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Zeitschrift für historische Waffenkunde.
I. Band.
seiner Kinder; hierselbst befand sich auch die grosse
zarische Rüstkammer, die kostbaren Rüstungen und
Waffen der Herrscher, auserlesene Kriegsbeute und
Geschenke enthaltend. Der «Reservehof» endlich, oder
vielleicht richtiger durch «Vorrathskammer» übersetzt,
ein grosses, am Hiigelabhange gelegenes Gebäude,
diente zur Aufbewahrung der Festgewänder, Prunk-
rüstungen und Paradewaffen, welche bei gewissen Ge-
legenheiten an die nächste Umgebung des Zaren und
an ins Ausland abgehende Gesandtschaften vertheilt
wurden. Endlich befanden sich hier noch umfang-
reiche Werkstätten, in denen ununterbrochen der
Vorrath an Waffen, Rüstungen, Prunkgewändern,
Tafelgeschirr, Schmucksachen u. s. w. ergänzt und
vergrössert wurde; die Arbeiter, fast ausschliesslich
Russen, theilten sich in verschiedene Gewerke: Gold-
schmiede, Steinschleifer, Juweliere, Silber- und Fili-
granarbeiter, Emailleure, Elfenbein- und Holzschnitzer,
Schwertfeger, Helmschmiede, Plattner, Schneider,
Schuster, Spitzenklöppler, Färber und unzählige an-
dere, eng begrenzte Gebiete des Handwerkes um-
fassend. Die Leitung und Verwaltung lag in den
Händen der zarischen Werkstättenkammer (Master-
skaja Palata), welche genaue und detaillirte Rech-
nungsbücher über Einnahme und Ausgabe, Löhnung,
namentliche Arbeiterregister, Bestellungen u. s. w.
führte; dieses handschriftliche Material, vornehmlich
dem 16. und 17. Jahrhundert angehörend, hat sich
fast vollständig im Archiv der Orushejnaja Palata er-
halten und bietet in ca. 10.000 Manuscripten, die
erst zum geringen Theil publicirt sind, unschätz-
bares archäologisches und historisches Material. Da-
selbst finden wir z. B. ein Verzeichniss der bevor-
zugtesten Arbeiter unter der Regierung des Zaren
Alexei Michailowitsch (1645—1676); es werden ge-
nannt : die Goldarbeiter Michail Wassiljew, Iwan
Michailow, der Laufschmied Afanasi Wjatkin mit sei-
nen Gehülfen, der Helmschmied Nikita Dawidow mit
seinen Gehülfen; die besten Bogen werden von Sarin
Iwanow und Schpagin gearbeitet, gezogene Läufe
stellen Grigorij Wjatkin, Wassili Titow und Roman Ko-
marow her. Das 17. Jahrhundert lässt sich überhaupt
als Bliithezeit der Msskotvitischen Waffenschmiede-
kunst betrachten; ausser den Arbeiten der genannten
Meister lassen sich als Musterstücke der 1616 vom Mei-
ster Konowalow verfertigte Harnisch des Zaren Michail
Feodorowitsch (i6i3—1645) und das vom Czechen
Nil Prosvit gearbeitete, durchbrochene, reich in Gold
tauschirte Schwert (1617) desselben Herrschers an-
führen; auch die an ausländische Fürsten vertheil-
ten Geschenke wurden von Moskauer Meistern verfer-
tigt, so der vom Zar Boris Godunoff 1604 dem Schah
Abbas gesandte Harnisch und zwei Feuergewehre.
Im Jahre 1737, während des grossen Brandes im
Kreml, wurde auch die Rüstkammer (Orushejnaja Pa-
lata) vom Feuer zerstört, wobei viele kostbare Denk-
mäler der alten Zeit und jüngere Kriegstrophäen (so
z. B. die den Schweden bei Poltawa abgenommenen
Fahnen) verloren gingen; jedoch blieb die Schatz-
kammer der Zaren, durch feste Gewölbe geschützt,
unversehrt. Später wurden die vom Brande zerstör-
ten und angegriffenen Gebäude vollends nieder-
gerissen und die Kostbarkeiten in das alte Schloss
überführt. Doch hat die altehrwürdige Sammlung
noch schwerere Verluste im Laufe der Zeiten zu tragen
gehabt als diesen; vor Allem dadurch, dass bis zu
der Uebertragung der Residenz nach St. Petersburg
die Moskauer Schatz- und Rüstkammern ein stetig
in Ab- und Zunahme begriffenes, ewig fluctuirendes
Betriebscapital repräsentirten: Gaben für Söldner an
Zahlungsstatt, Gnadenbeweise an die persönliche Um-
gebung und hervorragende Kriegsleute, Geschenke
für ausländische Fürsten und Gesandtschaften, —
Alles wurde dieser Quelle entnommen und theils durch
einlaufende Geschenke, zum grössten Theil aber durch
neu verfertigte Gegenstände ersetzt. Einen histori-
schen Werth, die Weihe des Alters gab es damals
nicht, die Preiswürdigkeit des Materials und der Arbeit
war ausschlaggebend, und so ging manches unschätz-
bare Stück für seinen Metallwerth dahin. Als end-
lich der Hof nach St. Petersburg übersiedelte, ver-
siegten die Einnahmequellen der Orushejnaja Palata
für immer, umsomehr, als gleichzeitig die Produc-
tion in den Werkstätten aufhörte, die Ausgaben aber
fortliefen, bis ein Erlass des Kaisers Alexander I.
