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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 4
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Boeheim, Wendelin: Die Rüstkammer der Stadt Emden, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0106
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92

Zeitschrift für historische Waffen kund:

II. Band.

fällt ein dürftiger Lichtstrahl hier und da auf einen
oder den anderen kostbaren Gegenstand von so
hoher Seltenheit und Schönheit, wie man einen
gleichartigen nur in den reichsten Sammlungen
suchen wird, und da erhebt sich wohl ein tiefes Be-
dauern, dass solche erlesene Schätze in so wenig
entsprechender Weise bewahrt werden.
Wende ich mich zu dem Inhalte'dcr überreichen,
ja unschätzbaren Sammlung, so muss ich von vorn-
herein die Schwierigkeit betonen, denselben mit
fachmännischem Auge zu betrachten und zu be-
schreiben; ist er doch nie wissenschaftlich untersucht
worden.1 * 3 *) Es fehlen da alle historischen und kunst-
historischen Anhaltspunkte, und was uns durch
Rollfs angeblich aus der Tradition geboten wird,
ist auf den ersten Blick hin ein dichtes Gewebe von
unrichtigen Angaben und plumpen Erfindungen, er-
sichtlich zu dem Zwecke entstanden, um der Rüst-
kammer mehr Anziehung zu verleihen; ja schon
vom Ende des 17. Jahrhunderts ist der kostbaren
Sammlung von spekulativen Rüstmeistern (!) noch
viel ärger mitgespielt worden. Eine Anzahl von
Harnischen wurden für Hampelmänner benutzt; so
finden wir noch heute geharnischte Popanze mit
greulichen Larven, ■welche auf einen verborgenen
mechanischen Zug hin sich bewegen, um den Be- j
Sucher das Gruseln zu lehren. Hier bläst ein Kriegs-
knecht in ein Horn, jener rührt eine Trommel;
dort brennen andere das Pulver von der Pfanne
ihrer Musketen ab, andere zücken gegeneinander ihre
Schwerter u. dgl. Diese läppischen Scherze, welche
die Sammlung nur verunzieren und nicht wenig den
Ruf derselben unter den gebildeten Besuchern
schädigen, sind es, welche der feingebildete und
hochgelehrte Uffenbach bereits vor 200 Jahren
schonend als «unnötige Erfindungen» bezeichnet.5 * *)
Wie sollen wir sie heute bezeichnen, nachdem die
historischen Wissenschaften eine so ungeahnte Ver-
tiefung erfahren haben:
Ich folge den verlässlichsten Angaben Für-
bringers, wenn ich den Inhalt der Rüstkammer nach
der letzten Inventarisierung von 1839 h'er anführe:
Dieselbe enthält 14 Vollrüstungen,8) 54 sonstige

*) Rolffs Beschreibungen sind unrichtig, laienhaft, daher
nahezu unbrauchbar.
ä) «Herrn ZachariasKonrad vonUffenbach merkwürdige Reisen
durch Niedersachsen, Holland und Engelland.» Ulm und Mein
mingen. 3 Bände. — «Ostfriesisches Monatsblatt» 1875. 3. Jahr-
gang, 1. Heft.
3) Diese Bezeichnung ist dem Fachmanne unverständlich; es
können hier auch «ganze» Harnische, d. i. «ritterliche» mit voll-
ständigem Beinzeug, nicht gemeint sein, denn die Rüstkammer
enthält keine solchen, sondern nur solche von «knechtischer.»
Form (Allecrets) mit bis an die Kniee reichenden Schössen, ohne
Unterbeinzeug und Schuhe. Ein terminologisch korrekt bearbeitetes
Inventar wird wohl zunächst verfasst werden müssen. Einzelne
Bezeichnungen vermochten die Emder Autoren selbst nicht zu deuten.
So erscheint u. a. im Inventar von 1606 der Ausdruck «Kneuel-
spete». Rolffs hält sie für Sturrafackeln; es sind dieselben aber
niederländische Knebelspiesse, die meist zur Ausrüstung der
eichten Artillerie gehörten.

