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Zöllner, Frank; Botticelli, Sandro [Ill.]
Sandro Botticelli — München, Berlin [u.a.]: Prestel, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.73564#0180
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Mystische Geburt, Ausschnitt mit zwei Teufeln,
Engel und jungem Mann, 1501 [Kat. 85)


ten. In den drei Gemälden geht es außerdem um das Thema der Zeit: Die beiden re-
ligiösen Bilder propagieren die Wende- und Endzeit sowie die danach mögliche Er-
lösung. In der Verleumdung des Apelles entfaltete Botticelli ein weiter gefaßtes Zeit-
panorama, denn im Hintergrund des Gemäldes sind drei deutlich voneinander
unterschiedene Epochen vertreten: die Antike mit Szenen aus der Mythologie, die
biblische Zeit mit Darstellungen aus der Heiligen Schrift sowie die nachbiblische
Zeit mit Illustrationen zu Texten Dantes und Boccaccios. Hierbei erscheinen die drei
genannten Epochen in Gestalt gemalter poetischer Fiktionen. Im Hintergrund der
Verleumdung des Apelles illustrierte Botticelli also nicht den Teil einer heilsgeschicht-
lichen Sequenz wie in seinen religiösen Bildern, sondern eine poetisch inspirierte
Zeitvorstellung. Das Gemälde stand damit in jener Tradition synkretistischer Ver-
schmelzung antiker und christlicher Inhalte, die allgemein als Kennzeichen der
Renaissancekultur gilt. Grundlage dafür war die aus der »Theologischen Poesie«
jener Tage bekannte Vorstellung, daß sich die heilsgeschichtlichen Wahrheiten nicht
nur aus genuin christlichen Texten, sondern ebenso aus profanen Dichtungen
erschließen lassen. Einen ähnlichen Gedanken spiegelt auch die Selbstdarstellung
Botticellis in einem um 1495 oder wenig später entstandenen Blatt seiner Illustratio-
nen zu Dantes »Göttlicher Komödie« wider (Abb. rechts). Gezeigt wird eine Szene
aus dem 28. Gesang des Paradieses, wo Dante und Beatrice inmitten von Engelschö-
ren erstmals Gott erschauen. Einer dieser Engel hält eine kleine Tafel mit der Künst-
lerinschrift Sandro di mariano in die Höhe. Er blickt, im Gegensatz zu anderen
Engeln, nicht hinauf in die Sphäre des Göttlichen, sondern auf die in der Mitte pla-
zierten Figuren von Dante und Beatrice. Poesie und Liebe als Inspiration der Malerei
treten gleichberechtigt neben die Schau des Göttlichen. Vielleicht war es die Ver-
schmelzung des Sakralen und Profanen, die Botticelli, den seinerzeit profiliertesten
Maler weltlicher Sujets, mit den endzeitlichen und
letztlich bilderfeindlichen Polemiken Girolamo
Savonarolas versöhnte und die es ihm ermög-
lichte, als Illustrator radikaler religiöser Ideen
und zugleich als Maler profaner Sujets aufzu-
treten. Allein dies ermöglichte, daß mit dem Zei-
tenende nicht zugleich auch das Ende der Kunst
einherging.
Dem von Savonarola prophezeiten Ende
der Zeit - das dann doch nicht eintrat - folgte
wenige Jahre später der langsame Ausklang von
Botticellis Karriere als Maler. Daß am Ende eines
Künstlerlebens nicht gleich der Tod, sondern erst
einmal der Ruhestand und der Verzehr der wohl
verdienten Rente steht, erscheint heute kaum
mehr vorstellbar. Die moderne Idee des Künstler-
tums ist eher einem seit der Hochrenaissance
gängigen Topos verpflichtet, der in der Person
Michelangelos seinen bekanntesten Protagonisten

180 [Das Spätwerk: Zeitenende?]
 
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