dem Treiben Halt gebot und durch Errichtung des
jetzigen Gebäudes der Orushejnaja Palata und Ver-
einigung aller übrig gebliebenen Waffen und son-
stigen Kunstgegenstände der früheren zarischen
Schatzkammer das jetzt noch in seinen Trümmern
grossartige Museum ins Leben rief. Im Jahre 1810
war das neue Gebäude fertiggestellt, der Einbruch
der Franzosen unterbrach jedoch das begonnene
Werk; die Sammlungen wurden rechtzeitig nach
Nishny - Nowgorod in Sicherheit gebracht und erst
1814 zurückgeführt und aufgestellt. Es begann nun
eine langjährige, beschwerliche Arbeit, denn alle
nicht durch Inschriften datirten Gegenstände waren
durch Vertauschung und Abhandenkommen ihrer
Nummern, Etiquetten und Legenden in Bezug auf
Provenienz unkenntlich geworden; die alten Sach-
register, von 1687 an fortlaufend, sowie einzelne
Beschreibungen, von Privatpersonen bei Gelegenheit
als Notizen niedergeschrieben, gaben auch keine siche-
ren Anhaltspunkte, so dass es erst im Jahre 1835,
Dank der Energie des Kaisers Nicolaus I. und seines
Hofministers, des Fürsten P. M. Wolkonsky, gelang,
ein fünf Bände starkes genaues Verzeichniss aller ge-
retteten Sachen herzustellen, welches über 10.000
Nummern enthält. Eine solche restitutio in integrum
wäre natürlich nicht möglich gewesen ohne das reiche
handschriftliche Material, welches sich im Archiv der
Orushejnaja Palata unversehrt erhalten hat.
Ausser dem oben angeführten Werke sind in der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch sechs andere
mehr oder weniger vollständige Beschreibungen der
Kunstsammlungen in der Orushejnaja Palata, sämmt-
lich in russischer Sprache, veröffentlicht. Es sind
dieses: Walujew, Beschreibung des alten russischen
Museums, Moskau 1807, der in sieben Capiteln eine
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
I. Band.
seiner Kinder; hierselbst befand sich auch die grosse
zarische Rüstkammer, die kostbaren Rüstungen und
Waffen der Herrscher, auserlesene Kriegsbeute und
Geschenke enthaltend. Der «Reservehof» endlich, oder
vielleicht richtiger durch «Vorrathskammer» übersetzt,
ein grosses, am Hiigelabhange gelegenes Gebäude,
diente zur Aufbewahrung der Festgewänder, Prunk-
rüstungen und Paradewaffen, welche bei gewissen Ge-
legenheiten an die nächste Umgebung des Zaren und
an ins Ausland abgehende Gesandtschaften vertheilt
wurden. Endlich befanden sich hier noch umfang-
reiche Werkstätten, in denen ununterbrochen der
Vorrath an Waffen, Rüstungen, Prunkgewändern,
Tafelgeschirr, Schmucksachen u. s. w. ergänzt und
vergrössert wurde; die Arbeiter, fast ausschliesslich
Russen, theilten sich in verschiedene Gewerke: Gold-
schmiede, Steinschleifer, Juweliere, Silber- und Fili-
granarbeiter, Emailleure, Elfenbein- und Holzschnitzer,
Schwertfeger, Helmschmiede, Plattner, Schneider,
Schuster, Spitzenklöppler, Färber und unzählige an-
dere, eng begrenzte Gebiete des Handwerkes um-
fassend. Die Leitung und Verwaltung lag in den
Händen der zarischen Werkstättenkammer (Master-
skaja Palata), welche genaue und detaillirte Rech-
nungsbücher über Einnahme und Ausgabe, Löhnung,
namentliche Arbeiterregister, Bestellungen u. s. w.
