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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Silbervergoldete Turmmonstranz in der Pfarrkirche zu Dorsten i. Westf.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0048

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1910. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

58

Silbervergoldete Turmmonstranz in der Pfarrkirche zu Dorsten i. Westf.

(Mit Abbildung.)

|,ie sonst so nüchterne, ihres alten
Schmuckes bis auf einen Flügelaltar
vollständig beraubte Pfarrkirche

in Dorsten birgt ein köstliches
Juwel mittelalterlicher Goldschmiedekunst, eine
°7 cm hohe gotische Turmmonstranz, die zu
den besten Arbeiten dieser Art zu rechnen
ist. Die Geschichte wie sie selbst schweigen
über ihre Herkunft, über ihren
Verfertiger wie Stifter. Allein
eine der vielen angebrachten
Figuren könnte einen Anhalts-
Punkt geben, der hl. Nikolaus,
der Patron der in Dorsten bis
vor 20 Jahren blühenden Schiffer-
und Schiffbauerzunft. Da Dorsten
bis anfangs des verflossenen Jahr-
hunderts zu Köln gehörte und
speziell dem Dekanate Xanten
a' Niederrhein zugeteilt war,
"chtet sich die Vermutung von
selbst auf Köln oder den Nieder-
rhein als Entstehungsorte. Und
doch ist die Monstranz ausge-
sprochen ein Werk heimischer,
westfälischer Provenienz; das er-
weisen die Rundtürme, die dem
heimatlichen Ziegelbau entlehnt
sind und vor allem die eigen-
tümliche, der westfälischen Gold-
schmiedekunst der Gotik eigene
kreisförmige Einziehung des vier-
blättrigen Rosenfußes.

Einigen Schwierigkeiten scheint
man bei der Beurteilung des
Alters der Monstranz zu begeg-
nen, da der Fuß mit den fast
spätgotisch klingenden Gravuren eines Rosen-
zweiges auf das ausgehende XV. Jahrh. hinzu-
weisen scheint. Dem stehen aber die Formen
der Monstranz selber, in erster Linie einzelne
der reizend ziselierten Figuren schroff entgegen,
da sie energisch auf die erste Hälfte des Jahr-
hunderts zurückweisen. Zweifellos ist die
Monstranz ein Werk aus einem Guß und trotz
der naturalistischen Pflanzenmotive um 1450
anzusetzen.

Der Fuß als tragendes Glied des großen
Turmes ist schlicht und fest behandelt, fast
ohne plastischen Schmuck. Er hat die Form

ganzen,

einer Mispel oder Rosenblüte mit eingezogenen
Blattwinkeln. Die 4 scharf eingezogenen Blätter
haben an ihrer Peripherie je ein untersetztes
sechseckiges Türmchen mit Profilsockel, Zinnen-
kranz und Fensteröffnung, aus der nach Art
der Wasserspeier ein silbernes ziseliertes Hünd-
chen schaut. Die 4 Türme sind die Träger des
der durchbrochene Rand sowie die
vier in die Blattecken geklemmten
Zierstücke schweben frei. Die
Zierstücke sind außerordentlich
feine Arbeiten: Auf einem goti-
schen Thronsessel sitzt ein in
eine Mönchskutte gesteckter Affe,
der unter possierlichem Lächeln
eine Eichel zum Munde führt.
Diese Bewegung, wie das ganze
Gebaren, die spielende, naive
Haltung der Tierchen sind un-
gewöhnlich fein beobachtet, die
Ziselierung eine außerordent-
lich saubere und prägnante.
Ziemlich flach steigt der Fuß
zum Schaft, dezent belebt durch
polierte Adern, die zu den Eck-
türmchen hinüberleiten und gra-
vierte Rosenzweige in Glanzgold
auf mattiertem Grunde. Der
kräftige Schaft setzt ein mit einem
quadratischen Turmbau mit Eck-
streben, Zinnenbewehrung und
Flankentürmen. In spitzbogigen
Nischen sitzen vorn ein Knie-
stück des Schmerzensmannes,
rückwärtig das Brustbild einer
Madonna mit Kind und seit-
wärts die Ganzfiguren lauten-
spielender Engelchen. Das mit silbernen
Schindeln gedeckte Satteldach des Schaftturmes
bildet die untere Einziehung des Schaftes
zum Knaufe. Dieser selbst ist gebildet aus
einem reichen Gruppenbau von Erkern, Nischen,
Türmen und Portalen, abgedeckt durch kühn
ineinandergeschobene Schindeldächer, die
wiederum die obere Einziehung des Schaftes
bilden. Der Knauf ist so stark, daß eine
kräftige Manneshand ihn nicht umspannt.
Unter weit ausladenden Baldachinen stehen die
Figuren der hl. Katharina und eines bärtigen
Heiligen mit Buch. Ein scharf profilierter
 
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