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Über Dürers Leben und Schaffen.
keine näheren Angaben machen wollte, suchte er sich selbst zurecht-
zusinden, denn der Gedanke, daß in der Schöpfung ein bestimmtes
Gesetz gewaltet haben müsse, ließ ihn nicht mehr los, und zwar suchte
er anfangs nach Idealproportionen, wie sie in Humanistenkreisen ver-
mutet wurden; später sah er ein, daß man solche nicht finden könne,
und bemühte sich nun, Normen nach Durchschnittswerten auszustellen.
Mit diesem Interesse an dem menschlichen Körper hängt es zusammen,
daß wir eine Reihe von frühen Stichen besitzen, deren Gegenstand
nackte Körper gestattete oder verlangte. Nach dem Stichel griff er
für diese Darstellungen durchweg, weil nur diese Technik die Durch-
bildung der Modellierung zuließ, die ihm am Herzen lag. In ein-
zelnen Fällen nahm er in seine Kompositionen direkt italienische Vor-
bilder herüber, doch arbeitete er die Modellierung stets in seinem
Sinne durch. In anderen Fällen gab er selbständig erfundene Ge-
stalten, in denen er den Besonderheiten italienischer Auffassung gerecht
zu werden suchte. Das belehrendste Beispiel, wohin diese Studien
führen konnten, ist der Stich Adam und Eva, der oben als ein Meister-
stück stecherischer Technik charakterisiert wurde. Dürer bietet hier das
Endresultat dessen, was er an Schönheit eines klar entwickelten Glieder-
baues und proportionaler Verhältnisse nach seinen bisherigen Studien
geben konnte, und das in einer bis dahin nicht gekannten Vollendung
und Durchbildung, nicht nur der menschlichen Körper, sondern auch
der Tiere und der Bäume des lvaldes. Menn wir die berühmten
Gestalten von Adam und Eva vergleichen, die wir auf dem Genter
Altar erblicken, so sehen wir dort Körper, die in der zufälligen Er-
scheinung und Haltung gemalt wurden, in der die Modelle vor den
Maler hintraten, Dürer dagegen wollte im Sinne der italienischen
Renaissance Gestalten vorsühren, die ein Urbild menschlicher Körper-
bildung darstellen sollten. Das war nun ein Ziel, das sich immer
als ein Phantom erwiesen hat, aber es war ein hoher Gedanke, oder,
wenn man will, ein schöner Traum der Renaissance, die von jenem
Ideal wähnte, daß es schon im Altertum verwirklicht worden sei.
In dieses Licht müssen wir jene Gestalten rücken. Sehr verschiedene
künstlerische Ziele hatte Dürer bei der Arbeit im Auge. Mährend wir
aber das Blatt Dürers um seiner vielen, einzigartigen Vorzüge willen
bewundern, können wir den Vorwurf nicht entkräften, daß es auf
der anderen Seite kalt lasse. Über dem Streben in formaler Hinsicht
Über Dürers Leben und Schaffen.
keine näheren Angaben machen wollte, suchte er sich selbst zurecht-
zusinden, denn der Gedanke, daß in der Schöpfung ein bestimmtes
Gesetz gewaltet haben müsse, ließ ihn nicht mehr los, und zwar suchte
er anfangs nach Idealproportionen, wie sie in Humanistenkreisen ver-
mutet wurden; später sah er ein, daß man solche nicht finden könne,
und bemühte sich nun, Normen nach Durchschnittswerten auszustellen.
Mit diesem Interesse an dem menschlichen Körper hängt es zusammen,
daß wir eine Reihe von frühen Stichen besitzen, deren Gegenstand
nackte Körper gestattete oder verlangte. Nach dem Stichel griff er
für diese Darstellungen durchweg, weil nur diese Technik die Durch-
bildung der Modellierung zuließ, die ihm am Herzen lag. In ein-
zelnen Fällen nahm er in seine Kompositionen direkt italienische Vor-
bilder herüber, doch arbeitete er die Modellierung stets in seinem
Sinne durch. In anderen Fällen gab er selbständig erfundene Ge-
stalten, in denen er den Besonderheiten italienischer Auffassung gerecht
zu werden suchte. Das belehrendste Beispiel, wohin diese Studien
führen konnten, ist der Stich Adam und Eva, der oben als ein Meister-
stück stecherischer Technik charakterisiert wurde. Dürer bietet hier das
Endresultat dessen, was er an Schönheit eines klar entwickelten Glieder-
baues und proportionaler Verhältnisse nach seinen bisherigen Studien
geben konnte, und das in einer bis dahin nicht gekannten Vollendung
und Durchbildung, nicht nur der menschlichen Körper, sondern auch
der Tiere und der Bäume des lvaldes. Menn wir die berühmten
Gestalten von Adam und Eva vergleichen, die wir auf dem Genter
Altar erblicken, so sehen wir dort Körper, die in der zufälligen Er-
scheinung und Haltung gemalt wurden, in der die Modelle vor den
Maler hintraten, Dürer dagegen wollte im Sinne der italienischen
Renaissance Gestalten vorsühren, die ein Urbild menschlicher Körper-
bildung darstellen sollten. Das war nun ein Ziel, das sich immer
als ein Phantom erwiesen hat, aber es war ein hoher Gedanke, oder,
wenn man will, ein schöner Traum der Renaissance, die von jenem
Ideal wähnte, daß es schon im Altertum verwirklicht worden sei.
In dieses Licht müssen wir jene Gestalten rücken. Sehr verschiedene
künstlerische Ziele hatte Dürer bei der Arbeit im Auge. Mährend wir
aber das Blatt Dürers um seiner vielen, einzigartigen Vorzüge willen
bewundern, können wir den Vorwurf nicht entkräften, daß es auf
der anderen Seite kalt lasse. Über dem Streben in formaler Hinsicht