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DANIELE BARBARO

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Wahre, das auf dem wahren und bestimmten Urteil basiert, werde wiederum
dreigeteilt, nämlich in die auf beweisbaren Schlüssen beruhende Wissenschaft
(scienza), den auf Prinzipien beruhenden Intellekt (intelletto) und die Weisheit
(sapienza). Allerdings gehörten die Grundlagen der Kunst nicht in die logischen
Kategorien des notwendig Wahren, sondern, zusammen mit der Klugheit
(prudenza), in diejenigen des hinzutretend Wahren. Hierbei regele die Klugheit
die menschlichen Tätigkeiten hinsichtlich der gesellschaftlichen Eintracht,
während Kunst (arte) das regulierende Prinzip von Nützlichkeit und Klugheit
sei.14
Barbaro entwickelt seine Kunsttheorie vor allem aus aristotelischen
Anschauungen. Während sein Erfahrungsbegriff größtenteils dem Organon und
der Metaphysik des Aristoteles verpflichtet ist15, greift Barbaro für die
Systematik seiner kunsttheoretischen Argumentation auf die Nikomachische
Ethik des griechischen Philosophen zurück. Dort wird zwischen dem theore-
tischen und praktischen Intellekt des rationalen Seelenteiles unterschieden,
wobei der praktische Intellekt sich im Gegensatz zum theoretischen mit dem
sogenannten Kontingenten auseinandersetzt, dem die Kunst angehört.16 Die auf
dem Kontingenten, d.h. auf dem Prinzip des Hinzutretenden und Variablen
beruhenden Tätigkeiten umfassen sowohl das der Klugheit verpflichtete
Handeln als auch das als Bestandteil der Kunst zusammengefaßte
Hervorbringen. Hierbei gehöre Kunst zu den hervorbringenden Tätigkeiten,
deren Prinzip im Hervorbringenden und nicht im Hervorgebrachten liege.
Barbaro folgt dieser Kategorisierung, indem er das hervorbringende Prinzip im
Denken (pensiero) und im Verstand (mente) des Hervorbringenden lokalisiert.
Er akzeptiert damit die aristotelische Anschauung, daß Kunst (Te%vT|, ars, arte)
eine mit wahrer Vernunft verbundene Anlage des Hervorbringenden sei, ein,
wie Ermolao Barbaro in seinem Compendium ethicorum schreibt, habitus
fingendi cum ratione." Gleichzeitig argumentiert Aristoteles, daß die Klugheit
mit dem Zweck (fine, TeXog) ihres Handelns identisch ist, während jener im Fall
der Kunst außerhalb ihrer liegt; denn der Zweck ist Bestandteil des Handelns,
nicht aber des Hervorbringens.18 Barbaros Aristotelesrezeption dürfte hierbei
zum Teil auf den griechischen Originaltexten beruhen, doch gibt sowohl die
Entwicklung seiner Argumentation als auch das verwendete Vokabular Anlaß
zu der Annahme, daß er neben dem Compendium ethicorum seines Onkels die
sogenannte translatio antiqua Robert Grossetestes sowie Thomas von Aquinas
Kommentar zur Nicomachischen Ethik benutzte. So entwickelt Barbaro seine
Kategorien aus der gleichen Kombination von aristotelischen Schriften wie
Thomas, nämlich aus der Nicomachischen Ethik selbst, aus der Metaphysik
sowie aus dem Organon. Ein wichtigeres Indiz für Barbaros Rückgriff auf den
mittelalterlichen Autor ist schließlich die Begriffspaarung von vero und

14 Ebd. und BARBARO, I dieci libri, 1567, S.3.

15 ARISTOTELES, Metaphysica 1.1. (981a); ders., Analytica posteriora 2.19 (100a).

16 ARISTOTELES, Ethica Nicomachea 6.2. (1139a 6-12).

17 Vgl. ERMOLAO BARBARO, Compendium ethicorum librorum, Paris 1546, S.28.

18 BARBARO, I dieci libri, 1567, S.9; ARISTOTELES, Ethica Nicomachea 6.5. (1140b); zu Ari-
stoteles' Kategorien vgl. T. ANDO, Aristotle's Theory of Practical Cognition, 3.Aufl., Den Haag
1971 und H. FLASHAR, Aristoteles (Die Philosophie der Antike, Bd.3, hrsg. v. H. Flashar),
Basel/Stuttgart 1983, S.236-247, bes. S.244-247.
 
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