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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 2.1885

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Weltrich, Richard: Herzog Karl von Württemberg und seine pädagogischen Schöpfungen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.52690#0143
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Herzog Karl von Württemberg und ſeine pädagogiſchen Schöpfungen. 131

zieht, dem Herzog Karl als etwas ungemein Ueberflüſſiges und
Unnützliches erſcheinen; und ſo genoß weder in der herzoglichen
Pädagogik poetiſche Lektüre eine Fürſorge, noch vermochte die
poetiſche Produktion, welche in der Umgebung des Landesfürſten
lebendig wurde, ſeiner Wertſchätzung ſich zu erfreuen.

Indem ich bezüglich der übrigen Lehrgegenſtände auf das
Detail der didaktiſchen Anordnungen verzichte, will ich nur noch
in wenigen Sätzen zuſammenfaſſen, was im ganzen und großen
zu Gunſten der Karlsſchule geſagt werden kann. Daß eine An—
ſtalt, welche den Unterricht für alle Altersſtufen und nahezu ſämt—
liche Lehrfächer umfaſſen will, eine gewiſſe Großartigkeit beſaß,
kann nicht in Abrede geſtellt werden. Auch mußte der nahe
Kontakt, in welchen ſo viele Sparten wiſſenſchaftlicher Arbeit ge—
rückt wurden, die Vereinigung einer ſo großen Anzahl von Zög—
lingen, die nach Alter, Herkunft, Nationalität und Berufsbildung
verſchiedenartig waren, auf den Geiſt der Jugend vielfach befruchtend,
anregend wirken. Letzterer Umſtand, wie der Accent, der auf
philoſophiſche Vorbildung gelegt wurde, gewährte die Möglichkeit
einer univerſellen Bildung. Auch iſt nicht zu verkennen, daß die
Organiſation eines ſo komplizierten wiſſenſchaftlichen Ganzen mit
Aufwand von Scharfblick, Fleiß und Betriebſamkeit vollzogen
wurde, und daß ein Inſtitut, welches in intellektueller Beziehung
den vorgeſchrittenen Geiſt der Zeit in ſich aufzunehmen im ganzen
ſo willig war, ebendeshalb mit manchem, was andere gelehrte
Schulen als veraltete Tradition, als pedantiſchen Formalismus
mit ſich ſchleppten, brechen mußte. Die Mittel, deren die Schule
in immer wachſendem Umfang bedurfte, wandte der Herzog ſeiner
Lieblingsſchöpfung mit Liberalität zu. Er wählte gerne jüngere
Kräfte zu Lehrern, wenn ſie ihm wohlvorbereitet und geſchickt er—
ſchienen. In der Einteilung des Studienplanes erkennt man die
Rückſichtnahme auf einen verſtändigen Wechſel zwiſchen Vorträgen
und Arbeitsſtunden, in welchen die Zöglinge den empfangenen
Lehrſtoff ſich aneignen konnten; und wie die ausgeſprochene Forde—
rung des Herzogs: „Kräfte wecken in dem jungen Menſchen!“
der Lehrmethode die Richtung auf friſche Lebendigkeit gab, ſo ſorgte
auch ſein drängender Wille für Ausnützung der Zeit, ſo daß man
den Eindruck empfängt, den Zöglingen der Karlsſchule ſei eher
ein Zuviel von Leiſtung zugemutet worden als ein Zuwenig.

Und doch, wenn man alle Akten dieſer Schule durchblättert
hat, wenn man ſich alles geſagt hat, was zu ihrem Vorteil ſpricht,
was ihr Glanz und Bedeutung zuſichert: eine rechte Freude ver—
mag man dieſer anſpruchsvollen Schöpfung nicht abzugewinnen.
Ja, wenn Freude und Bewunderung ſich regen möchte, wird dieſe
Empfindung verzerrt durch Eindrücke entgegengeſetzter Art. Man
fühlt ſich wie in einem Hauſe, in welchem da und dort ein be—
 
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