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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0119

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I6fl

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

170

es am 27. Oktober 1481 in der Kapelle an
Historien noch zu malen gab, waren die letzten
6 Historien des Zyklus damals schon vollendet?
Unmöglich, denn Signorelli kann mit seinen
beiden Werken (Abschied Mosis und Kampf
um dessen Leichnam) nicht vor dem letzten
Drittel des Jahres 1482 begonnen haben.

Oder waren etwa die 4 noch übrigen
Historien, Untergang der Rotte Köre (Botti-
celli), Schlüsselübergabe (Perugino), Abendmahl
(Rosselli) und Auferstehung Christi (Ghirlandajo)
Probebilder der 4 Meister? Diese wären dann
wohl identisch mit den 4 Historien, die am
17. Januar 1482 taxiert werden, und wohl
zugleich mit den Bildern, die am 27. Oktober
1481 schon fertig, aber noch einzuschätzen
waren. Von Steinmann und dem, welcher seine
Forschungsergebnisse annimmt, ist diese Frage
zu verneinen. Bieten auch Rosseliis Abendmahl
und das untergegangene Bild Ghirlandajos zur
Lösung der Frage keinerlei Anhaltspunkte,
so können der Untergang Kores als Denkmal
des päpstlichen Triumphes über Zamometiü und
die Schlüsselübergabe, welche das Porträt des
erst Weihnachten 1482 nach Rom gekommenen
Herzogs Alfons enthält, nicht vor Ende 1482
angefangen bzw. vollendet worden sein. Allein,
es ist schon an anderer Stelle (Archiv für
christl. Kunst 1906, Nr. 2—6) nachgewiesen
worden, daß die von Steinmann dem Unter-
gang der Rotte Köre beigelegte zeitgenössische
Anspielung unbegründet ist. Etwas anders
liegt die Frage bei der Schlüsselübergabe.
Steinmann weist in diesem Fresko 2 Apostel
und 3 Porträtgestalten dem Signorelli zu und
erklärt dessen Anteil an dem Bilde damit, daß
Perugino aus irgend einem nicht mehr festzu-
stellenden Grunde seine Tätigkeit in der Kapelle
abbrechen mußte und Signorelli für ihn eintrat
(Sixtinische Kapelle I, 356 ff.). Eines von den
nach Peruginos Abgang von Signorelli ge-
malten Porträts hält er für den Herzog
Alfons von Kalabrien. Und in der Tat kann
man einige Ähnlichkeit mit dem bei Steinmann
mitabgebildeten Medaillenporträt herausfinden.
Allein, es sind doch auch so bedeutende Ab-
weichungen vorhanden, daß die Identität keines-
falls in der Argumentation hätte verwertet
werden dürfen. Die Ähnlichkeit des Medaillen-
porträts mit dem Kopf des unmittelbar neben
dem angeblichen Prinzen stehenden Jünglings

ist doch ohne Frage sehr viel größer. Allein,
die hier verewigten jungen Leute haben sicher-
lich beide mit dem Prinzen (nachmaligen König)
Alfons von Neapel nichts zu tun. Aber auch
bei der Begründung des Anteils Signorellis
an der Schlüsselübergabe können wir Steinmann
schon nicht folgen. Nach dem von ihm überall
betonten Gesetz der Freskotechnik mußten der
ganze architektonische Hintergrund und der
Tempelhof mit den beiden Miniaturgruppen
schon fertig sein, ehe an die Ausführung der
Apostelreihe geschritten werden konnte. Von
dieser hat Perugino die meisten Figuren nicht
bloß selbst gezeichnet, sondern eigenhändig zu
Ende gemalt. Wie sollte er dabei auf die
Idee gekommen sein, mitten in der Reihe hier
den Raum für 2 Apostelgestalten und da für

2 andere Figuren und dort für eine Person
auszusparen, welche dann Signorelli nach
eigener Erfindung eingefügt hätte? Klar ist
nur, daß die Modelle der beiden fraglichen
Apostel (in der Schlüsselübergabe) auch dem
Signorelli für den Abschied Mosis gestanden
haben, — ein Brauch, der sich in dem Zyklus
wohl dutzendfach belegen ließe — aber eine
Vergleichung der psychologischen Qualitäten
und der technischen Behandlung der betreffen-
den Figuren in beiden Fresken muß unseres
Erachtens gerade hier auf verschiedene Autoren
führen. Bei den 3 Porträtfiguren können auf
Grund von Stilkritik erst recht so bestimmte
Urteile nicht begründet werden. Keinesfalls
stellt also die Schlüsselübergabe der Annahme,
daß unsere 4 Fresken am 27. Oktober 1481
schon vollendet waren, ein Hindernis in den Weg.

Trotzdem wäre der zu dem Vertrag vom
27. Oktober 1481 und zu der Schätzungsurkunde
vom 17. Januar 1482 so auffallend stimmende
Lösungsversuch sicher nicht richtig. Be-
trachtet man von dem Zyklus insbesondere die

3 Werke Botticellis nach dem Gesichtspunkt
des künstlerischen Entwicklungsgangs, so ist
unleugbar, daß der Weg von dem Wüstenauf-
enthalt Mosis und Christi zum Untergang der
Rotte Köre führt und nicht umgekehrt. Es
wäre auch zu sonderbar, wenn Dolci mit der
Ausführung der Malereien nicht am Anfang
des Bilderkreises oder schließlich auch am Ende,
sondern ganz willkürlich zwischendrein hätte
beginnen lassen. (Forts, folgt.)

Freiburg i. Br. Anton Groner.
 
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