und der mystischen Gottesschau andererseits. Augustinus konnte somit zu einer
idealen Identifikationsfigur im Sinne des Grundkonflikts des Renaissance-Huma-
nismus avancieren. Diesem Konflikt trägt auch Botticellis Darstellung Rechnung:
Mit skeptischem Grübeln zieht Augustinus Augenbrauen und Stirn zusammen,
während sein Gesicht im gleichen Moment die Lichtstrahlen der Vision empfängt.
Diesem Licht als Symbol der mystischen Gottesschau stehen als Zeichen intellek-
tuellen Strebens die Armillarsphäre und die Bücher der Studierstube gegenüber.
In Botticellis Fresko sind die Strahlen der Vision des Augustinus inzwischen
fast ebenso verblaßt wie sein Heiligenschein, unschwer hingegen sind die Armillar-
sphäre, die Bücher und die Uhr zu erkennen. Kurioserweise haben die Symbole für
die Intellektualität des Augustinus den Lauf der Zeit weit besser überstanden als die
Zeichen seiner mystischen Vision. Dasselbe gilt auch für die bereits zitierten Knittel-
verse auf dem Folianten. Sie mögen den Betrachter daran erinnern, daß Intelligenz in
der Malerei sich nicht nur in der visuellen Umsetzung komplizierter Inhalte zeigen
kann, sondern auch in einem humoristischen Ausrufezeichen. Vergleicht man dieses
Detail mit dem Fresko Ghirlandaios, dann zeigen sich vielleicht am deutlichsten die
besonderen Qualitäten Botticellis. Im Gemälde Ghirlandaios findet sich auf einer
schmalen Schriftrolle schräg über dem Kopf des hl. Hieronymus eine hebräische
Inschrift. Rechts darunter ist ein Zettel mit griechischen Buchstaben zu sehen. Die
gut lesbaren Buchstabenfolgen ergeben aber keinen sinnvollen Text. Sie sollen ledig-
lich jene Sprachkenntnisse bezeugen, über die Hieronymus als Bibelübersetzer ver-
fügen mußte. Während also Botticelli eine volkssprachliche Inschrift ins Bild setzte,
die man zwar schwer lesen, aber immerhin verstehen konnte, entschied sich Ghirlan-
daio für zwar lesbare, aber sinnlose Buchstabenfolgen, um Gelehrsamkeit zu sugge-
rieren. Charmanter hätte Botticelli den Anspruch des Malers, daß Bilder verstanden
werden wollen, kaum zum Ausdruck bringen können.
[Erste Erfolge in Florenz] 45
idealen Identifikationsfigur im Sinne des Grundkonflikts des Renaissance-Huma-
nismus avancieren. Diesem Konflikt trägt auch Botticellis Darstellung Rechnung:
Mit skeptischem Grübeln zieht Augustinus Augenbrauen und Stirn zusammen,
während sein Gesicht im gleichen Moment die Lichtstrahlen der Vision empfängt.
Diesem Licht als Symbol der mystischen Gottesschau stehen als Zeichen intellek-
tuellen Strebens die Armillarsphäre und die Bücher der Studierstube gegenüber.
In Botticellis Fresko sind die Strahlen der Vision des Augustinus inzwischen
fast ebenso verblaßt wie sein Heiligenschein, unschwer hingegen sind die Armillar-
sphäre, die Bücher und die Uhr zu erkennen. Kurioserweise haben die Symbole für
die Intellektualität des Augustinus den Lauf der Zeit weit besser überstanden als die
Zeichen seiner mystischen Vision. Dasselbe gilt auch für die bereits zitierten Knittel-
verse auf dem Folianten. Sie mögen den Betrachter daran erinnern, daß Intelligenz in
der Malerei sich nicht nur in der visuellen Umsetzung komplizierter Inhalte zeigen
kann, sondern auch in einem humoristischen Ausrufezeichen. Vergleicht man dieses
Detail mit dem Fresko Ghirlandaios, dann zeigen sich vielleicht am deutlichsten die
besonderen Qualitäten Botticellis. Im Gemälde Ghirlandaios findet sich auf einer
schmalen Schriftrolle schräg über dem Kopf des hl. Hieronymus eine hebräische
Inschrift. Rechts darunter ist ein Zettel mit griechischen Buchstaben zu sehen. Die
gut lesbaren Buchstabenfolgen ergeben aber keinen sinnvollen Text. Sie sollen ledig-
lich jene Sprachkenntnisse bezeugen, über die Hieronymus als Bibelübersetzer ver-
fügen mußte. Während also Botticelli eine volkssprachliche Inschrift ins Bild setzte,
die man zwar schwer lesen, aber immerhin verstehen konnte, entschied sich Ghirlan-
daio für zwar lesbare, aber sinnlose Buchstabenfolgen, um Gelehrsamkeit zu sugge-
rieren. Charmanter hätte Botticelli den Anspruch des Malers, daß Bilder verstanden
werden wollen, kaum zum Ausdruck bringen können.
[Erste Erfolge in Florenz] 45