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Zeichnung zum 28. Gesang von DANTES Paradies,
um 1495-1498

gefunden hat. Tatsächlich soll der greise Künstler mit großer Hingabe bis zum letz-
ten Atemzug das auch körperlich anstrengende Metier des Bildhauers ausgeübt, ja
geradezu ausgelebt haben. Doch dieses Bild vom Künstler, der seine Kunst als Be-
rufung und nicht als Beruf mit anschließendem Ruhestand erlebt, ist unvollständig.
So haben nicht wenige Künstler der Renaissance, wenn sie ein höheres Alter über-
haupt erreichten, gegen Ende ihres Lebens die Produktion vollständig oder weit-
gehend eingestellt. Das gilt beispielsweise für Piero della Francesca, für Leonardo da
Vinci und auch für Sandro Botticelli, dessen künstlerisches Schaffen um 1500, also
zehn Jahre vor seinem Tod, merklich nachließ. Für die Zeit zwischen 1505 und 1510
sind sogar überhaupt keine eigenhändigen Werke mehr nachweisbar. Allem Anschein
nach ermöglichte ihm sein bis dahin erworbener, bescheidener Wohlstand, es im
Alter ruhiger angehen zu lassen. Diese Haltung war mehr als berechtigt. Als Sandro
Botticelli im Mai 1510 starb und am 17. desselben Monats auf dem kleinen Friedhof
von Ognissanti bestattet wurde, hatte er die Kunstgeschichte der Renaissance in
ihren wesentlichen Gattungen entscheidend verändert oder mitgeprägt: Er war einer
der profiliertesten Maler von Bildnissen und Altarbildern, trug maßgeblich zur
Monumentalisierung des Einzelporträts bei, entwickelte oder verwirklichte die bis
dahin komplexesten Programme für profane Tafelgemälde und behauptete selbstbe-
wußt den Anspruch des Praktikers gegenüber den Anforderungen der Kunsttheorie.
Ebenso behauptete er in seinen endzeitlich gestimmten letzten Werken das Recht des
Bildes gegen die radikale Kritik des religiösen Fanatismus. Mehr kann man von
einem Künstler kaum erwarten.

[Das Spätwerk: Zeitenende?] 181
 
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