Der dicke Bildschnitzer.
7,9
der Dicke aus dem Gefängniß gebracht worden war, was
sie ihm unterwegs gesagt hatten, und so fort. Und wie sie
sich beim vollen Becher Weines dergestalt belustigten, sagte
er zu ihnen: Seht zu, daß während ihr mit ihm zu Abend
eßt, ihr ihm entweder im Weine oder auf andere Art dich
unversehens beibringcn könnt. Es ist ein Opiumpulver, auf
das er so fest einschlafen muß, daß er es nicht fühlen würde,
prügeltet ihr ihn Stundenlang. Gegen fünf Uhr frage ich wie-
der nach, und wir besorgen dann das Uebrige.
Die Brüder gingen in das untere Zimmer zum Dicken
zurück, aßen mit ihm zu Nacht, als schon drei Uhr vorüber
war, und brachten ihm so geschickt den Schlaftrunk bei, daß
der bald vom Schlafe überwältigte Dicke die Augen unwill-
kührlich schloß. Die Beiden sagten zu ihm: „Matte o, du
scheinst ja vor Müdigkeit Umfallen zu wollen? Nun, du hast
vorige Nacht wohl wenig schlafen können. Sie schwiegen und
erwarteten, was er sagen werde, woraus der Dicke sprach:
Ich gestehe euck, daß ich in meinem Leben noch nicht so schlaf-
trunken gewesen bin; es könnte nicht ärger sein, hätte ich einen
Monat lang kein Bett gesehen. Wie er sich zu entkleiven an-
fing, ivar er kaum im Stande, Schuh und Strümpfe auszuzie-
hen, und sich niedcrzulegen, denn er fiel alsbald in tiefen
Schlaf, und schnarchte wie ein Rah.
Zur verabredeten Stunde kam Filippo di Ser Bru-
ne ll es co mit sechs seiner Gefährten zurück, und ging mit
ihnen und M a t t e o 's Brüdern in das Zimmer, worin der Dicke
lag. Wie sie ihn im festen Schlafe hörten und sahen, nah-
men sie ihn auf, luden ihn mit sammt seinen Kleidern in einen
Korb, und trugen ihn in sei» immer noch ganz leer ste-
hendes Haus, worin zufälliger Weise seine Mutter noch nicht
vom Lande zurückgekehrt war. Sie trugen ihn bis zu seinem
Bette, legten ihn da hinein, und seine Kleider, wohin er sie
gewöhnlich that, wann er schlafen ging, ihn selbst aber kehr-
ten sie mit dem Kopfe dahin, wo er sonst mit den Füßen
lag. So wie dies geschehen war, nahmen sie den an der
Wand an einem Hacken hängenden Schlüsielbund, begaben
sich nach der Werkstätte, schloffen die Thüre auf und traten
ein, nahmen alles Handwcrksgeräth einzeln vom rechten Ort
und warfen es an einen anderen. Die Hobeleisen riffen sie
entweder vom Hobel ab, oder drehten den Rücken nach unten,
die Schneide nach oben hin; die Hämmer machten sic von den
Griffen los und schleuderten das Eisen in eine Ecke, das Holz
in die andere; dasselbe geschah mit den Beilen, und auf
diese Art kebrten sie im ganzen Laden daö Unterste zu Oberst
um, so daß der Teufel darin gehaust zu haben schien. Sie
schlossen darauf die Thüre ordentlich wieder zu, trugen die
Schlüffcl in die Stube des Dicken zurück, machten auch die
Thüre des HauseS zu, und gingen ein Jeder heim, um aus-
zuschlafen. Betäubt von dem Opium schlief der Dicke die
ganze Nacht, ohne sich zu rühren. DeS anderen Morgens, um
die Zeit des Avemaria in Santa Maria del Fiore,
hörte die Wirkung des Trankes auf, pnd er erwachte, als es
schon heller Tag ivar, über das Anschlägen der Glocke. Er
öffnete die Augen, warf einen dämmernden Blick über die
Stube, erkannte, vaß er in seinem eigenen Hause war, ries
sich alle ihm kürzlich widerfahrenen Dinge ins Gedächtniß
zurück unv verfiel in daö höchste Erstaunen. Er erinnerte
sich, wo er sich am vergangenen Abende niedergelegt hatte und
wo er sich damals befand, und mit einem Male war er von
Zweifeln bestürmt. Hatte er jenes geträumt, oder träumte er
jetzt? Bald schien ihm das eine wahr zu sein, bald das an-
dere. Nach einem herzlichen Stoßseufzer sagte er: Gott helfe
mir! sprang aus dem Bette, kleivete sich in der Geschwindigkeit
an, raffte die Schlüssel zur Werkstatt auf und rannte dahin.
