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KAPITEL XIII

Beinstellungen der in den Text eingefügten Illustrationen denjenigen der vene-
zianischen Zeichnung entsprechen.44
5. Agrippa und Leonardo
Aufgrund des Vergleichs der bisher genannten Texte kann kein Zweifel daran
bestehen, daß Agrippa Zugang zu den Proportionsstudien Leonardo da Vincis
hatte. Dabei lag ihm kaum die heute in der Akademie zu Venedig befindliche
Vitruvstudie Leonardos selbst vor, sondern eine Zeichnung, die jener Studie
sehr nahe stand. Denn neben den offensichtlichen Übereinstimmungen
zwischen Leonardos und Agrippas Ausführungen existieren einige kleine, aber
nichtsdestoweniger signifikante Unterschiede (s.o.). Das von Agrippa benutzte
Material dürfte also in heute größtenteils verlorenen Proportionsstudien
Leonardos bestanden haben. Möglich wäre natürlich auch, daß heute ebenfalls
verlorene Kopien nach den Originalen Leonardos existierten.
Es sind noch zwei weitere Quellen aus dem 16. Jahrhundert bekannt, deren
Angaben zu den Proportionen des menschlichen Körpers auf Leonardos
Vitruvstudie zurückgehen, nämlich A. M. Venustis Bemerkungen über die
menschlichen Proportionen in seinem 1562 erschienenen Discorso generale45
und ein Passus in Guglielmo della Portas Düsseldorfer Skizzenbuch.46 Letzterer
hat die infragekommenden Proportionsstudien aus Agrippas Occulta philoso-
phia abgeschrieben; Venusti hingegen muß zumindest mittelbar Zugang zu
Materialien Leonardos gehabt haben, denn er zitiert in Bezug auf seinen
Gewährsmann Gerolamo Figino Abschnitte, die einesteils wörtlich mit dem
Text der Zeichnung Leonardos übereinstimmen47, andernteils aber Angaben
enthalten, die, wie im Falle Agrippas, von ihr geringfügige Abweichungen
aufweisen:
Der Durchmesser der Weichen, die Distanz von der Brust (poppa) bis zu den
Weichen, vom Handgelenk bis zum Ellenbogengelenk, von den Brustwarzen bis
zum Nabel, von einem zum anderen Ende jenes obersten Knochens, der die Kehle
umgibt, von der Höhe der Brust bis zum Haaransatz und von der Hüfte bis zum
Ansatz des männlichen Gliedes ist der siebte Teil der Länge des Menschen.48
Sowohl im Text Agrippas als auch in demjenigen Venustis taucht die nicht mit
der Zeichnung in Venedig zu vereinbarende Angabe auf, daß die Entfernung
zwischen den beiden extremen Knochenenden unterhalb der Kehle ein Siebtel
der gesamten Körperhöhe betrage. Aus diesem Umstand sowie aus den bereits
genannten Übereinstimmungen zwischen Leonardo, Agrippa und Venusti lassen

44 Vgl. jeweils den linken Fuß der Figuren Agrippas, ebd., fols.159, 161 und 163, mit der
Zeichnung Leonardos; vgl. auch NOWOTNY, Agrippa, S.435.

45 ANTONIO MARIA VENUSTI, Discorso generale, Venedig 1562, Kap. 98, S.107-108; vgl.
PEDRETTI, Commentary, Bd.l, S.246-247 (zit. Kap. V).

46 Vgl. W. GRAMBERG, Die Düsseldorfer Skizzenbücher des Guglielmo della Porta, Berlin
1964, S.134-135.

47 Venustis Text, zit. bei PEDRETTI, Commentary, Bd.l, S.246, Zeile 13-28, entspricht meistens
wörtlich den Angaben Leonardos; vgl. RICHTER, Literary Works of Leonardo, Bd.l, S.255, Par.
343, Zeile 8-13.

48 II diametro della cintura, la distantia dalla poppa al fianco, dalla piegatura della mano alla
piegatura di dentro al braccio, dalle punte delle mammelle all ombilico, dall'una e l'altra
estremitä delle ultime ossa del petto che cingono la gola, dalla cima del petto al nascimento de'
capelli, dal fianco al nascimento del membro uirile, b la settima parte della lunghezza dell'uomo.
VENUSTI, Discorso, S.107-108, zit. nach PEDRETTI, Commentary, Bd.l, S.247.
 
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