io. Heft.
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
371
von all jenen Monumenten «in natura» unterstützt,
welche sich in älterer und neuerer Zeit Rekon-
struktionen gefallen lassen mussten und — ach —
nach oft nur kurzer Zeit schon als verfehlt be-
zeichnet werden mussten. Es ist entsetzlich, was
an alten Bauwerken von unseren «Rekonstruktoren»
gesündigt worden ist, und viele dieser Rekon-
struktionen sind uns heute weit eher ein Denkmal
dafür, wie man nicht rekonstruieren soll, als um-
gekehrt, nachahmenswerte Vorbilder für moderne
Wiederhersteller und solche, die es werden wollen.
Am guten Willen und an der festen Ueberzeugung
der «Stiltreue» hat .es natürlich den Restauratoren
nie gefehlt, und auch die Mitwelt war sehr oft
darin einig, dass hier der Zenith an stilgetreuer Re-
konstruktion erreicht sei — aber die Nachgeborenen
haben oft sehr bald schon erkannt, dass dies und
das wohl besser anders gemacht worden wäre und
dass nicht selten die angebliche Stilechtheit nur ein
äusserer Firnis war, unter dem sich gänzliches Ver-
kennen des wahren Wesens des alten Stils verbarg.
Ich erinnere, um nur ein Beispiel zu nennen, an das
1825—29 vom Prinzen Friedrich von Preussen
restaurierte Schloss Rheinstein bei Bingen, ich er-
innere aber auch, um ein anderes Gebiet zu streifen,
an die Renaissance- und Empire-Rekonstruktionen
antiker Bildwerke. Heute reisst man diese alten
Ergänzungen wieder herunter — so gut es geht.
Bei alten Bauwerken geht das minder leicht,
als bei Marmorstatuen u. dergl., doch hat auch das
sein Gutes: sie zeigen uns, wie man es nicht
machen soll, und sie bleiben uns Monumente
des Könnens und Nichtkönnens gewisser Kunst-
perioden. Rheinstein z. B. ist mir in seiner ver-
ballhornisierten Gotik, der «Romantiker-Gotik»,
ebenso interessant, als wenn es überaus stilgerecht
(nach heutigen Begriffen) restauriert wäre. Unter
diesem Gesichtspunkte werden auch einmal unsere
neueren Burgenrekonstruktionen interessant werden,
ja künstlerischen Wert erhalten. Bedauerlich bleibt
dabei natürlich immer, dass es gerade ein altes
Bauwerk ist, das darunter zu leiden hat, dass
man damit nicht selten ein altes Monument zur
Hälfte vernichtet, statt ganz einfach die erstrebte
Rekonstruktion als Neubau daneben oder auf einen
benachbarten Bergrücken zu setzen — gerade so,
wie man etwa in Museen gelegentlich einen Torso
und daneben in Gips seine Rekonstruktion sieht.1)
Zweifellos ist es theoretisch richtiger oder,
um mich noch schärfer auszudrücken, das allein
Richtige, niemals ein altes Denkmal im Original zu
rekonstruieren, nie das Denkmal, sei es nun eine
alte Burg-, Tempel- oder Klosterruine, sei es ein
Gemälde, eine Statue, sei es eine alte Waffe, eine
alte Thonschüssel oder ein altes Schmuckstück, zu
J) Ich glaube, dass es nur eines einzigen derartigen
Versuches bedürfte, um den Wert der Wiederherstellungen
klar zu zeigen, und — unsere Denkmäler künftig besser zu
schützen. Die Schriftleitung.
restaurieren und das Fehlende zu rekonstruieren.
Theoretisch genommen, ist dies stets und in allen
Fällen zu verdammen, denn in neun auf zehn Fällen
werden Restauration und Rekonstruktion das Feh-
lende des Originals nicht absolut ersetzen, —
in sehr vielen Fällen liegt sogar die Gefahr vor,
dass aus der Restauration oder Rekonstruktion sich
Irrtümer entwickeln. — Indessen, grau ist alle
Theorie, und Theorie und Praxis stehen sich oft
schroff gegenüber.
