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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Die Erziehung des Klerus zur Kunst: Ein Betrag zum Probleme "katholischer Kulturwille"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0028
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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 2

auf in der Beurteilung und Wertschätzung einer neuen Zeitkunst. Wir wollen
hier beileibe nicht der Sucht nach Modernem das Wort reden, beileibe nicht
vom Klerus verlangen, daß er jeden künstlerischen Versuch eines Malers oder
Architekten oder auch einer geschlossenen Künstlergruppe für aufnahmefähig
in die Kirchen hält; im Gegenteil: er soll vorsichtig abwarten und erst dann zu-
greifen, wenn er aus einem Komplex von Kunsterscheinungen auf eine fest ver-
ankerte, aus Notwendigkeit erwachsende neue künstlerische Ausdrucksform
schließen darf. Vorsicht und Zurückhaltung mag niemals mehr am Platze gewesen
sein, als gerade in den letzten Jahren; erschien und erscheint doch noch heute
zum Teil die neue Kunst in die Luft geschrieben, ohne Fundament, mehr Ex-
perimentierkunst als reife abgeklärte Frucht. Das aber ist gewiß auch nicht
hinwegzuleugnen, daß die Geistlichkeit die Zügel, gar zu sehr verstimmt durch
groteske Auswüchse neuester Richtungen, zu früh und zu allgemein aus der Hand
gegeben hat. Nicht ein Advokat der rein künstlerischen Beeinflussung seitens
de Klerus will ich hier auftreten; wenn aber berechtigte Vorwürfe laut werden,
unsere neue Kunst sei eine unchnsthche, sogar unsittliche, so führen sie sich
nicht zuletzt darauf zurück, daß der Klerus es nicht verstanden hat, der werden-
den Kunst unserer Tage durch Überführung auf heilige ernste Gebiete den Gift-
stachel zu nehmen. Wie die reine moralische Kunst am Thema zunächst ihre
Verklärung und Läuterung erfährt, so wird umgekehrt das mit rein mensch-
lichen Instinkten gewählte Thema zu leicht den Keim des Versuchenden mit
sich bringen.

Aus den vielfach beobachteten Auswüchsen der Modernen leitete man die
Berechtigung einer allgemeinen Verwerfung der Modernen in Bausch und Bogen
her und hielt sich immer mehr von ihr fern. So zerrissen die Verbindungsfäden
zwischen Klerus und Kunst, vom Kunstgeschmack, der notwendig ist, blieb
nichts weiter als ein kümmerlicher Rest eines Kunstwissens, das von der
Einprägung einiger äußerlicher Formeln lebte und lebt. So kam es auch, daß
man alles moderne Kunststreben mit billigem Spott abtun zu können glaubte
und die Künstleratehers zu Narrenhäusern stempelte. Wo das Lob moderner
Kunst gar zu laut ertönte, oder wo aus der historischen Kunst Parallelen zum
modernen Kunststreben herangezogen wurden, wie etwa bei van Gogh, bei den
Miniaturen und Plastiken des XI. und XII. Jahrh., da schwieg man ahnungsvoll
still, da man instinktiv fühlte, daß irgendeine bedenkliche Lücke im Erkennt-
nisvermögen das Verständnis behindere. Videant consules! Nun schaue man
offenen Auges um sich! Ein wahrer Heißhunger, wie nach seichter, ablenkender
Unterhaltung in Kinos und Theatern, so aber auch nach nahrhafter geistiger Kost
hat die Massen ergriffen. Auch hier die Jagd nach Nahrungsmitteln. Wir wissen
nicht, daß jemals der Besuch der Museen, der Ruf nach Vorträgen über künstle-
rische Probleme so lebhaft gewesen, wie heute. Und nicht daten- und namen-
geschwängerte Kunst geschichte will das Volk, es will Verhältnis gewinnen
zur Kunst selbst, zum Inhalt, wie zum Formalen, zu Form und Farbe und Raum.
Wer wollte solchem Wunsche nicht entgegenkommen ? Einmal hieße das die
hohen ethischen Werte der Kunst verkennen, dann auch wäre es überaus unklug,
wollte man seine alten Käufer gleichgültig zur Konkurrenzfirma gehen lassen.
Geistige Lebensmittel will das Volk haben, es holt sie, wo es sie findet. Videant
consules! Gewerkschaften, Volksbildungsvereine, Volkshochschulkurse usw.
 
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