X. GUILLAUME PHILANDRIER
Obwohl die Bedeutung der zuerst 1544 erschienenen In decem libros M.
Vitruuij Pollionis de architectura annotationes Guillaume Philandriers (1505 -
1565) in der historiographischen, biographischen und architekturge-
schichtlichen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts immer wieder betont
worden ist, steht eine monographische und alle Aspekte dieses Vitruvkommen-
tars umfassende Arbeit bislang aus. Das gilt vor allem für die oft erwähnte aber
bisher nicht dokumentarisch nachgewiesene architektonische Tätigkeit Philan-
driers und ihre Verbindung zu seinen philologischen Studien, deren Ausdruck
seine kommentierte Neuausgabe Vitruvs war; beide Aspekte, sowohl der des ar-
chitektonischen Engagements als auch der des philologisch-antiquarischen
Interesses, werden im folgenden Kapitel hinsichtlich ihrer Relevanz fiir Philan-
driers Verständnis der Vitruvischen Proportionsfigur erörtert werden. Eine
Zusammenstellung relevanten Materials zum Vitruvkommentar Philandriers
findet sich in einem Anhang (vgl. Appendix 5).
1. Eine klerikale Karriere
Guillaume Philandrier - geboren 1505 in Chätillon-sur-Seine, gestorben 1565 in
Toulouse oder auf dem Weg dorthin - war der Sohn einer angesehenen Familie
und genoß als Schüler des Humanisten Jean Perrelle eine profunde Ausbildung
in den artes liberales. Er trat 1533 als Sekretär in den Dienst des Bischofs von
Rodez, George d'Armagnacs (ca. 1501 - 1585), dessen Domkapitel er bereits ab
1531 als Domherr (canonicus, chanoine) angehörte. D'Armagnac wurde 1536
Gesandter Franz I. in Venedig und bekleidete dasselbe Amt von 1539 bis 1544
in Rom. Als persönlicher Sekretär begleitete Philandrier ihn in beide Städte und
kehrte mit ihm 1544 nach Frankreich zurück. Georges d'Armagnac, der seinen
Sekretär in dessen Grabinschrift als anagnostes, Lektor, bezeichnen läßt, taucht
in den frühesten biographischen Quellen als Mäzen (moecenas) seines
Domherrn auf, und Philandrier selbst nennt ihn sowohl in seinem Quintilian-
kommentar von 15352 als auch in der Widmung zu der 1552 zuerst vollständig
und autorisiert erschienenen Vitruvausgabe maecenas und patronus.3 Das
Mäzenatentum erweitert das durch die klerikale Hierarchie geprägte Verhältnis
der beiden Männer insofern um eine außerhalb der Theologie bestehende
Dimension, als es den Bischof und seinen Sekretär im gemeinsamen Interesse
an der Antike vereint. Dieses Interesse hatte als kleinsten gemeinsamen Nenner
die in der Liturgie und in der kirchlichen Administration von allen Klerikern
gebrauchte lateinische Sprache. Deren über das zweckmäßige Maß hinaus-
1 Vgl. PHILIBERT DE LA MARE, De vita, moribus et scriptis Guillelmi Philandri Castilionii
[...] epistola, o.O. 1667, S.21-22.
2 GUILLAUME Philandrier, Castigationes atque annotationes pauculae in XII libros
institutionum M. Fabii Quintiliani, Lyon 1535.
3 GUILLAUME Philandrier, Annotationes in Vitruvium Pollionem quas ad Franciscum regem P.
P. ac bonarum litterarum assertorem, Lyon 1552.
Obwohl die Bedeutung der zuerst 1544 erschienenen In decem libros M.
Vitruuij Pollionis de architectura annotationes Guillaume Philandriers (1505 -
1565) in der historiographischen, biographischen und architekturge-
schichtlichen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts immer wieder betont
worden ist, steht eine monographische und alle Aspekte dieses Vitruvkommen-
tars umfassende Arbeit bislang aus. Das gilt vor allem für die oft erwähnte aber
bisher nicht dokumentarisch nachgewiesene architektonische Tätigkeit Philan-
driers und ihre Verbindung zu seinen philologischen Studien, deren Ausdruck
seine kommentierte Neuausgabe Vitruvs war; beide Aspekte, sowohl der des ar-
chitektonischen Engagements als auch der des philologisch-antiquarischen
Interesses, werden im folgenden Kapitel hinsichtlich ihrer Relevanz fiir Philan-
driers Verständnis der Vitruvischen Proportionsfigur erörtert werden. Eine
Zusammenstellung relevanten Materials zum Vitruvkommentar Philandriers
findet sich in einem Anhang (vgl. Appendix 5).
1. Eine klerikale Karriere
Guillaume Philandrier - geboren 1505 in Chätillon-sur-Seine, gestorben 1565 in
Toulouse oder auf dem Weg dorthin - war der Sohn einer angesehenen Familie
und genoß als Schüler des Humanisten Jean Perrelle eine profunde Ausbildung
in den artes liberales. Er trat 1533 als Sekretär in den Dienst des Bischofs von
Rodez, George d'Armagnacs (ca. 1501 - 1585), dessen Domkapitel er bereits ab
1531 als Domherr (canonicus, chanoine) angehörte. D'Armagnac wurde 1536
Gesandter Franz I. in Venedig und bekleidete dasselbe Amt von 1539 bis 1544
in Rom. Als persönlicher Sekretär begleitete Philandrier ihn in beide Städte und
kehrte mit ihm 1544 nach Frankreich zurück. Georges d'Armagnac, der seinen
Sekretär in dessen Grabinschrift als anagnostes, Lektor, bezeichnen läßt, taucht
in den frühesten biographischen Quellen als Mäzen (moecenas) seines
Domherrn auf, und Philandrier selbst nennt ihn sowohl in seinem Quintilian-
kommentar von 15352 als auch in der Widmung zu der 1552 zuerst vollständig
und autorisiert erschienenen Vitruvausgabe maecenas und patronus.3 Das
Mäzenatentum erweitert das durch die klerikale Hierarchie geprägte Verhältnis
der beiden Männer insofern um eine außerhalb der Theologie bestehende
Dimension, als es den Bischof und seinen Sekretär im gemeinsamen Interesse
an der Antike vereint. Dieses Interesse hatte als kleinsten gemeinsamen Nenner
die in der Liturgie und in der kirchlichen Administration von allen Klerikern
gebrauchte lateinische Sprache. Deren über das zweckmäßige Maß hinaus-
1 Vgl. PHILIBERT DE LA MARE, De vita, moribus et scriptis Guillelmi Philandri Castilionii
[...] epistola, o.O. 1667, S.21-22.
2 GUILLAUME Philandrier, Castigationes atque annotationes pauculae in XII libros
institutionum M. Fabii Quintiliani, Lyon 1535.
3 GUILLAUME Philandrier, Annotationes in Vitruvium Pollionem quas ad Franciscum regem P.
P. ac bonarum litterarum assertorem, Lyon 1552.