Thatsächlich wird ein Objekt, gleichviel was
es sei, in den meisten Fällen nur dann restauriert
oder rekonstruiert, wenn sein Erhaltungszustand ge-
wisse Mängel zeigt, wenn derselbe einer Reparatur
bedarf. Und hier ist es, wo nun das Glatteis be-
ginnt, wo die Theorie und die Prinzipienreiterei in
die Brüche gehen. Es ist ja sehr schön, sehr ge-
lehrt, sehr wissenschaftlich zu sagen: die Restau-
ration verdirbt das Cachet, sie wird das alte nie
erreichen, sie ist prinzipiell abzulehnen. Gewiss ist
sie das in allen Fällen, wo dazu keine Notwendig-
keit vorliegt — aber, wo diese eben eintritt, da
kann alle Sentimentalität nichts helfen, und man
wird eben vor das oui ou non gestellt: wollen wir
das alte Bau- oder Bilderwerk dem allmählichen
Verfall anheimgeben oder es retten. Ich möchte
unsere defekten Schätze mit Kranken vergleichen:
man lässt sie intakt, so lange keine absolute Gefahr
vorliegt; tritt aber die Gefahr ein, dass der kranke
Arm oder der kranke Fuss auch den übrigen Körper
zum Verfall bringt, so schluckt man die bittere
Pille und schreitet zur Amputation; das fehlende
Glied wird dann in Holz, in Stoff und weiss Gott
was ergänzt — schöner ist der Amputierte damit
zwar nicht geworden, aber — er lebt nun wenigstens.
Gerade so ist es mit unseren alten Kunstwerken:
oft ist ihre Erhaltung nur dadurch gesichert, dass
man mit ihnen eine Radikalkur vornimmt. Als
Grundsatz freilich wird man stets aufstellen müssen:
nur die Notwendigkeit soll Reparaturen, Restau-
rationen und Rekonstruktionen, welche Teile des
alten Originals zerstören, gestatten. Not kennt
bekanntlich kein Gebot. Wo aber die Not nicht
vorhanden ist, da lasse man die Finger von der
Sache — es sei denn, die Reparatur, Restauration
oder Rekonstruktion seien derart, das sie das
Original nicht schädigen und stets ohne Schaden
für jenes wieder entfernt werden können.
Wollen wir aber Theorie und Praxis miteinander
in Einklang bringen, so wird stets der Leitsatz gelten:
weder prinzipielles Nein, noch rasches Ja, nur strenge
Prüfung von Fall zu Fall, ich möchte sagen,
rein individuelle Behandlung j edes einzelnen
Falles, können den Ausschlag geben.
Die Wissenschaft schreitet voran und die Stil-
kritik sogar mit gewaltigen Schritten. Als Rhein-
stein gebaut wurde, glaubte man ein Meisterwerk
gotischen Stils geschaffen zu haben. Als Viollet-
ie-duc auftrat, war die Rheinsteingotik, die Roman-
Zeitschrift für historische Waffenkunde.
371
von all jenen Monumenten «in natura» unterstützt,
welche sich in älterer und neuerer Zeit Rekon-
struktionen gefallen lassen mussten und — ach —
nach oft nur kurzer Zeit schon als verfehlt be-
zeichnet werden mussten. Es ist entsetzlich, was
an alten Bauwerken von unseren «Rekonstruktoren»
gesündigt worden ist, und viele dieser Rekon-
struktionen sind uns heute weit eher ein Denkmal
dafür, wie man nicht rekonstruieren soll, als um-
gekehrt, nachahmenswerte Vorbilder für moderne
Wiederhersteller und solche, die es werden wollen.
Am guten Willen und an der festen Ueberzeugung
der «Stiltreue» hat .es natürlich den Restauratoren
nie gefehlt, und auch die Mitwelt war sehr oft
darin einig, dass hier der Zenith an stilgetreuer Re-
konstruktion erreicht sei — aber die Nachgeborenen
haben oft sehr bald schon erkannt, dass dies und
das wohl besser anders gemacht worden wäre und
dass nicht selten die angebliche Stilechtheit nur ein
äusserer Firnis war, unter dem sich gänzliches Ver-
kennen des wahren Wesens des alten Stils verbarg.
Ich erinnere, um nur ein Beispiel zu nennen, an das
1825—29 vom Prinzen Friedrich von Preussen
restaurierte Schloss Rheinstein bei Bingen, ich er-
innere aber auch, um ein anderes Gebiet zu streifen,
an die Renaissance- und Empire-Rekonstruktionen
antiker Bildwerke. Heute reisst man diese alten
Ergänzungen wieder herunter — so gut es geht.
