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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 12.1894

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Nr. 10
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Gedanken über die Zukunft der christlichen Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15911#0103

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94

des Künstlers zu ihrem Rechte solle kom-
men dürfen, daß man nicht verlangen dürfe,
die Maler und Skulptoren sollen heute
noch das Mittelalter nachahmen und sich
auf ein Stammeln beschränken — denn
„was uns an deutschen Bildern und Sta-
tneu aus dem Mittelalter überkommen ist,
ist im Großen und Ganzen ein Stammeln
dieser Künste" (S. 38), — daß man dem
heutigen Volk nicht kommen dürfe mit
„Formen und Darstellungen, die es nicht
verstehen kann, weil sein, des Volkes gan-
zes Sein ein weitaus andres ist, als vor
300 Jahren", weil „unsere Zeit gewöhnt
ist, in der Kunst die Wahrheit in Bezug
ans den menschlichen Körper zu schauen"
und mit stilisirten Körpern nichts mehr
anzufangen weiß.

Hier scheint uns sehr viel Wahres
mit ziemlich viel Unrichtigem und Schiefem
vermengt. Ist es wahr, daß die Kunst-
sprache der mittelalterlichen Malerei
und Skulptur eine schlechthin tote Sprache
ist und hier ein Wiederbelebungsver-
such gar nicht augestellt werden dürfte
und könnte? Das will doch wohl auch
der Verfasser nicht sagen, der S. 27 selbst
davon spricht, daß unsere Maler und
Bildhauer deu aus vielen alten Vorbildern
wieder nachgewiesenen „alten, deutschen,
historischen und monumentalen Stil" stu-
diren, in sich anfnehmen und dem heutigen
Geschmack anpassen sollen. Es machen doch
wahrlich nicht die Winkelsalten, die Kör-
perverzeichnungeu, die steifen Gewänder, das
Wesetl der mittelalterlichen Kunst aus, unb
man kann auch nicht sagen, daß diese Kunst
gar nicht zu reden, blos zu stammeln ver-
möge, gar kein Können, nur ein Nichttön-
nen verrate. Der Verfasser selbst erinnert
daran, daß die Hauptsache bei einem
Kunstwerk immer der künstlerische Ge-
danke sei, und, fügen wir hinzu, bei einem
religiösen Kunstwerk noch dazu der reli-
giöse Gedanke. Ermangelt denn die mit-
telalterliche Kunst großer und gesunder
künstlerischer Gedanken? Kann man nicht
in würdiger Auffassung heiliger Gegenstände,
in religiöser Stimmung, in monumentaler
Haltung viel von ihr lernen, ohne die
technischen Fehler mit in Kauf zu nehmen?
Daß Overbeck unb seine Schule nicht an
die mittelalterliche deutsche Kunst anknüpfte,
sondern in Italien die „blaue Blume"

suchte, ist S. 39 gut erklärt; folgt aber
daraus, daß die deutsche Kunst überhaupt
und für immer vom Mittelalter absehen
müsse? beweisen denn einige verfehlte
Rackahmungen, daß jede Nachahmung
verfehlt ist?

Keine tote Sprache in Malerei und
Skulptur, sondern eine lebende; keine
Unterbindung der Individualität des Künst-
lers; keine Formensprache, die dem Volk
unverständlich ist und mit der Natur im
Streit liegt, das alles find berechtigte
Forderungen. Soll aber eine wahrhaft
religiöse Kunst zu Stande kommen, eine
Kunst, welche monumental wirkt und mit
der Hoheit und Heiligkeit ihrer Objekte
und Zwecke nicht in Spannung gerät,
so mtlß man nun doch dem Indivi-
dualismus und Naturalismus wieder
Schranken ziehen und man Kann nicht
das moderne Gefühl und den Geschmack
des Volkes und des 19. Jahrhunderts
unbedingt für maßgebend erklären. Wie-
weit darf die Natur sich geltend machen
in der religiösen Kunst, wieweit darf man
gehen in der Modernisirung religiöser
Bilder, wieweit darf die Individualität
des Künstlers frei schalten, wieweit ist auch
das künstlerische Genie an die Tradition
und ihre Typen gebunden? Das sind
die großen und schwierigen Fragen. Wer
hätte den Mnth, hier einfach die Parole
auszngeben: Freiheit über alles! alles ist
euer ! jemehr Natur, jemehr moderne Art,
desto besser!? Die Grenzlinien zwischen
Erlaubtem und Unerlaubtem in dieser Hin-
sicht scharf zu ziehen, ist überaus schwer;
es gab keinen andern Weg, das religiöse
Kunstgewissen wieder zu wecken, den Blick
für das was sich ziemt und nicht ziemt
zu schärfen, vor Ueberschreitungen der
Grenzlinien zu bewahren und die Inva-
sion des Modernen itnb Modernsten ab-
zuwehren, als daß man eben unsere reli-
giöse Knnst an die mittelalterliche wies unb
zu ihr in die Schule schickte, in welcher
Eines doch sicher zu lernen ist: Sinn
und Gefühl für christlichen und kirchlichen
, Charakter der Kunst.

Der Verfasser will freilich einen an-
, dern Weg itnb eine andere Schule in
Vorschlag bringen. Er sieht das Heil in
der Nachahmung der Nazarener, eines
j Overbeck, Cornelius, Führich, Steinle.
 
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