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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Neue Hoffnungen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0208

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301

1910. - ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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kommen und Luft zu schöpfen. Da winkt
wie ein friedliches, gesegnetes Eiland die
Sammlung Schnütgen mit ihren Schätzen, die
still jene Zeit erwarteten, die ihnen die Be-
wertung zuteil werden läßt, so ihnen zu-
kommt. Wenige Wochen erst sind verflossen,
und rund 50000 (!) Besucher zählte das
Museum: unfl aus allen Bevölkerungsklassen
rekrutieren sie sich, es kommt der Arme wie
der Reiche, der Gebildete wie der Ungebildete.
Warum das ? Warum übt die Sammlung eine
so einzigartige Anziehungskraft aus? Mag
sein, daß die malerische Wirkung der Räume
mit den reichen Schätzen und in beschränktem
Maße auch die Neugier manche zur Besichti-
gung treibt, ein anderes ist es, das der Samm-
lung den eigentlichen Charakter verleiht, es
ist die Weihe! Eine Weihe, die aus fast
jedem einzelnen Sammelobjekt uns ent-
gegenweht, die sich über jeden Raum, auf
das ganze Museum legt, die Weihe der Religion-
Alle die Heiligengestalten, die Altäre, die
Bilder in Stein und Holz und Metall, die
hundertfachen kirchlichen Geräte, die litur-
gischen Gewänder, sie führen eine Feiersprache,
die von Herz zu Herz klingt, die die viel-
fachen Fäden aufdeckt, die Religion und
Menschenherz verknüpfen. Aus ihnen allen
spricht zu uns des erfindenden Künstlers
Seele, Glaube, Liebe, Frömmigkeit, einer
ganzen Gemeinschaft, einer ganzen Kultur-
periode religiöse Begeisterung und starkes
künstlerisches Können. Und diese Begeiste-
rung umfaßt auch uns, so oft wir vor den
heiligen Geräten verflossener kirchengeschicht-
licher Perioden stehen. Eine große Kirche
war die des Mittelalters, wie sie eine starke
war, eine Lebens- und Weltgestalterin, welche
ihren Gläubigen die tausend Heiligen gab,
damit sie ihnen Tröster und Helfer seien in
des Lebens Nöten, welche die Geräte und
Gefäße in Silber, Gold und Edelsteine kleiden
ließ, weil aus ihnen des Himmels gesegnete
Gaben und Gnaden niederfließen sollten auf
die Völker. Der Gottesgedanke, die Ein-
stellung der Menschenseele auf das Über-
irdische und Göttliche, das ist das nährende
Blut, das die kirchlichen Kunstgegenstände
des Mittelalters am Leben hält, mag der
Wurm an ihrem Holze nagen und der Jahr-
hunderte zehrende Nutzung die goldschim-
mernde Hülle ihnen nehmen. Immer klingt
in der Seele des Beschauers ein Akkord der

Freude an, daß er der großen, Ewigkeit
heischenden Gemeinschaft angehört, in der
diese Kunstwerke geboren werden konnten.
Wir scharen uns gewiß zu denen, die der
klassischen Kunst der Griechen und Römer
den Lorbeer winden, und doch erkennen wir
auch gern der Kunst die Palme zu, die im
Christentum erwuchs. Nahm dieses doch,
wie Hellas einst, aus Gottes Händen den
Beruf entgegen, die Idee des Schönen zu
pflegen, dem es eine weitere erhabenere Idee
beigesellte, die des Erlösenden, den Glauben an
die unwandelbare Treue und Liebe der Gottheit.
Das ist gewiß eine große Freude und Ge-
nugtuung für den Stifter der Sammlung, daß
seine Schöpfung einen solchen Zuspruch und
Beifall findet, aber das ist doch nicht sein
einziges Ziel gewesen, als er mühevoll genug
an seinem Lebenswerk arbeitete. Sein Wunsch
und seine Absicht gingen weiter: Die Samm-
lung sollte eine Schule werden für das
Studium der Kunstgeschichte, und zwar so-
weit dasselbe rein fachwissenschaftliche Ziele
verfolgt, als auch zugleich — und nicht • in
letzter Linie — die Aufgabe sich stellt, den
Geist alter Kunst zu erfassen, an ihm erneut
die Kunst von heute zu beleben, ihr Winke
und Wege zu geben zu neuem Schaffen, alte,
verloren gegangene Techniken in vielfältiger
Handhabung wieder erstehen zu lassen. Eine
weitere Möglichkeit gründet in der Vielseitig-
keit und Reichhaltigkeit der „Sammlung
Schnütgen". Dem kirchlichen Leben des
Mittelalters nachzugehen, soweit es im Gottes-
hause und in der Familie sich abspielte, die
Liturgie zu studieren an ihrer Quelle, die
Hagiologie und die jeweilige Kraft der Reli-
gion in den verschiedenen Jahrhunderten.
Sind das nicht alles Aufgaben, die höchste
Beachtung verdienen ? Daß diejenigen, welche
die Erforschung mittelalterlicher Kunst zum
Ziele sich gesteckt, zu uns kommen werden
zu ernster Arbeit, dessen sind wir gewiß.
Aber wir wünschen auch andere neben den
reinen Liebhabern alter Kunst unsere Gäste
zu nennen: die, welche die Kunst der Kirche
heute üben, und die, welche sie üben lassen,
die Geistlichen. Auf sie richtete von An-
fang an der Stifter sein Augenmerk, sie
zeichnete er selbst ein in seine Schenkungs-
urkunde als die, welche besondere, denkbar
weite Begünstigung erfahren sollten beim Be-
suche und Studium der Sammlung. Autopsie
 
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