ALBRECHT DÜRER
91
Originale wiedergeben. Zu den nur mittelbar bekannten Vorbildern Dürers
gehört eine Kopie nach Mantegna, dessen Stich oder Zeichnung Dürer für
seinen 1494 datierten »Tod des Orpheus« (W.58) benutzte.16 Demgegenüber
sind die Stiche Mantegnas für Dürers »Bacchanal mit Silenen« (W.59) und die
»Kämpfenden Meergötter« (W.60, beide datiert 1494) bekannt.17 Dem auf 1495
datierten »Frauenraub« (W.82) schließlich lag mit ziemlicher Sicherheit eine
heute verlorene Studie Antonio Pollaiuolos zugrunde, und zwei um 1500 und
1502 entstandene Kupferstiche mit dem Thema »Apollo und Diana« zeigen den
Einfluß Jacopo de' Barbaris.18 Dürers wahrscheinlich später, etwa gegen 1504
entstandener »Nackter Mann mit Spiegel« (W.419) geht vermutlich auf eine
ähnliche Studie des Herkules Borghese-Piccolomini zurück, wie sie der Codex
Escurialensis überliefert.19 Ein anderes identifiziertes antikes Motiv ist der von
Dürer als Apollo (W.87) mißverstandene »Eros mit dem Bogen des Herkules«,
den er ebenfalls nach einer italienischen Kopie anfertigte.20
Dürers Entwicklungsstand vor seiner Auseinandersetzung mit Vitruv und vor
dem Beginn seiner eigentlichen Proportionsstudien basierte also auf wenigen
Zeichnungen nach lebenden Modellen und auf der Kenntnis der durch die
italienischen Künstler vermittelten Antike. Neue Anstöße muß er um 1500 von
Jacopo de' Barbari erhalten haben21, der ihm, wie Dürer 1523 berichtet, zwei
mit Maß gemachte Zeichnungen, einen Mann und eine Frau, gezeigt hatte und
überhaupt der einzige verfügbare Sachverständige auf diesem Gebiet gewesen
sei:
Jdoch so ich keinen find, der do etwas beschriben hett van menschlicher mas zw
machen, dan einen man Jacobus genent, van Venedig geporn, ein üblicher moler.
Der wies mir man vnd weib, dy er aws der mas gemacht het [...]. Aber ich was zw
der selben tzeit noch jung vnd het nie fan sölchem ding gehört. Vnd dy kunst ward
mir fast liben [d.i. sehr lieb], vnd [ich] nam dy ding zw sin, wy man solche ding
möcht zw wegen pringen. Dan mir wolt diser forgemelt Jacobus seinen grünt nit
klerlich an tzeigen, das merkett ich woll an jm. Doch nam ich mein eygen ding für
mych vnd las den Fitrufium, der beschreibt ein wenig van der glidmas eines mans.
Also van oder aws den zweien obgenanten manen [Jacopo de' Barbari und Vitruv]
hab ich meinen anfang genumen, vnd hab dornoch aws meinem für nemen gesucht
van dag zw dag.22
16 Vgl. A. WARBURG, Dürer und die italienische Antike (Vortrag 1905), in: Gesammelte
Schriften, 2Bde., Leipzig/Berlin 1932, Bd.2, S.443-449; J. MEDER, Neue Beiträge zur
Dürerforschung, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses
30.1911/1912, S.183-227, bes. S.208-221.
17 Vgl. J. MEDER, Beiträge zur Dürerforschung, S.211; E. SIMON, Dürer und Mantegna 1494,
in: Anzeiger des germanischen Nationalmuseums 1972, S.21-40.
18 Vgl. E. PANOFSKY, Dürers Darstellungen des Apollo und ihr Verhältnis zu Barbari, in:
Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 41.1920, S.359-377; A. WOLF, Jacopo de'
Barbari's Apollo and Dürer's Early Male Proportional Figures, in: Art Bulletin 25.1943,
S.363-365; W. L. STRAUSS, The Intaglio Prints of Albrecht Dürer. Engravings, Etchings and
Drypoints, 3.Aufl., New York 1981, S.116-117.
19 H. EGGER, Codex Escurialensis. Ein Skizzenbuch aus der Werkstatt Domenico Ghirlandaios
(Sonderschriften des österreichischen archäologischen Institutes in Wien 4), Wien 1906, fol.37r,
und S.106-107; vgl. A. M. FRIEND, Dürer and the Hercules Borghese-Piccolomini, in: Art
Bulletin 25.1943, S.40-49.
20 Vgl. F. WICKHOFF, Dürers Studium nach der Antike, Innsbruck 1880 (Separatum der
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1.1880, H.3).
21 Vgl. J. A. LEVENSON, Jacopo de' Barbari and Northern Art of the Early Sixteenth Century,
Diss. Phil., New York 1978.
