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den Göttern derselben hing man mit Pietät, und so gehen
wir gewiss nicht fehl, den phönicischen Ansiedlern die
Gründung des ersten tempelartigen Heiligthums am Kayster
— denn sacra gab es schon, vorher — zuzuschreiben. Es
galt der grossen Naturgöttin, welche unter dem Symbole
des Mondes im ganzen Vorderasien verehrt wurde; sie war
ja auch die Beschützerin der Schiffahrt. Jene bekannte
Sage, die Amazonen hätten Ephesos gegründet, geht auf
die bewaffneten Priesterinnen eben der Göttin zurück.
Von der Landseite mussten die Ansiedler nothwendig
mit den Urbewohnern des Hinterlandes in Conflict kommen;
eine Uebereinkunft mit ihnen war um so leichter, da Han-
delsinteressen friedlichen Verkehr anriethen, auch die Ueber-
einstimmung des Cultus der im Grunde gleichen Göttin
solchen beförderte. Die Priesterschaft hatte also die Haupt-
rolle dabei: sie versöhnte und stellte sich damit an die
Spitze der neuen, sich rasch entwickelnden Ortschaft. Der
Oberpriester, welchen die stimmberechtigten Priester be-
riefen, herrschte als Haupt, die Ansiedler bebauten den
fruchtbaren Boden für das Heiligthum.
Neuen Zuzug erhielt der Ort durch die herbeikommen-
den Leleger und besonders die Lydier von Sardis her. So
wuchs die Stadt heran, das Tempelasyl ward fortwährend
aufgesucht, neue Ankömmlinge als Erweiterung der priester-
lichen Herrschaft' stets erwünscht. Als einverleibt dem
lydischen Staate nahm Ephesos auch Theil an all den
Culturelementen, welche dieses merkwürdige alte Reich bot,
und hatte fortwährend Fühlung mit den Staaten Asiens
bis nach Bactrien hin, deren Einflüsse gewiss nicht unbe-
deutend waren.
Auf positiveres Gebiet tritt unsere Gescbichtskenntniss
der Stadt erst in jener Zeit, da die Jonier sich Zutritt ver-
schafften an den Küsten Kleinasiens. Dass Lydien die
Mündung der Flüsse und die Niederungen derselben ohne
Gebühr oder Leistung den herankommenden Hellenen über-
lassen hätte, ist nicht anzunehmen, zumal die Auswande-
den Göttern derselben hing man mit Pietät, und so gehen
wir gewiss nicht fehl, den phönicischen Ansiedlern die
Gründung des ersten tempelartigen Heiligthums am Kayster
— denn sacra gab es schon, vorher — zuzuschreiben. Es
galt der grossen Naturgöttin, welche unter dem Symbole
des Mondes im ganzen Vorderasien verehrt wurde; sie war
ja auch die Beschützerin der Schiffahrt. Jene bekannte
Sage, die Amazonen hätten Ephesos gegründet, geht auf
die bewaffneten Priesterinnen eben der Göttin zurück.
Von der Landseite mussten die Ansiedler nothwendig
mit den Urbewohnern des Hinterlandes in Conflict kommen;
eine Uebereinkunft mit ihnen war um so leichter, da Han-
delsinteressen friedlichen Verkehr anriethen, auch die Ueber-
einstimmung des Cultus der im Grunde gleichen Göttin
solchen beförderte. Die Priesterschaft hatte also die Haupt-
rolle dabei: sie versöhnte und stellte sich damit an die
Spitze der neuen, sich rasch entwickelnden Ortschaft. Der
Oberpriester, welchen die stimmberechtigten Priester be-
riefen, herrschte als Haupt, die Ansiedler bebauten den
fruchtbaren Boden für das Heiligthum.
Neuen Zuzug erhielt der Ort durch die herbeikommen-
den Leleger und besonders die Lydier von Sardis her. So
wuchs die Stadt heran, das Tempelasyl ward fortwährend
aufgesucht, neue Ankömmlinge als Erweiterung der priester-
lichen Herrschaft' stets erwünscht. Als einverleibt dem
lydischen Staate nahm Ephesos auch Theil an all den
Culturelementen, welche dieses merkwürdige alte Reich bot,
und hatte fortwährend Fühlung mit den Staaten Asiens
bis nach Bactrien hin, deren Einflüsse gewiss nicht unbe-
deutend waren.
Auf positiveres Gebiet tritt unsere Gescbichtskenntniss
der Stadt erst in jener Zeit, da die Jonier sich Zutritt ver-
schafften an den Küsten Kleinasiens. Dass Lydien die
Mündung der Flüsse und die Niederungen derselben ohne
Gebühr oder Leistung den herankommenden Hellenen über-
lassen hätte, ist nicht anzunehmen, zumal die Auswande-