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1. Der bastionäre Festungsbau des 16. Jahrhunderts
und sein Weg nach Deutschland

»Es bedarf keines Zwingers und anderer Streichwehren
vor dem Wall im Graben. Zudem kann man die Flankie-
rungsbatterien nicht direkt beschießen oder erstürmen,
und weil dort ohnehin die meisten Geschütze stehen,
braucht man auch weniger Bedienungsmannschaft.«

Lazarus von Schwendi zu den Vorzügen bastionärer Festungen (1554)'

1.1. Die Entwicklung in Italien (1440-1560)

1.1.1. Das neue Problem: die Entwicklung der Artillerie

Die ersten Nachweise für Feuerwaffen in Europa liegen
im 14. Jahrhundert2, und sie betrafen gerade zu Anfang
und für lange Zeit ausschließlich die Verwendung in Bela-
gerungen, nicht in der offenen Feldschlacht. Die Fähig-
keit der Kanonen, schwere Kugeln mit unvorstellbarer
Kraft und erstaunlicher Zielgenauigkeit über weite Ent-
fernungen zu schleudern, schuf eine Möglichkeit, die es
bis dahin gar nicht oder nur in geringem Maße gegeben
hatte: die Möglichkeit nämlich, Befestigungsanlagen aus
Mauerwerk zu zerstören.

Das politische Gleichgewicht des hohen und späten
Mittelalters hatte in hohem Maße auf der Vielzahl von
Befestigungen beruht, die nur mit besonderem Aufwand
zu belagern, einzunehmen und schließlich zu zerstören
waren. Derart enorme Anstrengungen blieben notwendi-
gerweise selten, und daher versuchte im Mittelalter jeder,
der es sich irgend leisten konnte, Befestigungen anzule-
gen, und zwar möglichst aus dem teuren, aber schwer zer-
störbaren Mauerwerk. Die Sitze des Adels, die Städte und
die Klöster waren befestigt, und dies waren nur die meist-
verbreiteten Formen, hinter denen besonders etablierte
politische und vor allem wirtschaftliche Positionen stan-
den. Es gab im Spätmittelalter noch weit mehr Arten der
Befestigung: Ganze Landschaften waren durch »Land-
wehren« gesichert, Kirchen und Kirchhöfe. Dörfer,
Brücken und Mühlen besaßen Umwehrungen - oftmals
aus Geldmangel nur in leichter Art, aus Holz und Erde,
aber durchaus geeignet, eines der damals üblichen, nicht
allzu großen und noch nicht mit Feuerwaffen ausgestatte-
ten Heere eine Zeit lang aufzuhalten, oder ihm zumindest
den weniger mühsamen Angriff auf ein unbefestigtes
Objekt nahezulegen. Die Fülle der Befestigungen war
also ein gewohntes und vielfach erprobtes Mittel. Krieg
zwar nicht zu verhindern, aber ihn doch zu einer höchst

mühsamen Sache zu machen - andererseits zementierte
sie in vielen Regionen Europas auch die Zersplitterung
von Macht und Besitz, die die Weiterentwicklung vor
allem des wirtschaftlichen Systems, insbesondere des
Handels, stark behinderte.

Erst die Entwicklung der Feuerwaffen und der Artille-
rie schuf den Mächtigen der Epoche nach langer Zeit wie-
der die Möglichkeit, Bewegung in diese Situation zu brin-
gen. Allein sie, im Wesentlichen die Fürsten und einige
der mächtigsten Städte, konnten die enormen Mittel auf-
bringen, eine moderne Artillerie aufzubauen und zu
unterhalten3. Es ging dabei ja nicht nur darum, Geschütze
und Munition selbst zu produzieren oder zu kaufen, was
allein schon erhebliche Mittel erforderte. Es ging um viel
mehr: Es mußte die Möglichkeit geschaffen werden, die
Geschütze dauerhaft in gutem Zustand zu halten, sie im
Kriegsfalle an den Ort der Belagerung zu transportieren,
um sie dort schließlich über einen notfalls längeren Zeit-
raum effektiv einzusetzen. Man benötigte also eine aus-
gebildete Mannschaft, ein gut ausgestattetes Zeughaus
(Abb. 1), einen auf spezielle Aufgaben eingerichteten
Troß, und all dies nicht für einige Wochen oder Monate
eines Feldzuges, sondern eben dauerhaft. »Artillerie«
bedeutete von Anfang an nicht nur eine Ansammlung von
»Maschinen«, es bedeutete mehr, und etwas für das
15./16. Jahrhundert noch Ungewöhnliches: die Schaffung
einer Institution. Bedenkt man, daß es erst im Frankreich
Ludwigs XIV. ein »stehendes«, d.h. jederzeit unterhalte-
nes Heer gab, das anderswo kostenhalber noch lange
keine Nachfolge fand4, so zeigt dies, daß die Entstehung
der Artillerie im 15./16. Jahrhundert ein geradezu revolu-
tionärer Akt war: in gewisser Weise die Geburt des
Militärs im modernen Sinne.

Es dauerte daher einige Jahrzehnte, bis in verschiede-
nen Territorien Europas eine effektive Artillerie aufge-

1 Zit. nach W.-D. Mohrmann, Der »welsche pawmaister« Chiara-
mella in Wolfenbüttel, in: Braunschweigisches Jahrbuch, 57,1976,
S. 7-22, S. 18 (Übertragung in heutiges Deutsch:Th. Biller).

2 Max Jahns, Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen, mit
einem Anhange über die Feuerwaffen, Berlin 1899; Bernhard
Rathgen, Das Geschütz im Mittelalter, Berlin 1928; Dudley
Pope, Feuerwaffen - Entwicklung und Geschichte, Wiesbaden
1971; Erich Egg u.a., Kanonen - Illustrierte Geschichte der
Artillerie, Lausanne 1971.

3 Volker Schmidtchen, Bombarden. Befestigungen, Büchsenmei-
ster - Von den ersten Mauerbrechern des Spätmittelalters zur
Belagerungsartillerie der Renaissance, Düsseldorf 1977.

J Deutsche Militärgeschichte, hrsg. vom Militärgeschichtl. For-
schungsamt, Bd. 1, München 1983.
 
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