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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Meier, Paul J.: Zur Baugeschichte frühmittelalterlicher Krypten
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0080
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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

in

dann, welchen Zweck hätte die Trennung der
quadratischen und halbkreisförmigen Hälfte der
Altfriedsgruft durch die dicken Pfeiler gehabt,
und warum wurde nicht dieStelle zur Errichtung
eines Hochaltars gewählt, die sonst stets dazu
diente: die Apsis, über der doch der Hoch-
altar der Oberkirche stand, warum wurden viel-
mehr zwei Altäre in das Quadrat gestellt, der
Hauptaltar dagegen in der Marienkapelle ge-
lassen, die — nach B.'s Rekonstruktion — nicht
allein nicht unter dem Chor der Oberkirche
lag, sondern sich äufserlich ebenso als ein ganz
besonderer, niederer und mit eigenem Dach
versehener Anbau zu erkennen gegeben hätte
wie sie innerlich durch die Apsismauer der
Altfriedsgruft und die eigene Westmauer voll-
ständig abgeschlossen gewesen wäre.

Alle diese Schwierigkeiten lösen sich mit einem
Schlage, wenn wir die Angabe der Fundatio,
dafs der Hochaltar des Altfrieddoms über dem
Altar der Marienkapelle zu stehen kam, — wie
es an sich das Natürlichste ist — ganz wörtlich
auffassen, und annehmen, dafs Altfried einfach
den hohen Chor über die Kapelle zog, den
Mauern derselben durch Verstärkung gröfsere
Tragkraft gab und seinen Dom somit mit Chor-
viereck und Apsis ausstattete6). Jene aus-
drückliche Angabe der Fundatio scheint mir
aber noch eine ganz besondere Bedeutung zu
haben. Bischof Gunthar hatte den ersten, südlich
von der Marienkapelle gelegenen Dom in Hil-
desheim der hl. Caecilie geweiht,7) Altfried aber
kehrte zur Jungfrau Maria zurück, der bereits
König Ludwigs Kapelle heilig war. Diese aber
hatte man an einer Stelle gegründet, die nach
frommem Glauben durch ein Wunder genau
bezeichnet war; denn die Reliquien, die dies
Wunder bewirkt haben sollten, waren solche der
Jungfrau Maria. Liegt die Sache hier nicht
ganz ähnlich, wie beim Grabe des hl. Ludgerus

6) Dieser Ansicht folgt B. auch noch in seinem
Buch über die Hildesh. Bischöfe, wie aus der Er-
gänzungsskizze S. 7 hervorgeht.

7) Die Rekonstruktion dieser Anlage in B.'s Buch
über die Hildesheimer Bischöfe S. 7 scheint mir äus-
serst wahrscheinlich zu sein. Wenn hier die Marien-
kapelle mit dem Kreuzgang in Zusammenhang gebracht
wird, so mag das Vorbild von der Petruskapelle bei
S. Ludgen in Helmstedt dazu benutzt sein. Zugleich aber
würde es sich leicht erklären, dafs bei dem Bau des
neuen Doms unter Altfried und der Benutzung der
Marienkapelle für ihn einerseits, der Beibehaltung der
Konventsgebäude aber andrerseits der Kreuzgang des
Doms an dessen Ostseite zu liegen kam.

in Werden a./R. ? Der Gründer des dortigen
Klosters hatte sich selbst östlich der von ihm be-
gonnenen Salvatorkirche die Grabstätte bestimmt,
über die sich bald eine Grabkapelle erhob. Abt
Adalwig aber (seit 1066), der diese Stelle ge-
wahrt wissen, aber doch seinem Chorneubau
durch den Körper des Heiligen eine besondere
Weihe verleihen wollte, zog den Chor über
diese Gruft hinweg und versetzte die Gebeine
in die Oberkirche, d. h. in ein höheres Stock-
werk, das sich unmittelbar über dem Grabe
befand.8)

Dazu kommt, dafs nach unserer Annahme
bei Hezilos ursprünglichem Chorschlufs nur die
Apsis der Marienkapelle ausgeschlossen blieb,
und dies durch den Wortlaut der Fundatio be-
stätigt wird. Denn mit dem an sich unklaren
Ausdruck exterior ambitus crypte, der aber
durch den Zusatz cui (sc. crypte) in sui oricntali
exiremo altare illudprimitivi sacelli adherebat,
hoc inquam crypte ambitu cum eodem primitivo
altari excluso etc. sofort näher bestimmt wird,
kann doch nur die Apsis verstanden werden,
gleichviel, ob bei dem „Umgang" mehr an den
schmalen Raum um den Altar oder den äufseren
Halbkreis gedacht wird.

Jetzt verstehen wir auch erst, warum man
die neue Gruft und die alte Kapelle durch
Pfeiler von geringer Breite, aber beträchtlicher
Tiefe trennte. Diese Pfeiler sind nichts anderes,
als der letzte Rest der Mauer, die früher im
Westen die Marienkapelle abschlofs und nun
von drei Oeffnungen durchbrochen wurde, da-
mit eine Verbindung mit der neuen Gruft her-
gestellt wurde.

Nun das eine, oben bereits erwähnte Be-
denken bleibt allerdings noch bestehen, dafs näm-
lich Hezilo, der die Zahl der Domherrenstellen
vermehrte, eigentlich doch keine Veranlassung
hatte, bei seinem Neubau durch Fortlassen einer
Apsis den Platz für das Gestühl der Domherren
gegen früher einzuschränken. Aber ich'möchte
diesem Bedenken schon an sich nicht die
Bedeutung zumessen, dafs ich seinetwegen alle
die oben erwähnten Unwahrscheinlichkeiten mit
in den Kauf nehmen würde. Und gesetzt selbst
den Fall, der Raum für die Chorstühle wäre
wirklich durch Hezilo zu stark beschränkt
worden, so liefse sich dafür doch ein ganz be-
stimmter Grund anführen. Hezilos beschöfliche
Thätigkeit ist nämlich, wie sich aus der Fundatio

8) Vgl. Bucelinus /■Germania Sacra« II, 314.
 
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