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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0107

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149

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

150

So sahen wir es auch allenthalben auf den
bildlichen Darstellungen des frühen und selbst
noch des späteren Mittelalters, so auf der
bereits erwähnten Elfenbeinplatte in Cöln,
auf der Trierer Tafel, in den Wandmale-
reien der Sainte chapelle in Paris usf. Die
auffällige Kürze der Ketten dürfte darauf
zurückzuführen sein, daß das Rauchfaß mit
einer Hand nur geschwenkt wurde. Die Zahl
der Ketten wechselt durchweg zwischen drei
und vier; daß aber auch solche mit einer
Kette noch vorkommen, von denen das Museum
zu Kairo und Neapel Beispiele älterer Zeiten
bieten, das erweist uns der Erklärungsversuch
des Durandus, der nun einmal allen Einzel-
heiten eine Deutung unterlegen will: „Wenn
das Thuribulum aber nur an einer Kette
getragen wird, so besagt das, daß er (Christus)
allein aus einer Jungfrau geboren wurde."
Über die Vielzahl der Ketten meint er: „. . .
wie beim Thuribulum der obere und der
untere Teil durch drei Ketten zu einem ein-
zigen Stück gemacht werden, so sind auch in
Christus drei Vereinigungen... einige (Thurib.)
symbolisieren auch noch eine vierte Ver-
einigung „ut divinitatis ad compositum simul
ex anima et carne" . . . „Wenn das Thuri-
bulum vier Ketten hat, dann zeigt es, wie sie
(die Seele Christi) sich aus vier Elementen
zusammensetzt, oder vielmehr aus vier Tugen-
den, nämlich der iustitia, prudentia, fortitudo
und der temperantia. Die fünfte Kette, welche
die beiden Teile voneinander trennt, be-
zeichnet die Seele, welche sich im Tode vom
Fleische trennt."26)

Eine eigene Bearbeitung erfuhren auf Grund
der bei ihnen verwerteten Emailtechnik die
in den Werkstätten von Limoges verfertigten
Rauchfässer, von denen mehrere erhalten sind.
Der mit Email und vergoldeter ä-jour-Arbeit
geschmückte Deckel ergänzt sich mit dem
Feuerbecken, der älteren Gepflogenheit folgend,
meistens zu einer ausgeprägten Kugel. Die
Rauchdurchlässe sind wie bei dem frühen
Mannheimer Exemplar mit geschnittenem und
nachgetriebenem Blatt- und Tierornament mit
guter Vergoldung ausgefüllt, der Feueibehälter
und der Deckel sind außerdem durchgängig
graviert.

Neben diesen steht eine weitere Klasse
für sich selbständig da, die in Italien ihr Ent-
stehen gefunden haben mag. Sie behält eben-

26) a. a. O. Lib. IV de thutificatione.

falls die Kugelform bei; das ()rnament bilden
Drachen und vor allem Greifen, deren Schwänze
zu Laubwerk sich auswachsen; keilförmige,
glatte, weit vorspringende Grate teilen die
Oberfläche des Beckens wie des Deckels in
mehrere gestreckte rechteckige Felder; eine
durch Halsring mit dem Deckel verbundene
Laterne auf der Spitze erinnert an die im
Norden gebräuchliche Form des architekto-
nischen Aufbaues (Abb. VIb.).

Auf den ersten Blick sollte man glauben,
es fehle uns an Material, um die Verbindung
zu finden zwischen diesen so zahlreich auf-
tretenden Weihrauchgefäßen der romanischen
Periode und der nachfolgenden, der Gotik.
Aber, nur weniger bemerkbar, man ist fast
versucht, zu sagen vermittelter, vollzieht sich
die Überführung in die neue Formenwelt.
Das war ja auch nichts weiter denn natur-
gemäß, hatten doch die Schöpfer der romani-
schen Thuribula aus verschiedenen Gründen,
einmal um eine reiche Gestaltung zu ermög-
lichen, dann auch, um dem Deckel ein größeres
Übergewicht nach unten hin zu verleihen, in-
folgedessen er sich leichter senkte und
fester autlag, diesem einen laternenförmigen
Aufbau gegeben. Daran brauchte die Gotik
nur anzuknüpfen, um das Thuribulum seinem
Formenempfinden zu unterwerfen. Ein gut
erhaltenes Exemplar aus dem XIII. Jahrh.
bewahrt das Hamburgische Museum für Kunst
und Gewerbe, das uns zeigt, wie unmerklich
fast der Übergang in den neuen Stil sich vollzieht.
Der früher apsidal ausgebaute untere Teil
des Deckels streckt sich und gestaltet sich zum
gotischen „Leib" aus, auf den nur noch auch
der Riese, der Turmaufsatz zu kommen braucht,
um die gotische Form zu erreichen. Die alt-
hergebrachte Kugelform mit senkrecht abge-
schnittenen Kalotten hält sich bis in die
Renaissancezeit hinein, der als schlichter Reif
gebildete Fuß des Gefäßes bekommt eine be-
lebtere Gestalt, indem man ihm die Form
eines Vierpasses oder Sternes gibt. Das
Thuribulum unterwirft sich eben, wenn auch
meistens aus unedlem Metall verfertigt, ganz
und gar der Goldschmiedekunst, wahrschein-
lich in Anlehnung an die aus Silber verfertigten
Stücke, und dieselben Konstruktions- und
Ausstattungsgesetze, die bei Monstranzen,
Ostensorien und Kelchen Anwendung fanden,
übertrugen sich auch auf das Weihrauchfaß.
Nur der plastische, der Figurenschmuck tritt
 
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