Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

DOI article:
Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0106

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
147

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

148

bewegen, und drei Bandzonen geben in aus-
führlicher Inschrift die Erklärung für den
reichen Figurenschmuck, der Feuertopf und
Deckel schmückt23). In Anlehnung an eine
Stelle aus dem dritten Buche der Könige sitzt
Salomon auf dem von vierzehn Löwen ge-
tragenen Throne auf der Spitze des Deckels.
„Und der König machte einen großen Stuhl
von Elfenbein und überzog ihn mit dem edel-
sten Golde. Und der Stuhl hatte sechs Stufen,
und das Haupt hinten am Stuhle war rund,
und waren Lehnen auf beiden Seiten um den
Sitz, und zwei Löwen stunden an den Lehnen,
und zwölf Löwen stunden auf den sechs
Stufen auf beiden Seiten" (Reg. III (I) 10,
18—20). Die Stelle geht symbolisch auf eine
weitere bei Moyses I 49, 9: „Juda ist ein
junger Löwe ... er ist niedergekniet und
hat sich gelagert wie ein Löwe und wie eine
Löwin; wer will sich wider ihn auflehnen?''
Und dieser König Salomon sinnbildet den
wahren, einen König, den Heiland, der auf
die Opfer des Abel, des Melchisedech, Aaron
usf. vom Himmel her herniederschaut, die auf
den Dachgiebeln und am Feuerbecken in
Einzelfiguren und Gruppen dargestellt sind.
Es ist klar, es soll der Opfergedanke, das
Wohlgefallen Gottes am Opfer, speziell dem
Weihrauch, dem Rest alttestamentlicher Brand-
opfer, bildlich dargestellt werden. Es ließen
sich dafür noch weitere Parallelen anführen,
die drei Jünglinge im Feuerofen usf., daß
tatsächlich dieser Gedanke bei der bildnerischen
Ausschmückung maßgebend war, und nicht
etwa der Text der beim Inzensieren gesproche-
nen Gebete und des Psalmes. Eine hierauf
bezügliche Darstellung, etwa mit dem Erzengel
Michael, ist mir an keinem erhaltenen Stücke
bekannt geworden. Die Paradiesesfiüsse als
Sirinbilder der Gnadenströme, die sich ver-
einzelt an Räuchergefäßen finden, sind wohl

S8) Nach Rekonstruktion der Stellen, welche durch
später aufgenietete Ösen für die Ketten verdeckt
worden sind, lautet die Umschrift: Salomon curat
regnum terrestre, figurat vivificum verum regem per
secula renim ordo quem vatum circumdat, vaticinaiitum
Christum venturum carnisque necem subiturum. con-
spicit e celis rex summus munus Abelis, Melchisedech
isto similatur munere Christo, ne perimas Abraham
quem sie deducis ad aram deeipit, ecce patrem sup-
planteens denuo fratrem, tus Aaron fumat quod lucida
facta figurat virga docet, Moisi sit mens discreta magistra,
callem messie direxit vox Isaie, gentes hebraicos puer
instruxit Jeremias.

nur dem üblichen Formehkanon der kirchlichen
Kunst jener Zeiten überhaupt entlehnt24).
Jedenfalls kann das Trierer Prachtrauchfaß
als Idealtypus der entwickelten romanischen
Epoche gelten. Der Künstler oder Besteller,
der auf dem Fußrande sich nennt, ist eine
für die Kunstgeschichte leider unbekannte
Persönlichkeit, der Name klingt aber deutsch,
und das bestätigt unsere Vermutung, daß wir
dieses schöne Stück für die deutsche Kunst in
Anspruch nehmen können25). Mehr oderminder
arbeiten fast sämtliche Künstler mit dem
ihnen reichlich zuströmenden symbolischen
und allegorischen Material, aber es wäre durch-
aus falsch, wollten wir in allem und jedem
irgendeinen theologischen Gedanken durch-
geführt sehen; ihr Natursinn und ihre Phantasie
sprudelten viel zu reich, sie waren viel zu sehr
Kinder ihrer Zeit, als daß sie der Möglichkeit
überhaupt aus dem Wege gegangen wären,
wo sie nur konnten, ihren Vorstellungen, und
selbst öfter ihrer überaus launigen Satyre
freien Lauf zu .lassen. Das komplizierte Tier-
und Pflanzengeschlinge auch an den Weih-
rauchfässern erfüllt meist lediglich dekorative
Aufgaben und ist auch hier so reichhaltig wie
nur irgendwo sonst in der romanischen Klein-
kunst.

Eine ganz auffällige Eigentümlichkeit weisen
die Thuribula der frühen: Epochen auf, die
kurzen Ketten, die vielfach durch längere
Eisenstäbe ersetzt werden, die unter sich
wieder durch einzelne Kettenglieder verbunden
sind. Die Schale, in der die Ketten jetzt
oben zusammenlaufen, hat bei vielen Stücken
noch nicht die Einrichtung wie heute, daß
die Zugkette des Deckels seitwärts, nicht in
der Mitte der Platte, durchläuft; der Ring,
der später in der gotischen Periode und auch
heute an der Scheibe befestigt ist und zum
Tragen des Gefäßes dient, war ursprünglich
Zugring und Hemmung zugleich für die Deckel-
zugkette. Das brachte die eine Notwendigkeit
mit sich, das Rauchfaß so zu tragen, daß man
mit der Hand unter die Kettenscheibe faßte.

M) »qui le de Paradisi fönte manere fecit et in
quatuor fluminibus totam terram rigare praeeepit«
heißt es bei der benedictio fontis am Karsamstag. Ob
in der Darstellung der Pa'adiesesströme am Thuribulum
die alte Zweckverwandtschaft /wischen Weihrauch und
Weihwasser nachklingt, müssen wir dahingestellt sein
lassen.

**) Die Inschrift lautet: Hec tu quiso videns Goz-
bertus sit pete vivens.
 
Annotationen