Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zoepfl, Heinrich
Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte: ein Lehrbuch in zwei Bänden (2,1): Geschichte der deutschen Rechtsquellen: compendiarisch dargest. — Stuttgart: Krabbe, 1846

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47337#0022
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
10

Erster Zeitraum. I. Volksrechte,

zweifelhaft, ob etwa damals schon einzelne Stämme Statute hatten,
welche von Geschlecht zu Geschlecht mündlich überliefert wurden, wie
diess in späterer Zeit bei mehreren nordischen Völkern germanischen
Stammes zu geschehen pflegte2). Die Gothen sind das einzige Volk,
bei welchem sich noch im sechsten Jahrhunderte eine Sage erhalten
hatte, wonach die Statute, welche sie damals schriftlich aufgezeichnet
besassen, schon vor der Völkerwanderung aufgesetzt worden wären 3).
Die ältesten Rechtsaufzeichnungen deutscher Völker, welche uns erhalten
worden sind, gehören dem Zeiträume vom fünften bis zum neunten
Jahrhunderte m Chr. an. Sie enthalten hauptsächlich volksmässiges,
d. h. bei einzelnen Volksstämmen durch Herkommen erzeugtes Recht,
jedoch fast durchgängig nur bruchstückweise, und mitunter schon theil-
weise modificirt durch neuere legislative Einwirkungen, ja sogar nicht
selten schon mit römischem Rechte versetzt, welches hier schon anfing,
einen zerstörenden Einfluss auf die germanischen - Rechtsinstitute zu
äussern. Es gehören daher diese Rechtsaufzeichnungen der Uebergangs-
periode der antiken (romanischen) Welt in die moderne (germanische)
Welt an, und geben sonach vielfach kein reines Bild von der ur-
sprünglichen germanischen Rechtsverfassung 4). Die wenigen spar-
samen Nachrichten, welche uns von dieser erhalten sind, können
daher nur aus den Werken auswärtiger (römischer und griechischer)
Schriftsteller zusammengelesen werden, worunter die Andeutungen,
welche die Schrift des Tacitus, de situ, moribus et populis Germa-
niae, enthält, den ersten Rang einnehmen.
Die ersten Aufzeichnungen des Rechtes bei den deutschen Volks-
stämmen werden im Allgemeinen „Leg es p o p ul o rum s. Barba-
rorum“ genannt. Diese Bezeichnungen erklären sich daraus, dass
man im Mittelalter, abweichend von dem römischen Sprachgebrauche,
unter „Lex“ überhaupt jede schriftliche Rechtsaufzeichnung verstand,
2) So z. B. in Norwegen und auf Island. — Vielleicht darf man auch die Car-
mina antiqua hieherziehen, welche nach Tac. Germ. c. 2 „unum memoriae et anna-
lium genus“ der alten Deutschen waren. Wo und so lange das Statut traditionell
fortgepflanzt wird, und mitunter selbst noch in alten Aufzeichnungen, ist es in eine
Art von Versen eingekleidet. (Vergl. die Legg. Howel, unten §. 15, und die
Septem Septenae der Lex Salica, unten §.4.) — Es ist wohl nicht ohne Beziehung,
dass noch heutzutage im Volkesmunde die Strophen (Absätze) eines Liedes Gesetze
genannt werden. — Vergl. Gervinus, hist. Schriften, Bd. 7. S. 494. —
3) Jom and es de reb. Get. c. 11: „(Diceneus eos) . .. naturaliter propriis
legibus vivere fecit, quas usque nunc conscriptas Bellagines nuncupant.“ S. not. 8.—
4) Sehr gut hat diess bemerkt Wil da, Strafrecht der Germanen, Halle, 1842,
p. 62, 77, 81. —
 
Annotationen