vergangenheit aufgeräumt sei.
Dieser Behauptung gegenüber dürfte zu be-
merken sein, dafs dasjenige, was man in früheren
Jahrhunderten dem Abbruche preisgegeben hat,
zu damaliger Zeit im Allgemeinen weder
den wissenschaftlichen noch praktischen
Werth besafs, welcher den bis auf die Gegen-
w a r t geretteten Kunstobjekten der Vergangen-
heit eigen ist. Denn einerseits wird die Kunst-
geschichte als Wissenschaft erst in unserer Zeit
gepflegt, andererseits müssen wir in Ermangelung
eines eigenen Baustils die Werke längst ver-

[Obige Initiale ist einem Graduale entnommen,
welches sich in der Bibliothek des Priesterseminars
zu Köln befindet und aus dem Kölner Minoritenkloster
stammen soll. Auf dem ersten ganz mit architektonisch
eingefafsten Figürchen ausgestatteten (leider sehr ver-
letzten) Blatte desselben kniet zu Füfsen des segnenden
Heilandes ein Franziskanermönch, der mit beiden Hän-
den eine Tafel hält, auf der folgende Minuskel-Inschrift:
„Ego frater iohannes de valkenburg scripsi et notaui
et illuminaui istud graduelle et compleui anno domini
millesimo ducentesimo Ixxxxviiii" (also 1299). Der
im Anfange des XVI. Jahrh. neu gebundene, daher
etwas beschnittene Kodex enthält auf jeder Seite
mehrere Initialen, unter denen romanisch-gothische
Majuskeln, rothe auf blauem, oder blaue auf rothem
überaus zierlichem Arabeskengrund, mit sehr charakte-
ristischen frühgothischen Uncialen abwechseln. Letztere
■n Hunderten von Exemplaren vorhanden, ohne dafs
jedoch jemals eine mit der anderen ganz übereinstimmt,
s'nd in ganz schwarzer Tusche ausgeführt und mit

gangener Zeit zu Vorbildern nehmen. Weder
die eine noch die andere Rücksicht hatte man
in früherer Zeit den Schöpfungen vergangener
Kunstperioden entgegen zu bringen. Auch waren
die Bauten, welche man an die Stelle der älteren
setzte, in den meisten Fällen nicht allein in
Bezug auf Gröfse und Reichthum, sondern auch
auf künstlerischen Charakter von höherem Werthe
als die abgebrochenen Bauwerke. Denn die
spätromanischen Kirchen stehen auf einer künst-
lerisch entwickelteren Stufe als die frühroma-
nischen, und die gothischen überragen wiederum
(jedenfalls in praktischer, zum Theil auch in
ästhetischer Hinsicht) die romanischen Bauten.
Zudem besafs man zu allen Zeiten des Mittel-
alters eine Kunst, welche aus dem ganzen Em-
pfinden der Zeit hervorgegangen, mit der ganzen
Kultur aufs Innigste verbunden war, während
den heutigen Neuschöpfungen dieser bedeut-
same Charakter durchaus fehlt. Man durfte also
in früherer Zeit mit Recht das Bewufstsein
haben, Besseres oder doch Gleichwerthiges an
Stelle des Aelteren zu setzen, ein Bewufstsein, zu
dem die Gegenwart mit ihren Neuschöpfungen
weniger berechtigt ist.

Auch dürfte die Frage aufgeworfen werden,
ob denn wirklich im Mittelalter in dem Mafse
rücksichtslos mit älteren Bauwerken verfahren
sei, wie dies fast immer behauptet wird, und ob,
soweit ein Mangel an Schonung älterer Werke
gefunden wird, diesem stets die volle Billigung



einigen Zinnober-Strichen (in der Regel Mittelstücke
eines Vertikalbalkens) und -Punkten. Das stets aus-
gesparte Füllornament besteht in geometrischen und
vegetabilischen, vornehmlich aber in animalischen Ge-
bilden, die vorzüglich gezeichnet und dem Räume
höchst geschickt eingegliedert sind. Da sie nicht
allein in archäologischer, sondern auch in praktischer
Beziehung (für die kalligraphische Benutzung) von
grofser Bedeutung sind, so werden manche derselben
in unserer Zeitschrift vor und nach in Abbildung er-
scheinen. — Auch die zahlreichen figürlichen Darstel-
lungen, welche in reicher architektonischer Anlage in
Verbindung mit überaus zierlichen Randeinfassungen
den Text verzieren, sind in Zeichnung und Farbe von
solcher Vollendung, dafs sie zu den besten künstle-
rischen Erzeugnissen der deutschen Franziskaner zählen,
die namentlich im XIII. Jahrh. nicht nur auf die Archi-
tektur und Plastik, sondern noch mehr auf die Malerei,
speziell auf die kölnische, von sehr massgebendem
Einflüsse gewesen sein dürften.] D. H.
 
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