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Zöllner, Frank; Botticelli, Sandro [Ill.]
Sandro Botticelli — München, Berlin [u.a.]: Prestel, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.73564#0033
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PIERO DEL POLLAIUOLO, Caritas (Barmherzigkeit),
um 1469/70, Tempera auf Holz, 167x88 cm,
Florenz, Galleria degli Uffizi
Seite 31
Fortitudo (Stärke), 1470/71 (Kat. 13]

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Anbetung der Heiligen Drei Könige
Ausschnitt, um 1470-1472 (?) (Kat. 17)

I mJahr 1470 wurde Sandro Botticelli erstmals als eigenständiger Meister genannt
(vgl. S. 12), und im selben Jahr erhielt er aucli den Auftrag für zwei Tafelbilder mit
Tugenddarstellungen für den Sitzungssaal des Florentiner Handelsgerichts. Die
sieben Gemälde sollten zunächst von dem Florentiner Maler Piero del Pollaiuolo
geschaffen werden. Ein von Piero gefertigter Entwurfskarton wurde probeweise im
Sitzungssaal aufgehängt, um die Wirkung der Darstellung vor Ort zu überprüfen.
Nach Billigung des Entwurfs erging im August 1469 der Auftrag an Piero, zunächst
die Tugend der Barmherzigkeit (caritas) zu malen (Abb. links). Nach deren Voll-
endung im Dezember 1469 folgte eine Beratung über das weitere Vorgehen. Dabei
kamen andere Künstler für die Fertigung der übrigen Gemälde ins Gespräch, doch
erhielt schließlich allein Piero die Aufgabe, vom 1. Januar 1470 an zwei Tugenden pro
Quartal für jeweils 20 fiorini larghi zu schaffen. Da der Künstler die Frist-für die
Fertigstellung der beiden Tafeln nicht einhielt, wurde der Wettbewerb für den Auf-
trag wieder eröffnet. Durch Vermittlung von Piero Soderini konnte Botticelli die
Verpflichtung zur Ausführung von zwei Tugenden übernehmen, von denen er aller-
dings nur eine, das Gemälde mit der Fortitudo (Abb. rechts) lieferte, so daß Piero del
Pollaiuolo schließlich sechs Tafeln anfertigte.
Die Tugenddarstellungen bildeten den oberen Teil einer hölzernen Wandver-
kleidung des Sitzungssaals im Florentiner Handelsgericht. Sie zählen zum Typus der
sogenannten Spalliera-Bilder, die etwas über Schulter- oder Kopfhöhe an der Wand
angebracht wurden (siehe Kap. VI-VII). Für die vor ihnen präsidierenden sechs
Handelsrichter stellten sie gleichsam eine ständige Ermahnung zur gerechten Ent-
scheidungsfindung dar, gleichzeitig aber sollten sie ihnen im wahrsten Sinne des
Wortes den Rücken stärken. Zudem richteten sich die Bilder auch an jene Personen,
die vor dem Gericht zur Beilegung ihrer Streitigkeiten erschienen waren.
Das Handelsgericht fungierte vor allem in Fragen des Handels als Schlich-
tungs- und Schiedsinstitution, deren sechs Mitglieder (Sei della Mercanzia) von den
wichtigsten fünf Zünften (arti) von Florenz gewählt wurden. Als Sitzungsort des
Handelsgerichts diente ein Saal im Palazzo della Mercanzia unweit des heutigen
Palazzo Vecchio, der damals noch Palazzo della Signoria genannt wurde. Die inzwi-
schen in die Uffizien gelangten Tafeln zeigen die drei christlichen Tugenden Glaube
(fides, fede), Barmherzigkeit (caritas, caritä) und Hoffnung (spes, speranza) sowie die
vier Kardinal- oder weltlichen Tugenden Mäßigung (temperantia, temperanza),
Klugheit (prudentia, prudenza), Stärke (fortitudo, fortezza) und Gerechtigkeit (justi-
tia, guistizia). Pollaiuolos Personifikationen der christlichen Tugenden orientierten
sich formal an Mariendarstellungen, während die Kardinaltugenden eher mit profa-
nen Attributen gekennzeichnet wurden. So erinnert Pollaiuolos Barmherzigkeit an
den Typus der Madonna Lactans, während Botticellis Personifikation der Stärke (oft
auch als Tapferkeit bezeichnet) als Attribut statt der später oft üblichen Säule einen
Kommandostab bzw. einen Streitkolben erhielt.

30 [Erste Erfolge in Florenz]
 
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