54 Die veſtaliſchen Jungfrauen und ihr neuentdecktes Haus zu Rom.
er die Publikation! vor, die ſeine letzte ſein ſollte; mit welcher
Befriedigung, ich möchte ſagen, mit welchem Triumph führte er
mich, als ich im letzten Frühjahr mit ihm in Rom zuſammentraf,
zu der ſtattlichen Ruine. Denn was die neueſten Ausgrabungen
betrifft, war zwiſchen uns im Ernſt und Scherz ſo mancher Streit
durchgefochten. Er zählte die neuen Thatſachen auf, die der an—
tiken Orts- und Denkmälerkunde zuwuchſen; ich wies auf den Ver—
luſt, den die geſchichtliche Anſchauung im ganzen erlitt, dadurch
daß alle Spuren der letzten anderthalb Jahrtauſende erbarmungs—
los hinweggeräumt wurden, daß das einzig erhabene und ſchöne
Stimmungsbild, zu dem Natur und Geſchichte ſich hier vereinigten,
zerſtört wurde. Bis zum Spätherbſt 1883 waren es in der That
nur überaus dürftige, unſcheinbare und faſt nichtsſagende Reſte,
die zum Vorſchein kamen, weniger als das Skelett der alten Herr—
lichkeit. Von einem ſchon im Jahr 1874 bloßgelegten kreisrunden
Stumpf in Gußmauerwerk wollte man nicht glauben, daß er einem
der berühmteſten Heiligtümer des römiſchen Staates, dem Veſta—
tempel, angehöre. Erſt als die rückſichtsloſe Energie des damaligen
Unterrichtsminiſters G. Baccelli den Schutt, auf dem die unteren
Teile der einſt herrlichen und weltberühmten farneſiſchen Gärten
am Palatin lagen, wegräumen ließ, traf man auf höhere Mauer—
maſſen und bald auf ein ganzes überraſchend wohlerhaltenes Ge—
bäude: kein Zweifel, man hatte das Atrium Vestae entdeckt!
Der Fundbeſtand gibt über die letzten Schickſale des Gebäudes
genügende Auskunft. Es hat verhältnismäßig lange der Zerſtörung
widerſtanden. Noch im 10. Jahrhundert hat ein Beamter der
Kurie in einem Teil des Säulenumgangs ſeine Wohnung gehabt,
wo man einen vergeſſenen Koffer mit der Kollekte des Peters—
pfennigs vorfand. Schon damals war der alte Fußboden gegen
Am hoch unter Kalk- und Kohlenſchichten begraben. Erſt über
dieſer Linie beginnen die Ablagerungen von Bautrümmern, die
immer höher ſtiegen, bis das Gebäude vollkommen verdeckt war.
Die Farneſen im 16. Jahrhundert ahnten nicht, worüber ſie ihren
Garten bauten, obſchon im Jahr 1499 mehrere Ehrenbaſen veſta—
liſcher Jungfrauen hier aus dem Schutt hervorgezogen worden
waren.
Heute zeigt ſich das folgende Bild. Nehmen wir, vom Forum
kommend, zwiſchen dem Tempel des Kaſtor und Pollux und dem
Der Tempel der Veſta und das Haus der Veſtalinnen, von H. Jordan,
mit Aufnahmen und Zeichnungen von F. O. Schulze und E. Eichler. Berlin
1880 40
er die Publikation! vor, die ſeine letzte ſein ſollte; mit welcher
Befriedigung, ich möchte ſagen, mit welchem Triumph führte er
mich, als ich im letzten Frühjahr mit ihm in Rom zuſammentraf,
zu der ſtattlichen Ruine. Denn was die neueſten Ausgrabungen
betrifft, war zwiſchen uns im Ernſt und Scherz ſo mancher Streit
durchgefochten. Er zählte die neuen Thatſachen auf, die der an—
tiken Orts- und Denkmälerkunde zuwuchſen; ich wies auf den Ver—
luſt, den die geſchichtliche Anſchauung im ganzen erlitt, dadurch
daß alle Spuren der letzten anderthalb Jahrtauſende erbarmungs—
los hinweggeräumt wurden, daß das einzig erhabene und ſchöne
Stimmungsbild, zu dem Natur und Geſchichte ſich hier vereinigten,
zerſtört wurde. Bis zum Spätherbſt 1883 waren es in der That
nur überaus dürftige, unſcheinbare und faſt nichtsſagende Reſte,
die zum Vorſchein kamen, weniger als das Skelett der alten Herr—
lichkeit. Von einem ſchon im Jahr 1874 bloßgelegten kreisrunden
Stumpf in Gußmauerwerk wollte man nicht glauben, daß er einem
der berühmteſten Heiligtümer des römiſchen Staates, dem Veſta—
tempel, angehöre. Erſt als die rückſichtsloſe Energie des damaligen
Unterrichtsminiſters G. Baccelli den Schutt, auf dem die unteren
Teile der einſt herrlichen und weltberühmten farneſiſchen Gärten
am Palatin lagen, wegräumen ließ, traf man auf höhere Mauer—
maſſen und bald auf ein ganzes überraſchend wohlerhaltenes Ge—
bäude: kein Zweifel, man hatte das Atrium Vestae entdeckt!
Der Fundbeſtand gibt über die letzten Schickſale des Gebäudes
genügende Auskunft. Es hat verhältnismäßig lange der Zerſtörung
widerſtanden. Noch im 10. Jahrhundert hat ein Beamter der
Kurie in einem Teil des Säulenumgangs ſeine Wohnung gehabt,
wo man einen vergeſſenen Koffer mit der Kollekte des Peters—
pfennigs vorfand. Schon damals war der alte Fußboden gegen
Am hoch unter Kalk- und Kohlenſchichten begraben. Erſt über
dieſer Linie beginnen die Ablagerungen von Bautrümmern, die
immer höher ſtiegen, bis das Gebäude vollkommen verdeckt war.
Die Farneſen im 16. Jahrhundert ahnten nicht, worüber ſie ihren
Garten bauten, obſchon im Jahr 1499 mehrere Ehrenbaſen veſta—
liſcher Jungfrauen hier aus dem Schutt hervorgezogen worden
waren.
Heute zeigt ſich das folgende Bild. Nehmen wir, vom Forum
kommend, zwiſchen dem Tempel des Kaſtor und Pollux und dem
Der Tempel der Veſta und das Haus der Veſtalinnen, von H. Jordan,
mit Aufnahmen und Zeichnungen von F. O. Schulze und E. Eichler. Berlin
1880 40