Bei alten Bauwerken geht das minder leicht,
als bei Marmorstatuen u. dergl., doch hat auch das
sein Gutes: sie zeigen uns, wie man es nicht
machen soll, und sie bleiben uns Monumente
des Könnens und Nichtkönnens gewisser Kunst-
perioden. Rheinstein z. B. ist mir in seiner ver-
ballhornisierten Gotik, der «Romantiker-Gotik»,
ebenso interessant, als wenn es überaus stilgerecht
(nach heutigen Begriffen) restauriert wäre. Unter
diesem Gesichtspunkte werden auch einmal unsere
neueren Burgenrekonstruktionen interessant werden,
ja künstlerischen Wert erhalten. Bedauerlich bleibt
dabei natürlich immer, dass es gerade ein altes
Bauwerk ist, das darunter zu leiden hat, dass
man damit nicht selten ein altes Monument zur
Hälfte vernichtet, statt ganz einfach die erstrebte
Rekonstruktion als Neubau daneben oder auf einen
benachbarten Bergrücken zu setzen — gerade so,
wie man etwa in Museen gelegentlich einen Torso
und daneben in Gips seine Rekonstruktion sieht.1)
Zweifellos ist es theoretisch richtiger oder,
um mich noch schärfer auszudrücken, das allein
Richtige, niemals ein altes Denkmal im Original zu
rekonstruieren, nie das Denkmal, sei es nun eine
alte Burg-, Tempel- oder Klosterruine, sei es ein
Gemälde, eine Statue, sei es eine alte Waffe, eine
alte Thonschüssel oder ein altes Schmuckstück, zu
J) Ich glaube, dass es nur eines einzigen derartigen
Versuches bedürfte, um den Wert der Wiederherstellungen
klar zu zeigen, und — unsere Denkmäler künftig besser zu
schützen. Die Schriftleitung.
restaurieren und das Fehlende zu rekonstruieren.
Theoretisch genommen, ist dies stets und in allen
Fällen zu verdammen, denn in neun auf zehn Fällen
werden Restauration und Rekonstruktion das Feh-
lende des Originals nicht absolut ersetzen, —
in sehr vielen Fällen liegt sogar die Gefahr vor,
dass aus der Restauration oder Rekonstruktion sich
Irrtümer entwickeln. — Indessen, grau ist alle
Theorie, und Theorie und Praxis stehen sich oft
schroff gegenüber.
Thatsächlich wird ein Objekt, gleichviel was
es sei, in den meisten Fällen nur dann restauriert
oder rekonstruiert, wenn sein Erhaltungszustand ge-
wisse Mängel zeigt, wenn derselbe einer Reparatur
bedarf. Und hier ist es, wo nun das Glatteis be-
ginnt, wo die Theorie und die Prinzipienreiterei in
die Brüche gehen. Es ist ja sehr schön, sehr ge-
lehrt, sehr wissenschaftlich zu sagen: die Restau-
ration verdirbt das Cachet, sie wird das alte nie
erreichen, sie ist prinzipiell abzulehnen. Gewiss ist
sie das in allen Fällen, wo dazu keine Notwendig-
keit vorliegt — aber, wo diese eben eintritt, da
kann alle Sentimentalität nichts helfen, und man
wird eben vor das oui ou non gestellt: wollen wir
das alte Bau- oder Bilderwerk dem allmählichen
Verfall anheimgeben oder es retten. Ich möchte
unsere defekten Schätze mit Kranken vergleichen:
man lässt sie intakt, so lange keine absolute Gefahr
vorliegt; tritt aber die Gefahr ein, dass der kranke
Arm oder der kranke Fuss auch den übrigen Körper
zum Verfall bringt, so schluckt man die bittere
Pille und schreitet zur Amputation; das fehlende
Glied wird dann in Holz, in Stoff und weiss Gott
was ergänzt — schöner ist der Amputierte damit
zwar nicht geworden, aber — er lebt nun wenigstens.
Gerade so ist es mit unseren alten Kunstwerken:
oft ist ihre Erhaltung nur dadurch gesichert, dass
man mit ihnen eine Radikalkur vornimmt. Als
Grundsatz freilich wird man stets aufstellen müssen:
nur die Notwendigkeit soll Reparaturen, Restau-
rationen und Rekonstruktionen, welche Teile des
alten Originals zerstören, gestatten. Not kennt
bekanntlich kein Gebot. Wo aber die Not nicht
vorhanden ist, da lasse man die Finger von der
Sache — es sei denn, die Reparatur, Restauration
oder Rekonstruktion seien derart, das sie das
Original nicht schädigen und stets ohne Schaden
für jenes wieder entfernt werden können.
Wollen wir aber Theorie und Praxis miteinander
in Einklang bringen, so wird stets der Leitsatz gelten:
weder prinzipielles Nein, noch rasches Ja, nur strenge
Prüfung von Fall zu Fall, ich möchte sagen,
rein individuelle Behandlung j edes einzelnen
Falles, können den Ausschlag geben.
Die Wissenschaft schreitet voran und die Stil-
kritik sogar mit gewaltigen Schritten. Als Rhein-
stein gebaut wurde, glaubte man ein Meisterwerk
gotischen Stils geschaffen zu haben. Als Viollet-
ie-duc auftrat, war die Rheinsteingotik, die Roman-