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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

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Heft 7
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Rose, Hermann: Das mittelalterliche Wurfbeil
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https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0258
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242

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

II. Band.

Seine Gesamtlänge von der oberen bis zur
unteren Spitze beträgt 43,5 cm, die ganze Breite
von der Mitte der Beilschneide bis zum Ende des
Rückendornes 24,5 cm, die Länge des Stieles allein
30 cm, des oberen und des Rückendornes je IO cm,
der äusseren Beilkante 15 cm. Das Gewicht der
Waffe beträgt genau 1 kg. Auch dieses Wurfbeil
ist im ganzen abg-eflacht (siehe Fig. 4).
Eigentümlich ist, wie bei den vorerwähnten
Exemplaren, der sich von 6,5 cm Umfang allmählig
nach unten bis zu 7,5 cm Umfang verstärkende und
alsdann in eine scharfe kantige Spitze endende kurze
Griff. Ebenso ist der obere und der Rückendorn
vierkantig in Rautenform zugespitzt. Die breite
Beilfläche ist in Fischblasenform durchbrochen. Ober-
halb und unterhalb dieser Durchbrechung erblickt
man ein eingeschlagenes Ornament in Gestalt eines
Haarsternes (Kometen). Die aus Messing bestehende
Waffenschmiedsmarke befindet sich im Mittelpunkt
der zusammenstossenden Dornen in einer stark ins
Gesenk eingeschlagenen viereckigen Vertiefung und
zeigt ein liegendes, an den Spitzen mit kurzen
Querbalken (Kleeblättern?) versehenes Kreuz. Dieses
Meisterzeichen ist daher fast identisch mit der bei
Demmin1) (Seite 1048 rechts oben) allerdings in
Form eines stehenden Kreuzes gezeichneten Marke,
welche einer Kriegssense des 14. Jahrhunderts ent-
nommen ist.
Jene Zeitangabe würde mit der von Szendrei
gegebenen übereinstimmen, doch lassen Gestalt und
Ausführung die Anfertigung auch dieses Wurfbeiles
eher zu Beginn des 15. als des 14. Jahrhunderts
vermuten.
Gefunden ist dieses gut erhaltene Exemplar bei
Memmingen, im süd-bayerischen Kreise Schwaben,
und auch die Meistermarke dürfte auf eine süd-
deutsche Werkstatt hinweisen.
Ein Charakteristikum aller dieser Wurfbeile bildet
insbesondere der Griff.
Derselbe ist, wie schon bemerkt, nicht etwa
erst angesetzt, sondern mit dem eigentlichen Beile
aus einem einzigen Stück Eisen geschmiedet. Er
verbreitert sich zwar etwas nach dem Ende zu, um
gut in der Hand zu liegen, ist aber ganz kurz, um
den Schwerpunkt der ganzen Waffe nicht zu tief
nach unten zu verlegen, wodurch eine regelmässige
Drehbewegung in der Flugbahn unmöglich gemacht
worden wäre. Er zeigt endlich am unteren Ende
eine scharfe Zuspitzung, was die Absicht erkennen
lässt, in welcher Lage auch immer das Beil in seiner
wirbelnden Flugbewegung am Ziele anlangte, das
jedesmalige Aufschlagen einer der zahlreichen Spitzen,
wenn nicht der Beilschneide selbst, herbeizuführen.
Am deutlichsten erhellt dies bei dem erstbeschrie-
benen Exemplar, da man hier, um desto sicherer
diesen Zweck zu erreichen, die sonst übliche breite
Beilfläche durch einen rechtwinklig abgebogenen

Dorn ersetzte und damit die Möglichkeit des Auf-
schJagens mit einer weiteren schärfen Spitze ver-
grösserte.
Jedenfalls muss eine solche, von kundiger Hand
auf kurze Entfernung geschleuderte Waffe ganz ge-
fährliche Verwundungen verursacht haben.
Wenn wir uns nunmehr der historischen Ver-
gangenheit des mittelalterlichen Wurfbeils zuwenden,
so erblicken wir dessen Vorbild unter dem bekann-
ten Namen der Francisca insbesondere bei den
Franken während der Merovinger-Zeit (481—751)
in einem so allgemeinen Gebrauch, dass es als die
eigentliche National- und Lieblingswaffe dieses Volks-
stammes bezeichnet werden kann. So hat man in
den zahlreichen Gräbern dieser Zeit, zumal am Rhein,
in Burgund und in der Champagne fast stets neben
dem Scramasax die Francisca gefunden (siehe Fig. 6).
Die Gestalt dieser an einem ganz kurzen Holz-
stiele befestigten schmalen Eisenaxt wird von Jähns
anschaulich wie folgt beschrieben:2)
«Die Klinge steigt vom Axthelm in flachem
Bogen aufwärts und endet in leicht ausgeschwun-
gener Spitze. Die schmale Schneide, nur halb
so lang wie die gesamte Axt und zuweilen ein
wenig nach aussen gekrümmt, ist so hoch ge-
schwungen, dass sogar ihre untere Spitze nicht
bis zum untern Rande der Bahn hinabreicht, wo-
durch vermutlich der Schwung des Hiebes wie
des Wurfes verstärkt wird; denn die Francisca ist
in erster Reihe ein Wurfbeil. Als solches ver-
folgte sie ihren Weg, indem sie sich um ihre
Achse drehte und beständig überschlug. Die
Klingenlänge beträgt vom Helm bis zur Schneide
14 bis 18 cm; letzteres Mass herrscht bei den
deutschen Funden vor.»3)
Bereits Procopius4) berichtet in seiner Ge-
schichte des Gotenkrieges (II, 25, 28), dass das
austrasische Fussvolk, welches Theodobert I. im
Jahre 539 nach Italien führte, der Masse nach nicht
mit Speeren und Bogen, sondern neben Schwert

2) Jähns, Entwicklungsgeschichte S. 138. Cf. auch die
Abbildungen der Francisca bei Jähns ebendas. Tafel III, No. 7
und 8, sowie das im Grabe Childerichs I, (gest. 481) gefundene
Exemplar auf Tafel IV, No. 2, ferner in Jähns’ Atlas zur Ge-
schichte des Kriegswesens Tafel 28, No. 19.
Demmin a. a. O. Seite 337, 338, No. 44, 44a und 44 bis,
und Seite 348.
Lindenschmit: Die vaterländischen Altertümer der Fürst-
lich Hohenzollernschen Sammlungen zu Sigmaringen (Mainz
1860) Seite 15 und auf Tafel I No. 6 u. 13 u. a. m.
3) Das Gewicht eines solchen Wurfbeils (Francisca) aus
der Merovinger-Zeit ist in Band I, Heft 12, Seite 307 dieser
Zeitschrift auf durchschnittlich 600 Gramm, bei einem Exem-
plar auf 550 Gramm angegeben.
4) Ueber die Litteratur vergl. Lindenschmit a. a. O.
Seite 14—15.
San Marte, Zur Waffenkunde des älteren deutschen
Mittelalters, Quedlinburg 1867, Seite 191 ff.
Jähns, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens
(Leipzig 1880) Seite 409 ff., sowie derselbe: Entwicklungs-
geschichte a. a. O. Seite 141 —142.
Boeheim, Handbuch der Waffenkunde Seite 4 und 367.

*) Demmin, a. a. O.
 
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