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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0157

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231

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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ausgeführt wurde, die Berufung Petri und Aarons
zum Hohenpriestertum, — beim Abendmahl
und dem Abschied Mosis konnte eine solche
gegenseitige Rücksichtnahme in der Kompo-
sition kaum in Betracht kommen —, lehrt zur
Genüge, wie wenig die Übereinstimmung zu
erreichen war, wenn die Themata beiderseits
unabhängig gestaltet wurden. Können wir
doch heute nur durch einen Analogieschluß
erkennen, daß die beiden Miniaturszenen in
der Schlüsselübergabe nicht lediglich Staffage
sind, wie in ähnlichen Werken der umbrischen
Schule, sondern den beiden Nebenszenen des
Gegenbildes entsprechen. Hätte Botticelli oder
Perugino beide Fresken ausgeführt, dann würde
die Komposition ohne Zweifel besser zusammen-
stimmen. Wenn nun schon bei Gestaltung der
einfachen Aufgabe, eine Haupt- und 2 Neben-
gruppen vor einem architektonischen Hinter-
grund zu einem übersichtlichen und monu-
mentalen Ganzen zu verbinden, eine solche
Disharmonie entstand, was wäre dann erst
daraus geworden, wenn 2 verschiedene Künstler
die beiden Wüsten- oder gar die Gesetzgebungs-
oder die Berufungsbilder unabhängig von ein-
ander ausgeführt hätten! Umgekehrt hätte der
Künstler bei einem an sich so verschieden-
artigen Stoff wie Berufung der ersten Jünger
und Durchzug durchs Rote Meer die gegen-
seitige Anpassung doch kaum mehr weiter
treiben können, als wir es in diesem Fresken-
paar sehen. Der Auszug aus Ägypten
muß notwendig von Ghirlandajo zusammen
mit der Berufung der Jünger entworfen
worden sein.

Bisher war man bei der Erörterung unserer
Frage lediglich auf Stilkritik, eine doch immer
sekundäre Erkenntnisquelle, beschränkt. Die
erste eingehende Untersuchung hat Schmarsow
(Melozzo da Forli, S. 218 ff.) durchgeführt. Er
schreibt das Bild in der Hauptsache Ghirlandajo
zu, weist aber zugleich in einigen Figuren der
linken Gruppe eine Beteiligung des Rosselli-
schülers Piero di Cosimo nach. Ihm ist
Ulmann (Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsamml.
1896, S. 54 ff.) insoweit gefolgt, als auch er
das Fresko als Ganzes und die rechte Seite im
besonderen unbedingt dem Domenico Ghirlan-
dajo zueignet; in der linken Hauptgruppe dagegen
bestreitet er eine Beteiligung Cosimos, dessen
Jugendwerke einen durchaus anderen Stil zeigen,
und über dessen Verhältnis zu Ghirlandajo wir
nichts wissen, und nimmt er eine Mithilfe

Benedetto Ghirlandajos, des Bruders Domenicos,
an. Knapp (Piero di Cosimo, Halle 1899,
S. 21) hat sich ihm vollständig angeschlossen.
Steinmann sprach in seinem Sixtinawerk(I,432ff.)
die Urheberschaft dem Ghirlandajo überhaupt
ab und dem Rosselli zu. Dieser sei freilich
damals selber wohl gar nicht mehr in Rom
gewesen, sondern habe die Ausführung ganz
dem Piero di Cosimo, der also nicht auf ein-
mal als Schüler Ghirlandajos erscheine, und
einem anderen unbekannten Schüler überlassen.
Im wesentlichen die gleiche Auffassung hatte
dieser Forscher schon 1895 (Jahrbuch der Kgl.
preuß. Kunstsamml.) vertreten und auch W.
Kailab hatte diese Ansicht inzwischen verteidigt
(Jahrbuch der kunsthist. Samml. des allerh.
Kaiserhauses XXI, 1900, S. 73 f.).

Schon diese Zusammenstellung der sich
widerstreitenden Ansichten lehrt, daß der Stil-
kritiker gerade bei diesem Fresko doppelt vor-
sichtig sein muß, zumal da die in ohnmächtiger
Wut verzerrten Gesichter der Untergangsszene
und die Bildnisse in der Mosesgruppe stil-
kritische Vergleiche erschweren. Es kann sich
für uns hier nur darum handeln, die Ergebnisse
der bisherigen Untersuchungen kritisch zu ver-
werten. Und da behalten Schmarsow und Ulmann
entschieden darin Recht, daß das Werk als
Ganzes von Ghirlandajo stammt. Es finden
sich auch in beiden Hauptgruppen Typen, die
alle Kennzeichen Ghirlandajos zur Schau tragen,
z. B. der an der Spitze der Ägypter unter-
sinkende Greis und links der mit Rückansicht
aufgestellte Krieger. Es ließe sich selbst eine
künstlerische Schrulle für ihn geltend machen,
die von vielen Schrunden durchquerte Unter-
lippe, die bei mehreren Köpfen der Moses-
gruppe und auch im Gegenbild (z. B. bei
Petrus und einigen Bildnissen) auffällt. Die
für die Autorschaft Cosimos geltend gemachten
Beobachtungen sprechen teilweise sogar direkt
für Ghirlandajo. Die angeblich für Cosimo
charakteristischen nackten Felskegel z. B. sind
doch wie aus der Berufung herübergesetzt; die
eigenartigen Wolkenumrisse mit ihrer besonderen
Beleuchtung haben im ganzen Zyklus Anklänge
nur in der Berufung; die angeblich für Cosimo
charakteristische Baumkrone findet sich ebenso
im Gegenbild, und andere eigentümliche Baum-
typen kommen im ganzen Zyklus nur mehr
in der Berufung vor.

Andererseits kann jedoch die von ver-
schiedener Seite behauptete Mithilfe Cosimos
 
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