22 RUPPRICH, Schriftlicher Nachlaß, Bd.l, S.102.
91
Originale wiedergeben. Zu den nur mittelbar bekannten Vorbildern Dürers
gehört eine Kopie nach Mantegna, dessen Stich oder Zeichnung Dürer für
seinen 1494 datierten »Tod des Orpheus« (W.58) benutzte.16 Demgegenüber
sind die Stiche Mantegnas für Dürers »Bacchanal mit Silenen« (W.59) und die
»Kämpfenden Meergötter« (W.60, beide datiert 1494) bekannt.17 Dem auf 1495
datierten »Frauenraub« (W.82) schließlich lag mit ziemlicher Sicherheit eine
heute verlorene Studie Antonio Pollaiuolos zugrunde, und zwei um 1500 und
1502 entstandene Kupferstiche mit dem Thema »Apollo und Diana« zeigen den
Einfluß Jacopo de' Barbaris.18 Dürers wahrscheinlich später, etwa gegen 1504
entstandener »Nackter Mann mit Spiegel« (W.419) geht vermutlich auf eine
ähnliche Studie des Herkules Borghese-Piccolomini zurück, wie sie der Codex
Escurialensis überliefert.19 Ein anderes identifiziertes antikes Motiv ist der von
Dürer als Apollo (W.87) mißverstandene »Eros mit dem Bogen des Herkules«,
den er ebenfalls nach einer italienischen Kopie anfertigte.20
Dürers Entwicklungsstand vor seiner Auseinandersetzung mit Vitruv und vor
dem Beginn seiner eigentlichen Proportionsstudien basierte also auf wenigen
Zeichnungen nach lebenden Modellen und auf der Kenntnis der durch die
italienischen Künstler vermittelten Antike. Neue Anstöße muß er um 1500 von
Jacopo de' Barbari erhalten haben21, der ihm, wie Dürer 1523 berichtet, zwei
mit Maß gemachte Zeichnungen, einen Mann und eine Frau, gezeigt hatte und
überhaupt der einzige verfügbare Sachverständige auf diesem Gebiet gewesen
sei:
Jdoch so ich keinen find, der do etwas beschriben hett van menschlicher mas zw
machen, dan einen man Jacobus genent, van Venedig geporn, ein üblicher moler.
Der wies mir man vnd weib, dy er aws der mas gemacht het [...]. Aber ich was zw
der selben tzeit noch jung vnd het nie fan sölchem ding gehört. Vnd dy kunst ward
mir fast liben [d.i. sehr lieb], vnd [ich] nam dy ding zw sin, wy man solche ding
möcht zw wegen pringen. Dan mir wolt diser forgemelt Jacobus seinen grünt nit
klerlich an tzeigen, das merkett ich woll an jm. Doch nam ich mein eygen ding für
mych vnd las den Fitrufium, der beschreibt ein wenig van der glidmas eines mans.
Also van oder aws den zweien obgenanten manen [Jacopo de' Barbari und Vitruv]
hab ich meinen anfang genumen, vnd hab dornoch aws meinem für nemen gesucht
van dag zw dag.22
16 Vgl. A. WARBURG, Dürer und die italienische Antike (Vortrag 1905), in: Gesammelte
Schriften, 2Bde., Leipzig/Berlin 1932, Bd.2, S.443-449; J. MEDER, Neue Beiträge zur
Dürerforschung, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses
30.1911/1912, S.183-227, bes. S.208-221.
17 Vgl. J. MEDER, Beiträge zur Dürerforschung, S.211; E. SIMON, Dürer und Mantegna 1494,
in: Anzeiger des germanischen Nationalmuseums 1972, S.21-40.
18 Vgl. E. PANOFSKY, Dürers Darstellungen des Apollo und ihr Verhältnis zu Barbari, in:
Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 41.1920, S.359-377; A. WOLF, Jacopo de'
Barbari's Apollo and Dürer's Early Male Proportional Figures, in: Art Bulletin 25.1943,
S.363-365; W. L. STRAUSS, The Intaglio Prints of Albrecht Dürer. Engravings, Etchings and
Drypoints, 3.Aufl., New York 1981, S.116-117.
19 H. EGGER, Codex Escurialensis. Ein Skizzenbuch aus der Werkstatt Domenico Ghirlandaios
(Sonderschriften des österreichischen archäologischen Institutes in Wien 4), Wien 1906, fol.37r,
und S.106-107; vgl. A. M. FRIEND, Dürer and the Hercules Borghese-Piccolomini, in: Art
Bulletin 25.1943, S.40-49.
20 Vgl. F. WICKHOFF, Dürers Studium nach der Antike, Innsbruck 1880 (Separatum der
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1.1880, H.3).
21 Vgl. J. A. LEVENSON, Jacopo de' Barbari and Northern Art of the Early Sixteenth Century,
Diss. Phil., New York 1978.
22 RUPPRICH, Schriftlicher Nachlaß, Bd.l, S.102.