führte; dieses handschriftliche Material, vornehmlich
dem 16. und 17. Jahrhundert angehörend, hat sich
fast vollständig im Archiv der Orushejnaja Palata er-
halten und bietet in ca. 10.000 Manuscripten, die
erst zum geringen Theil publicirt sind, unschätz-
bares archäologisches und historisches Material. Da-
selbst finden wir z. B. ein Verzeichniss der bevor-
zugtesten Arbeiter unter der Regierung des Zaren
Alexei Michailowitsch (1645—1676); es werden ge-
nannt : die Goldarbeiter Michail Wassiljew, Iwan
Michailow, der Laufschmied Afanasi Wjatkin mit sei-
nen Gehülfen, der Helmschmied Nikita Dawidow mit
seinen Gehülfen; die besten Bogen werden von Sarin
Iwanow und Schpagin gearbeitet, gezogene Läufe
stellen Grigorij Wjatkin, Wassili Titow und Roman Ko-
marow her. Das 17. Jahrhundert lässt sich überhaupt
als Bliithezeit der Msskotvitischen Waffenschmiede-
kunst betrachten; ausser den Arbeiten der genannten
Meister lassen sich als Musterstücke der 1616 vom Mei-
ster Konowalow verfertigte Harnisch des Zaren Michail
Feodorowitsch (i6i3—1645) und das vom Czechen
Nil Prosvit gearbeitete, durchbrochene, reich in Gold
tauschirte Schwert (1617) desselben Herrschers an-
führen; auch die an ausländische Fürsten vertheil-
ten Geschenke wurden von Moskauer Meistern verfer-
tigt, so der vom Zar Boris Godunoff 1604 dem Schah
Abbas gesandte Harnisch und zwei Feuergewehre.
Im Jahre 1737, während des grossen Brandes im
Kreml, wurde auch die Rüstkammer (Orushejnaja Pa-
lata) vom Feuer zerstört, wobei viele kostbare Denk-
mäler der alten Zeit und jüngere Kriegstrophäen (so
z. B. die den Schweden bei Poltawa abgenommenen
Fahnen) verloren gingen; jedoch blieb die Schatz-
kammer der Zaren, durch feste Gewölbe geschützt,
unversehrt. Später wurden die vom Brande zerstör-
ten und angegriffenen Gebäude vollends nieder-
gerissen und die Kostbarkeiten in das alte Schloss
überführt. Doch hat die altehrwürdige Sammlung
noch schwerere Verluste im Laufe der Zeiten zu tragen
gehabt als diesen; vor Allem dadurch, dass bis zu
der Uebertragung der Residenz nach St. Petersburg
die Moskauer Schatz- und Rüstkammern ein stetig
in Ab- und Zunahme begriffenes, ewig fluctuirendes
Betriebscapital repräsentirten: Gaben für Söldner an
Zahlungsstatt, Gnadenbeweise an die persönliche Um-
gebung und hervorragende Kriegsleute, Geschenke
für ausländische Fürsten und Gesandtschaften, —
Alles wurde dieser Quelle entnommen und theils durch
einlaufende Geschenke, zum grössten Theil aber durch
neu verfertigte Gegenstände ersetzt. Einen histori-
schen Werth, die Weihe des Alters gab es damals
nicht, die Preiswürdigkeit des Materials und der Arbeit
war ausschlaggebend, und so ging manches unschätz-
bare Stück für seinen Metallwerth dahin. Als end-
lich der Hof nach St. Petersburg übersiedelte, ver-
siegten die Einnahmequellen der Orushejnaja Palata
für immer, umsomehr, als gleichzeitig die Produc-
tion in den Werkstätten aufhörte, die Ausgaben aber
fortliefen, bis ein Erlass des Kaisers Alexander I.
dem Treiben Halt gebot und durch Errichtung des
jetzigen Gebäudes der Orushejnaja Palata und Ver-
einigung aller übrig gebliebenen Waffen und son-
stigen Kunstgegenstände der früheren zarischen
Schatzkammer das jetzt noch in seinen Trümmern
grossartige Museum ins Leben rief. Im Jahre 1810
war das neue Gebäude fertiggestellt, der Einbruch
der Franzosen unterbrach jedoch das begonnene
Werk; die Sammlungen wurden rechtzeitig nach
Nishny - Nowgorod in Sicherheit gebracht und erst
1814 zurückgeführt und aufgestellt. Es begann nun
eine langjährige, beschwerliche Arbeit, denn alle
nicht durch Inschriften datirten Gegenstände waren
durch Vertauschung und Abhandenkommen ihrer
Nummern, Etiquetten und Legenden in Bezug auf
Provenienz unkenntlich geworden; die alten Sach-
register, von 1687 an fortlaufend, sowie einzelne
Beschreibungen, von Privatpersonen bei Gelegenheit
als Notizen niedergeschrieben, gaben auch keine siche-
ren Anhaltspunkte, so dass es erst im Jahre 1835,
Dank der Energie des Kaisers Nicolaus I. und seines
Hofministers, des Fürsten P. M. Wolkonsky, gelang,
ein fünf Bände starkes genaues Verzeichniss aller ge-
retteten Sachen herzustellen, welches über 10.000
Nummern enthält. Eine solche restitutio in integrum
wäre natürlich nicht möglich gewesen ohne das reiche
handschriftliche Material, welches sich im Archiv der
Orushejnaja Palata unversehrt erhalten hat.
Ausser dem oben angeführten Werke sind in der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch sechs andere
mehr oder weniger vollständige Beschreibungen der
Kunstsammlungen in der Orushejnaja Palata, sämmt-
lich in russischer Sprache, veröffentlicht. Es sind
dieses: Walujew, Beschreibung des alten russischen
Museums, Moskau 1807, der in sieben Capiteln eine