VITRUVS PROPORTIONSFIGUR
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gevierteilten Sechsteln (s.o.). Mit dieser Operation wird die symmetria
innerhalb dem Prinzip der eurythmia abgeändert, und dieses Prinzip ergibt sich
aus dem modus, d.h. aus der Art und Weise wie die von der mensura
unterschiedenen Maßstäbe benutzt werden. Hieraus kann man schließlich auch
erklären, warum der zur Ermittlung der Symmetrien (com-mensura-tiones)
bisweilen gebrauchte modulus sich etymologisch aus modus und nicht aus
mensura ableitet: wie Philon anläßlich einer anderen Methode zur
Proportionierung von Katapulten schreibt, könne man bei der Kalibrierung des
mit der Geschoßlänge identischen Maßstabes auch eines der durch die
Unterteilung gewonnenen Teile als Modul nehmen.51 Mit diesem Modul und
nicht mit dem sonst die maßstäbliche Übertragung garantierenden Maßstab
selbst werden die korrekten Dimensionen ermittelt und vom Modell auf die
Originalmaschine transferiert. D.h. weil der modulus ein kleiner Teil des sonst
den modus repräsentierenden Instruments ist, wurde sein Name folgerichtig als
dessen Diminutiv gebildet: modulus, »kleiner Modus«.
Wenn es zwei nach mensura und modus oder nach symmetria und eurythmia
unterschiedene Maßprinzipien gibt, dann gehört der von Vitruv auf der
Grundlage der Metrologie definierte Proportionskanon auf jeweils unter-
schiedliche Weise beiden an. Die in Standardmaßen definierten Proportionen,
die das Prinzip von mensura und symmetria repräsentieren, sind com-mensus
proportiones (3.1.2.) und bestätigen damit die grundlegende Bedeutung der
Metrologie für den Proportionskanon Vitruvs. Das unter modus und eurythmia
zu fassende Prinzip andererseits ergibt sich aus der unabhängig von der
konkreten mensura existierenden bautechnischen Nützlichkeit derjenigen
Instrumente und Techniken, die gemäß den metrologischen Konventionen
definiert und organisiert sind. Diese Organisation und Definition findet im
Anthropomorphismus ebenso einen Ausdruck wie das Prinzip der Symmetrie.
Denn Vitruv betont, daß sowohl im Bau als auch im menschlichen Körper die
Eigenschaft der Eurythmie (qualitas eurythmiae, 1.2.4.) symmetrisch sei, und
daß diese symmetrische Eigenschaft sich aus der Anordnung der einzelnen
Glieder ergebe. Dabei steht das Maß der Glieder für symmetria, ihre Anordnung
aber für eurythmia. Vitruvs Proportionsfigur demonstriert nicht nur die
Notwendigkeit der Standardmaße (mensurae) selbst, sondern gleichzeitig auch
das abstrakte System ihrer untereinander bestehenden Verhältnisse, d.h. den
modus ihrer Definition und Anwendung.
8. Manasara - anstatt einer Zusammenfassung
Den bisherigen Ausführungen zufolge demonstriert Vitruvs Proportionsfigur
die Bedeutung anthropomorpher Standardmaße, ihr Definitionssystem, ihre
Verwendung und die Prinzipien ihrer praktischen Nützlichkeit sowie den
Gebrauch technischer Instrumente bei der Proportionierung von Gebäuden und
Gebäudeteilen. Diese Prinzipien, die sich unter den beiden Maßvorstellungen
von eurythmia und symmetria oder modus und mensura subsumieren lassen,
werden in der beschriebenen Figur anthropomorph veranschaulicht. Ein Aspekt
der sowohl theoretisch als auch praktisch weitreichenden anthropomorphen Ar-
chitekturauffassung ist die Erzielung der für die Steinarchitektur unerläßlichen
51 PHILON, Belopoeika 54.27.-55.3.
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gevierteilten Sechsteln (s.o.). Mit dieser Operation wird die symmetria
innerhalb dem Prinzip der eurythmia abgeändert, und dieses Prinzip ergibt sich
aus dem modus, d.h. aus der Art und Weise wie die von der mensura
unterschiedenen Maßstäbe benutzt werden. Hieraus kann man schließlich auch
erklären, warum der zur Ermittlung der Symmetrien (com-mensura-tiones)
bisweilen gebrauchte modulus sich etymologisch aus modus und nicht aus
mensura ableitet: wie Philon anläßlich einer anderen Methode zur
Proportionierung von Katapulten schreibt, könne man bei der Kalibrierung des
mit der Geschoßlänge identischen Maßstabes auch eines der durch die
Unterteilung gewonnenen Teile als Modul nehmen.51 Mit diesem Modul und
nicht mit dem sonst die maßstäbliche Übertragung garantierenden Maßstab
selbst werden die korrekten Dimensionen ermittelt und vom Modell auf die
Originalmaschine transferiert. D.h. weil der modulus ein kleiner Teil des sonst
den modus repräsentierenden Instruments ist, wurde sein Name folgerichtig als
dessen Diminutiv gebildet: modulus, »kleiner Modus«.
Wenn es zwei nach mensura und modus oder nach symmetria und eurythmia
unterschiedene Maßprinzipien gibt, dann gehört der von Vitruv auf der
Grundlage der Metrologie definierte Proportionskanon auf jeweils unter-
schiedliche Weise beiden an. Die in Standardmaßen definierten Proportionen,
die das Prinzip von mensura und symmetria repräsentieren, sind com-mensus
proportiones (3.1.2.) und bestätigen damit die grundlegende Bedeutung der
Metrologie für den Proportionskanon Vitruvs. Das unter modus und eurythmia
zu fassende Prinzip andererseits ergibt sich aus der unabhängig von der
konkreten mensura existierenden bautechnischen Nützlichkeit derjenigen
Instrumente und Techniken, die gemäß den metrologischen Konventionen
definiert und organisiert sind. Diese Organisation und Definition findet im
Anthropomorphismus ebenso einen Ausdruck wie das Prinzip der Symmetrie.
Denn Vitruv betont, daß sowohl im Bau als auch im menschlichen Körper die
Eigenschaft der Eurythmie (qualitas eurythmiae, 1.2.4.) symmetrisch sei, und
daß diese symmetrische Eigenschaft sich aus der Anordnung der einzelnen
Glieder ergebe. Dabei steht das Maß der Glieder für symmetria, ihre Anordnung
aber für eurythmia. Vitruvs Proportionsfigur demonstriert nicht nur die
Notwendigkeit der Standardmaße (mensurae) selbst, sondern gleichzeitig auch
das abstrakte System ihrer untereinander bestehenden Verhältnisse, d.h. den
modus ihrer Definition und Anwendung.
8. Manasara - anstatt einer Zusammenfassung
Den bisherigen Ausführungen zufolge demonstriert Vitruvs Proportionsfigur
die Bedeutung anthropomorpher Standardmaße, ihr Definitionssystem, ihre
Verwendung und die Prinzipien ihrer praktischen Nützlichkeit sowie den
Gebrauch technischer Instrumente bei der Proportionierung von Gebäuden und
Gebäudeteilen. Diese Prinzipien, die sich unter den beiden Maßvorstellungen
von eurythmia und symmetria oder modus und mensura subsumieren lassen,
werden in der beschriebenen Figur anthropomorph veranschaulicht. Ein Aspekt
der sowohl theoretisch als auch praktisch weitreichenden anthropomorphen Ar-
chitekturauffassung ist die Erzielung der für die Steinarchitektur unerläßlichen
51 PHILON, Belopoeika 54.27.-55.3.