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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Neue Hoffnungen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0207

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299

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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zu wählen, das rechte Thema, den rechten
Künstler. Dazu gehört zunächst die Kenntnis
der für die Ästhetik allgemein gültigen Ge-
setze, die zu erwerben niemals die Aufgabe
trockenen philosophischen Vortrages sein, die
vielmehr das liebevolle, vergleichende Studium
einer größeren oder kleineren Sammlung von
Kunstwerken, besonders kirchlicher, allein
vermitteln kann. Das und — wie Schmid im
angezogenen Aufsatze treffend bemerkte —
eine liturgische Schulung an der Hand der
liturgischen Geräte wird dem Geistlichen Augen
und Herz öffnen, ihm das Verständnis schärfen
und sein Brevier, seinen Gottesdienst, alle
seine Heiligen in der Kirche ihm lieb und
wert und lebendig machen. Es tut da wahr-
lich not! Hunderttausende werden alljährlich
für kirchliche „Kunstzwecke" verausgabt, und
dem Pfarrer aus Stadt und Land zuckt nicht
die Wimper, weil er eben glaubt, er habe das
Richtige getroffen, habe wahre Kunst der Ge-
meinde geschenkt. Sagen wir es gerade her-
aus : Das Bewußtsein, auch in Kunstangelegen-
heiten Autorität zu sein, beherrscht zu leicht
weite Kreise des geistlichen Standes; der
Pfarrer denkt nicht einmal daran, daß er ein
ganzes Vermögen zwecklos verwendet hat,
vielleicht sogar zum Schaden der Kirche —
denn Unterstützung der Afterkunst ist Schädi-
gung der wahren Kirchenkunst, also auch der
Kirche. Es genügt nicht, zu wissen, daß die
Gotik den Spitzbogen, der romanische Stil
den Rundbogen verwertet; zu selbständigen
Arbeiten auf diesem Gebiete berechtigt erst
die genaue Kenntnis der Grundforderungen
der Ästhetik und eine langjährige praktische
Schulung des Auges, die eigentlich nur durch
intensives vergleichendes Studium der Kunst-
werke der Jetztzeit und der Vergangenheit
gewonnen werden kann. Ob die Worte
Schmids Gehör gefunden haben? Oder sind
sie gesprochen und verflogen wie die von
kunstbegeisterten Männern früherer Jahr-
zehnte, die mit dem Bewußtsein ins Grab
steigen mußten, daß gerade der Klerus noch
immer in seiner sonst so soliden Bildung diese
sehr bedenkliche Lücke mit weiterschleppe?
Wie sehr entfernter stehende Kreise an Schm.
Aufsatz Interesse und Anteil genommen, er-
weist eine lange, anerkennende Besprechung
desselben in Nr. 40 der „Kunstchronik".
Manche Schwierigkeit im Verkehr mit den
Provinzialkonservatoren in Sachen der Denk-

malpflege würde behoben werden, wenn dem
Klerus dienotwendigsteKenntnisder Kunstalter-
tümer zur Seite stände. Quo usque tandem? !

Wochen erst sind verflossen, da öffneten
sich in Köln die Pforten des Schnütgen-
Museums, eines Institutes von weittragendster
Bedeutung für Wohl und Wehe kirchlicher
Kunst, einzigartig auf der weiten Welt. Manch
goldenes Wort wurde aus berufenem Munde
bei den Eröffnungsfeierlichkeiten gesprochen,
manch frohe Hoffnung für die Zukunft der
religiösen Kunst an die Sammlung geknüpft,
vorerst vom obersten Vertreter des Staates,
dem Herrn Kultusminister. Und des Stifters
großes Ziel und Hoffen? Fruchtbarmachung
seiner Lebensarbeit im Dienste des Klerus
und seiner Kirche. Das war der Zweck einer
opferwilligen Sammeltätigkeit durch vierzig
lange Jahre, das allein konnte ihn auch be-
wegen, sein Herzblut auf dem Altare der
Allgemeinheit zu opfern. Sein Lob zu singen
würde er mir hier nicht Raum gewähren, und
doch werden die kommenden Geschlechternoch
ihm Dank wissen für seinebedeutungsvolle Gabe.

Das heilige Köln, das warm pulsierende
Herz für christliche Kunst durch manche
Jahrhunderte. Von hier aus schickten weite
Adern das befruchtende, lebenbringende Blut
in die Nachbarländer, wo der Kulturboden
nicht so alt und fruchtbar war, wo die Lehr-
meisterin kommen und Meißel und Pinsel
führen mußte. Wo anders war ein Ort, der
so wie Köln den Berechtigungsbrief vorzeigen
könnte, erneut das Herz zu werden, das
neues Leben in die Nachbarlande sendet?
Der Zeitpunkt der Eröffnung für das genannte
Museum christlicher Kunstaltertümer des
Mittelalters scheint mir besonders glücklich in
den Kalender gefallen zu sein: Es regt sich
vielerorts. Über die weiten Gefilde der Kunst
brauste seit fast anderthalb Jahrzehnten so
etwas wie Revolutionssturm hinweg. Der Ruf
nach „Zeitkunst", mag er noch so laut er-
tönen, mag er zu Anfang wie ein elektrischer
Schlag auf die Gemüter gewirkt haben, er
wird doch schwächer und schwächer in den
Reihen derer, die um die christliche, um die
Kirchenkunst sich sorgen. Zum mindesten
ist der Zug zum Alten und der Wunsch nach
zeitgemäßer Verarbeitung überlieferter Kirchen-
baustile wieder stärker geworden, und alle,
die im Fahrwasser der „Modernen" unter-
getaucht waren, suchen an die Oberfläche zu
 
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