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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0156

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229

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

230

reien der Altarwand fertig war, geht mittelbar
aus dem Vertrag hervor, und eben dies hat
wohl den Anlaß für die im Vertrag festgelegte
weitere Arbeitszuweisung gegeben. Daß die
3 anderen Künstler, die ihre Arbeit — wir
wissen nicht wann und ob gleichzeitig — im
obersten Stock begonnen hatten, genau zu
derselben Zeit ihre Aufgabe vollendet gehabt
hätten, wäre doch ein seltsamer Zufall. Aus
den beiden Tatsachen, daß in dem Vertrag nur
von den Historien und den Teppichen als noch
zu malen die Rede ist und in der Urkunde
vom 17. Januar 1482 die Papstbilder mit-
geschätzt werden, müßte man schließen, daß
am 27. Oktober 1481 wenigstens die 20 Päpste
über den ersten 10 Historien schon vollendet
waren, wenn hier nicht der an den Geschichts-
bildern nicht beteiligte Fra Diamante zu berück-
sichtigen wäre. Wir möchten auf die auf-
fallende Tatsache hinweisen, daß gerade dieser
eine zusammenhängende Reihe von 5 Päpsten
gemalt hat, während den 3 anderen Künstlern
immer höchstens 2 Figuren nebeneinander zu-
gehören. Sollte das nicht darauf hinweisen,
daß Fra Diamante die am 27. Oktober noch
offene Lücke in der Papstgalerie mit seiner
Reihe von 5 Bildern — seine anderen 2 oder
3 Bilder sind unter den übrigen zerstreut —
vollends geschlossen hat, während Botticelli,
Rosselli und Ghirlandajo jetzt unten beschäf-
tigt wurden ? Dazu stimmt zugleich vorzüglich,
daß Fra Diamante allem nach in der 1. Hälfte
des Jahres 1482 ausschied; denn im Juni 1482
macht er erstmals die vom Papst für seine
Malereien in der Kapelle erhaltene Honorar-
anweisung auf die Güter der Badia von S.
Fedele di Poppi geltend, mußte freilich ein
volles Jahrzehnt prozessieren und sich schließ-
lich zu einem Vergleich verstehen (Steinmann,
Sixtinische Kapelle I, 202 ff.).

So erweisen sich die scheinbaren Wider-
sprüche, in welche uns die urkundlich fest-
stehende Tatsache, daß die Maler am 27. Ok-
tober 1481 die ersten 10 Historien zum Fertig-
malen übernehmen, bei genauerem Zusehen
als bloße Mißverständnisse. Und wir dürfen
nun mit Sicherheit sagen: am 27. Oktober
1481 war Perugino mit den Malereien der
Altarwand fertig, und übernahm jeder der 4 den
Vertrag schließenden Künstler ein zusammen-
gehöriges Freskenpaar.

Damit ist zugleich ein sicherer Ausgangs-
punkt gewonnen für die Erörterung einer

Einzelfrage. Wir haben in obigem Schema
nur den Namen des Künstlers, dem das Fresko
als Ganzes zugehört, namhaft gemacht, weil für
unsere Untersuchung der größere oder geringere
Anteil von Schülern außer Betracht bleiben
kann. Die Autorschaft der betreffenden Künst-
ler ist bei 15 von den 16 Bildern unzweifelhaft
und allgemein angenommen, nur die Zu-
gehörigkeit des Auszugs der Israeliten ist
strittig. Wir haben unter dieses Enfant terrible
der Stilkritiker ohne Fragezeichen den Namen
Ghirlandajo gesetzt und schulden dafür die
Begründung.

Nach unseren bisherigen Darlegungen können
wir mit Sicherheit sagen, daß das Fresko zu-
gleich mit seinem neutestamentlichen Gegenbild
am 27. Oktober 1481 von Ghirlandajo über-
nommen wurde. Und eine Vergleichung der
beiden Fresken beweist uns, daß das Auszugs-
bild gleich seinem Gegenstück als Ganzes nur
von Ghirlandajo herrühren kann. Man darf
dabei allerdings nicht von der Steinmannschen
Erklärung des Bilderkreises ausgehen, wonach
der wohl ursprünglich vorhandene einheitliche
Plan später vollständig zerrissen und die Be-
gebenheit am Roten Meer insbesondere als
eine Verherrlichung des Siegs von Campo
Morto, die mit dem Inhalt des Zyklus gar nichts
zu tun, sondern im Gegenteil auch noch den
Inhalt der benachbarten Historien in Unordnung
gebracht hätte, erst nachher in die Reihe ein-
gekeilt worden wäre, sondern von der Tatsache,
daß der ganze Bilderkreis, wie wir ihn (ab-
gesehen von dem Wegfall der beiden ersten
Historien) noch heute vor uns sehen, nach
dem bis ins Kleinste und Einzelste geradezu
genial entworfenen Plan auch wirklich aus-
geführt wurde.1) Auf dieser Grundlage ist
es durchaus undenkbar, daß von Gegen-
stücken wie Bergpredigt und Gesetzgebung
oder Wüstenaufenthalt Mosis und Christi,
auch Taufe und Beschneidung und nicht zum
wenigsten Berufung der Jünger und Auszug
Israels das eine Bild ausgeführt wurde, ohne
daß gleichzeitig auch das Gegenstück wenigstens
in seinen Hauptzügen entworfen worden wäre;
so sehr sind diese zusammengehörigen Fresken-
paare in allen Einzelheiten der Komposition auf-
einander abgestimmt. Und gerade dasjenige
Historienpaar, das von 2 verschiedenen Malern

') Vgl. die Erklärung des Wand-Historienzyklus
oben Spalte 195 ff. sowie die Abhandlung im •Archiv
für christl. Kunst« 1906, Nr. 2—6.
 
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