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Zöllner, Frank
Vitruvs Proportionsfigur: quellenkrit. Studien zur Kunstliteratur im 15. u. 16. Jh. — Worms: Wernersche Verl.-Ges., 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.73563#0048
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KAPITEL II

Instrumente infrage. Daneben ist zu bemerken, daß der Doryphoros Polyklets
Verbindungen zur Metrologie zu haben scheint.42
6. Modus und mensura
Das Prinzip, mit Brüchen und Vielfachen sowie in metrologisch bestimmten
Konventionen zu arbeiten, geht, wie der von Philon erörterte Gebrauch eines
Maßstabs zeigt, über die einfache Benutzung von Standardmaßen hinaus.
Dieses weitergreifende Prinzip ist möglicherweise mit Vitruvs eher
metaphorisch anmutender Anschauung gemeint, daß das Gebäude und seine
Teile sich zueinander in einem bestimmten Verhältnis zu verhalten hätten
(I.2.4.; 3.1.1.). Die Relationen der Teile untereinander und zum Ganzen des
Baues lassen sich dabei aus einem modulus (3.1.1.; I.2.2.; 1.2.4.) berechnen,
der wiederum aus dem Gebäude selbst, etwa der Säulendicke (1.2.4.) oder der
Breite des Tempels (3.3.7.), entwickelt wird. Besonders beim letzten Verfahren
besteht ein augenfälliger Zusammenhang zwischen den Teilen und dem Ganzen
dadurch, daß das Grundmaß, modulus, ein Glied des Ganzen ist und als solches
ebenfalls in den anderen Teilen aufgeht. Allerdings basiert Vitruvs gesamte
Baulehre nicht auf dem Modulverfahren allein; so entwickeln sich im ionischen
Stil (3.5.1-13.) die einzelnen Proportionen aus bereits gegebenen oder
standardisierten Dimensionen. Doch sowohl das Modulverfahren als auch die
sogenannte sukzessive Methode im ionischen Tempelbau (s.o.) sind mit der
Leibmetaphorik untereinander zusammenhängender Glieder eines Körpers
zutreffend charakterisiert.
Das oben erörterte Prinzip, mit Brüchen und Vielfachen sowie innerhalb
metrologischer Konventionen zu operieren, verdeutlicht den meß- und kalku-
lationstechnischen Hintergrund dieser Metaphorik, doch es gibt kaum Hinweise
darauf, wie sich dieses Prinzip aus den Beschreibungen Vitruvs selbst ableiten
läßt. Dies ist vielleicht durch eine Analyse derjenigen Aussagen möglich, die
Vitruv über das Berechnungsprinzip und das Aufmaß von Gebäuden macht. In
der Erläuterung der nach Maß berechneten Abmessung des Bauwerks,
ordinatio, sowie bei der Beschreibung des maßstäblich angefertigten Entwurfs
gebraucht Vitruv wiederholt das Wort modus und dessen Derivate (I.2.2.); Maß
ist hier also nicht mensura, sondern modus. Obwohl Vitruv keine ausdrückliche
Unterscheidung zwischen den Begriffen modus und mensura macht, gibt ihr
differenzierter Gebrauch im Text einige Hinweise auf ihre unterschiedliche
Bedeutung. Mensura wird vor allem verwendet, wenn es sich um bereits
etablierte Maße handelt, etwa die Körperhöhe eines wohlgebildeten Menschen
(3.1.3.), die bereits feststehenden Längen- und Breitendimensionen eines
Speisesaals (6.3.8.), den Erdumfang (1.6.11.) oder die Zuteilung eines
bestimmten Quantums von Vorräten (5.10.9.). Das Substantiv modus und seine
adjektivischen Derivate hingegen kommen eher bei Maßen zur Anwendung, die
sich aus Verhältnissen entwickeln oder zu entwickeln sind. So wird modus
gebraucht, wenn das Maß des Hafens sich aus der Größe der Schiffe ergibt
(5.12.7.) oder das der ländlichen Gebäude aus dem Umfang des Ackers (6.6.1.).
Das Adjektiv modicus taucht auf, wenn es sich um das Verhältnis der einzelnen
42 Vgl. H.v.STEUBEN, Der Kanon des Polyklet. Doryphoros und Amazone, Tübingen 1973,
S.16-20; neuere Literatur bei A. STEWART, The Canon of Polykleitos: A Question of Evidence,
in: Journal of Hellenic Studies 98.1978, S.122-131.
 
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