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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwickelung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0119

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163

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

164

Thuribulum und Navicula in ihrer geschichtlichen Entwicklung.

III. (Mit 14 Abbildungen.) (Schluß.)

n seiner pikanten, überreichen Aus-
führung an sich schon eine Glanz-
leistung der Goldschmiedekunst,
hat es auch noch als Thuri-
bulum den großen Vorzug, daß ihm trotz
alles Reichtumes, trotz all' der Türmchen,
Wimperge, Fialen und Figuren das Zeugnis
nicht versagt werden kann, daß es zugleich
auch einen durchaus zweckentsprechenden
Aufbau bekommen hat, soweit das bei einer
solchen Durchführung überhaupt möglich war.
Alle erdenkbaren Techniken der Goldschmiede-
kunst gelangten zur Verwendung: Guß, Zise-
lierung, Gravur und selbst Filigranarbeit. In
fünf nach oben hin sich verjüngenden Zonen
baut es sich auf dem vielzinkigen Sternfuße
auf, erkerartige Vorbauten springen vor, auf
denen wie in Ambonen glänzend gegossene
und ziselierte Figürchen stehen; Kuppeln mit
scharf ausgeprägten Rippen und schindel-
gedeckte Giebeldächer vermitteln von Stock-
werk zu Stockwerk die Einziehung, bis das
Ganze schließlich oben in einem polygonal
angelegten Tempelchen mit Pyramidendach
abschließt, unter dem die Statuette des hl. An-
tonius steht. Selbst die Ketten sind aufs
reichste mit kugelförmigen Knöpfen in feinster
Durchbrucharbeit ausgestattet, und allein die
Schlußplatte mit dem Ring ist für sich schon
ein Meisterwerk mittelalterlicher Goldschmiede-
kunst. Dazu mutet uns das seltene Stück
trotz der italienisch-gotischen Formensprache
durchaus nicht so fremd an, wie es etwa die
gotische Architektur in Italien tut, und doch
ist das Stück durch und durch das Werk
heimischen, italienischen Kunstempfindens.
Der Hauptvorzug dieses Thuribulums ist seine
überaus klare Disposition, der Fluß der Linien
vom Fuß bis zur Spitze und die doch so präg-
nante Scheidung zwischen Feuerbecken und
Deckel.

Daß nicht nur italienischer Prunksinn solch
reiche Gefäße schuf, daß sie auch anderwärts,
so in Deutschland, entstanden, erweist der
zeichnerische Entwurf Martin Schongauers, der
uns in einem Kupfer erhalten geblieben ist. Im
XV. Jahrh. stellten sich die Maler und Kupfer-
stecher mit ihrer vervielfältigenden Kunst auch
in den Dienst des Kunsthandwerkes, und was
früher wohl die Architekten bzw. Steinmetzen

getan, das übernahmen jetzt sie; sie lieferten
die Entwürfe für allerlei kunstgewerbliche
Arbeiten. Es ist durchaus nicht wahrscheinlich,
daß die Maler, die neben den Bildhauern eine
größere Selbständigkeit zu Anfang des XV.
Jahrh. erlangt hatten, die Motive für die reichen
Metallarbeiten, wie wir sie auf zahlreichen
Bildern der Anbetung der Weisen vor allem
finden, an ausgeführten Originalen sich geholt
haben, im Gegenteil, sie waren es, welche die
Gold- und Silberschmiede mit beeinflußten.
Daher auch die Erscheinung, daß wir in den
Skizzenbüchern unserer Meister der zweiten
Hälfte des XV. Jahrh. des öfteren Entwürfen
für Goldschmiedearbeiten begegnen, die eine
weitgehende Verbreitung aber erst fanden
durch die vervielfältigende Kunst des Kupfer-
stiches, wie beispielsweise der Entwurf Martin
Schongauers. Sollte man auch glauben, es
handle sich bei ihm nur um einen Idealent-
wurf, der nicht zur Ausführung bestimmt war,
der Utrechter Goldschmied Jan Broom hat
seinerzeit nachgewiesen, daß des Kolmarer
Meisters Zeichnung wirklich in Metall über-
tragen worden ist. Das nach dem Entwurf
ausgeführte Stück befindet sich zurzeit in
Amsterdam27). Wahrscheinlich ist das Stück
aber auch noch von anderen Meistern nach-
gebildet worden, das Fehlen weiterer Originale
beweist durchaus nicht das Gegenteil. Der
Fuß dieses Thuribulums hat die Gestalt eines
vielzinkigen Sternes, dessen Ränder und Rippen
durch reich getriebene Stäbe betont werden.
Auf diesem Fuße baut sich der mit getriebenem
spätgotischem Rankenwerk reich geschmückte
Kessel auf. Die höchste Formvollendung zeigt
der Deckel in seiner untersetzten Turmgestalt.
Vier reizende Engelchen in hockender Stellung
breiten ihre Arme aus und bilden so die Ösen,
durch welche die Ketten laufen. Ein reiches
Spiel von Fialen, Fensternischen, Strebe- und
Schwibbogen baut sich luftig auf, die Ecken
und Winkel sind ausgefüllt mit kühn ge-
schwungenem getriebenem Laubwerk, und oben
endet das Ganze nach wiederholter Wieder-
gabe ziselierter Engelfigürchen mit kühn be-
wegten Flügeln in reichgestalteter Kreuzblume.
Selbst Ringplatte und Ketten haben ihren

27) Jahresbericht der Bernulfus- Gilde zu Utrecht
1898. Der Stich -selbst bei Bartsch 107.
 
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