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Zeitschrift für christliche Kunst — 21.1908

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Schnütgen, Alexander: Zehn Elfenbeinreliefs des XIV. und XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4126#0150
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1908. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

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Wickelkinde, zu dessen Füßen, etwas verküm-
mert, Ochs und Esel. Der hl. Joseph hockt
nebenbei, Engel, Hirt und Schaf schließen
oben die Gruppe ab unmittelbar unter der
ganz flachen Arkatur. — Fast noch reicher
an Figuren ist die obere Kreuzigungsszene,
die trotz der miniaturartigen und sehr flachen
Behandlung durchaus klar und anschaulich
wirkt, so daß an einen namentlich in der
Figurenschnitzerei sehr geübten Künstler des
Niederrheins in der zweiten Hälfte des XIV.
Jahrh. zu denken ist, der schon, im Sinne der
Zeit, der mehr plastischen Art sich abgewandt
und der malerischen zugekehrt hatte.

5. Relief, oben und an der Seite leider
beschnitten, von 55 mm Breite, 85 mm Höhe
ohne das neue Holzrähmchen, stark nachge-
dunkelt, vor circa 20 Jahren in Aachen er-
standen, ist 3. in stilistischer Hinsicht sehr ver-
wandt, minder fein empfunden, derber, auch
weniger tief ausgeführt, aber doch mit einer
gewissen Sicherheit. Eine etwas spätere Ent-
stehungszeit als für 3, aber in derselben
Schultradition wird anzunehmen sein, eine
Art von Übergang zum Malerischen.

6. Relief, das trotz 66 mm Breite und
108 mm Höhe nur 3 mm stark, diesen Flach-
schnitt in noch stärkerem Maße zeigt. Diese
Andachtstafel könnte aus Mitteldeutschland,
wo (Frankfurt) es erworben wurde, stammen,
kurz vor dem Schluß des XIV. Jahrh., unter
dem Einfluß französischer oder flandrischer
Vorbilder ausgeführt, auf welche namentlich
auch die feine Bekrönungsarchitektur mit
ihren schlanken Fialen hinweist. Durch un-
gewöhnliche Zartheit zeichnen sich die Figuren,
durch malerische Weichheit die Gewänder aus.

7. Das flache Standfigürchen der be-
krönten Madonna, 25 mm breit, 80 mm hoch,
11 mm dick, stammt aus Aachen, wo es auch
entstanden sein könnte. Auf der Rückseite
das Relief des Gekreuzigten, dem die beiden
Arme abgebrochen sind. Als einheitliches
Schnitzwerk aus der Zeit um 1400 hatte es
die Bestimmung, von beiden Seiten besichtigt
zu werden.

8. Diptychon, 128 mm breit, 85 mm hoch,
7 mm dick, durch die ursprüngliche, rohe
Drahtverknüpfung verbunden. Vor kurzem aus
norddeutschem, dem Anscheine nach alten
Privatbesitz, an mich gesandt, erregte es bei

mir zunächst ein gewisses Befremden, bei
einigen sehr urteilsfähigen Kunstfreunden sogar
ernste Zweifel, die aber sicher nicht begründet
sind. Nicht um das selbständige Erzeugnis
eines geschulten Künstlers handelt es sich,
sondern um die mehr dilettantenhafte Leistung
eines bäuerlichen Schnitzers, der an derbere
Technik gewöhnt, unter dem Einflüsse eines
noch dem XIV. Jahrh. entstammenden Reliefs,
vielleicht ein Jahrhundert später, diese beiden
Tafeln mit ihrer eigenartigen Bekrönung ge-
arbeitet hat. Letztere erinnert durch ihre
wulstigen Bögen und noch mehr durch ihre
schaufeligen Kreuzblumen an Backsteingebilde
dieser Zeit, sowie an die Friese von nord-
deutschen Holzaltären und Stuhlwangen. Einige
der dargestellten Figuren, wie St. Johannes Ev.
und St. Jakobus Maj. einerseits, St. Antonius
Abb. andererseits haben noch das ältere Ge-
präge, während namentlich der Kruzifixus mit
seinen gekrümmten Händen und dem kurzen
Lendentuch schon den Einfluß der Spätgothik
verraten.

9. Pax, 55 mm hoch, unten 42 mm breit,
etwas konvex auf schraffiertem Grund mit der
flachgeschnitzten sitzenden Gewandfigur des
hl. Johannes Bapt, vor zwei Jahrzehnten in
Köln ausgegraben und hier wohl auch kurz
nach 1300 ausgeführt.

10. Devotionstafel mit der Darstellung
des Todes Maria, 65 mm breit, 104 m7ti hoch,
5 mm dick, aus Wollersheim stammend, in
der Mitte ausgesplittert und vom Bildhauer
P. Kürten, durch Einfügung geschnitzter Elfen-
beinspäne vortrefflich hergestellt; rheinische
Arbeit aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrh.
Um die zehn Personen unter der reichen
Architektur in dem engen flachen Raum so über-
sichtlich und klar unterzubringen, bedurfte es
einer geschickten Raumökonomie, unter der
aber weder die Harmonie der Gewandbehand-
lung, noch auch die Schärfe des physiogno-
mischen Ausdruckes irgendwelche Beeinträch-
tigung erfahren hat. Um die fast die ganze
Breite einnehmende liegende Gottesmutter,
neben der nur noch die sehr schlanke Stand-
figur eines Apostels als guter Seitenabschluß
Platz findet, sind die übrigen Figuren vortreff-
lich gruppiert, als deren Mittelpunkt der Hei-
land mit der Seele seiner Mutter erscheint,
auf dem durch den Mantelzipfel verdeckten
Arm. Schnütgen.
 
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