teils reich mit Aetzwerlc gezierte Panzerrüstungen, 3
Panzerkragen, 101 gemeine Harnische mit Pickel-
oder Sturmhauben, 1 spanischen (?) Helm, 10 Schilde,
38 Schlachtschwertcr, 33 Morgensterne und Flegel,
269" Piken, Partisanen, Helmbarten und Spiesse. 3
spanische Stossdegen, 990 alte Feuerwaffen, teils
mit reichen Einlagen von Elfenbein in den Schäften,
28 alte Fahnen und F'ähnlein der Bürgerschaft,
Sturmfackeln, 410 Schiessgabeln, 40 alte Bandeliere
mit je 12 oder 16 Pulverbüchsen, 30 geprägte
juchtenlcderne Patrontaschen der vormaligen Emder
Grenadiere, 1 Pulverbüchse, 1 zierliche Pulverwage,
1 Pulverprobe, 4 alte hölzerne Pulvermörser, 9 Kugel-
formen, 2 kupferne Pauken, einige 30 alte Trommeln,
10 Signal- und Hifthörner, eine vollständige Jani-
tscharenmusik, 6 alte Laternen, I alte Steigleiter, 1
alten Steigbügel, 3 Paar alte Sporen; ferner, wie er-
wähnt, eine nicht unbedeutende Zahl von Gegen-
ständen, die nicht in eine Waffensammlung zu reihen
sind.
In neuester Zeit hatte weiland Kaiser Wilhelm 1.
der Stadt moderne deutsche Waffen, sowie Kriegs-
beute von französischen Waffen aus den Kriegsjahren
1870—1871 gespendet und das königliche Kriegs-
ministerium dieselben aus seinen Vorräten ergänzt.
Rolffs giebt in seinem genannten Buche den
Stand der Rüstkammer 1861 mit 2267 Nummern
an. Derselbe ist aber nach vielen Neuerwerbungen
| gegenwärtig erheblich grösser.
Wertvolle Gegenstände sind in den Jahr-
hunderten abhanden gekommen, so das gesamte Ge-
schütz. Das Inventar von 1606 weist noch 124
Kanonen von 3 bis 24 Pfund Kaliber auf, ferner die
Erdsäcke, Sturmhaken, die Topständer etc. Ein un-
ersetzlicher Verlust!
Ein Ausspruch über den heutigen Inhalt der
1 «Rüstkammer» kann im Hinblick auf seinen Total-
wert erst nach genauer Durchforschung derselben
gewagt werden. Jetzt sieht man eben nur eine
Fülle des überaus Wertvollen und Belehrenden kunter-
bunt und wüst übereinander geschichtet. Manches
mag nach fachlicher Betrachtung anWert einbüssen;
vieles aber nach solcher in hohem Masse gewinnen.
In politisch historischer Beziehung werden z. B. die
von Rolffs den Cirkse na zugeschriebenen Harnische
diese gewaltsame Zueignung abstreifen müssen.
Enno I., Eduard und Ulrich 1. Cirksena lebten
' im 15. Jahrhunden und die ihnen zugcteilten Schutz-
i wafifen gehören ausnahmslos dem Ende des 16. Jahr-
hunderts an. Gleichzeitig mit der Spanne des Lebens
laufend, erscheinen die jetzt dem Grafen Ludwig
von Nassau und dem Gerhard Boiland zuge-
schriebenen Kürassierrüstungen; allein auch hier
wird der Fachmann ein scharfes Zeugenverhör vor-
nehmen müssen, bevor er die Stichhaltigkeit der
Zuschreibung bestätigen darf.
Derartige handgreifliche Irrtümer in der Zu-
schreibung an historische Persönlichkeiten dürfen
uns nicht überraschen. Traten solche doch überall
 
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