Wie er aufgeschloffen hat, sieht er mit vor Erstaunen offenem
Munde die überall herrschende Unordnung. Kein Geräth an
rechter Stelle, Alles halb zerbrochen oder verschoben umher ge-
streut. Und während er instinttmäßig anfängt, es wieder zu-
sammenzulesen und an Ort und Stelle zu thun, kommen die
beiden Brüder des Matteo hinzu, und sagen, als sie ihn
so beschäftigt sehen, indem sie sich stellten, als kennten sie ihn
nicht: Guten Tag, Meister. Der Dicke wendete sich nach ih-
nen um, veränderte ein wenig die Farbe, als er sie erkannte
und sprach: Guten Tag und gutes Jahr; was sucht ihr bei
mir? Der eine antwortete: Ich will es dir sagen. Wir ha-
ben einen Bruder, der Matteo heißt, und dem cs vor einigen
Tagen geschah, daß er aus Betrübniß über eine kleine Verhaft-
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der Dicke aus dem Gefängniß gebracht worden war, was
sie ihm unterwegs gesagt hatten, und so fort. Und wie sie
sich beim vollen Becher Weines dergestalt belustigten, sagte
er zu ihnen: Seht zu, daß während ihr mit ihm zu Abend
eßt, ihr ihm entweder im Weine oder auf andere Art dich
unversehens beibringcn könnt. Es ist ein Opiumpulver, auf
das er so fest einschlafen muß, daß er es nicht fühlen würde,
prügeltet ihr ihn Stundenlang. Gegen fünf Uhr frage ich wie-
der nach, und wir besorgen dann das Uebrige.
Die Brüder gingen in das untere Zimmer zum Dicken
zurück, aßen mit ihm zu Nacht, als schon drei Uhr vorüber
war, und brachten ihm so geschickt den Schlaftrunk bei, daß
der bald vom Schlafe überwältigte Dicke die Augen unwill-
kührlich schloß. Die Beiden sagten zu ihm: „Matte o, du
scheinst ja vor Müdigkeit Umfallen zu wollen? Nun, du hast
vorige Nacht wohl wenig schlafen können. Sie schwiegen und
erwarteten, was er sagen werde, woraus der Dicke sprach:
Ich gestehe euck, daß ich in meinem Leben noch nicht so schlaf-
trunken gewesen bin; es könnte nicht ärger sein, hätte ich einen
Monat lang kein Bett gesehen. Wie er sich zu entkleiven an-
fing, ivar er kaum im Stande, Schuh und Strümpfe auszuzie-
hen, und sich niedcrzulegen, denn er fiel alsbald in tiefen
Schlaf, und schnarchte wie ein Rah.
Zur verabredeten Stunde kam Filippo di Ser Bru-
ne ll es co mit sechs seiner Gefährten zurück, und ging mit
ihnen und M a t t e o 's Brüdern in das Zimmer, worin der Dicke
lag. Wie sie ihn im festen Schlafe hörten und sahen, nah-
men sie ihn auf, luden ihn mit sammt seinen Kleidern in einen
Korb, und trugen ihn in sei» immer noch ganz leer ste-
hendes Haus, worin zufälliger Weise seine Mutter noch nicht
vom Lande zurückgekehrt war. Sie trugen ihn bis zu seinem
Bette, legten ihn da hinein, und seine Kleider, wohin er sie
gewöhnlich that, wann er schlafen ging, ihn selbst aber kehr-
ten sie mit dem Kopfe dahin, wo er sonst mit den Füßen
lag. So wie dies geschehen war, nahmen sie den an der
Wand an einem Hacken hängenden Schlüsielbund, begaben
sich nach der Werkstätte, schloffen die Thüre auf und traten
ein, nahmen alles Handwcrksgeräth einzeln vom rechten Ort
und warfen es an einen anderen. Die Hobeleisen riffen sie
entweder vom Hobel ab, oder drehten den Rücken nach unten,
die Schneide nach oben hin; die Hämmer machten sic von den
Griffen los und schleuderten das Eisen in eine Ecke, das Holz
in die andere; dasselbe geschah mit den Beilen, und auf
diese Art kebrten sie im ganzen Laden daö Unterste zu Oberst
um, so daß der Teufel darin gehaust zu haben schien. Sie
schlossen darauf die Thüre ordentlich wieder zu, trugen die
Schlüffcl in die Stube des Dicken zurück, machten auch die
Thüre des HauseS zu, und gingen ein Jeder heim, um aus-
zuschlafen. Betäubt von dem Opium schlief der Dicke die
ganze Nacht, ohne sich zu rühren. DeS anderen Morgens, um
die Zeit des Avemaria in Santa Maria del Fiore,
hörte die Wirkung des Trankes auf, pnd er erwachte, als es
schon heller Tag ivar, über das Anschlägen der Glocke. Er
öffnete die Augen, warf einen dämmernden Blick über die
Stube, erkannte, vaß er in seinem eigenen Hause war, ries
sich alle ihm kürzlich widerfahrenen Dinge ins Gedächtniß
zurück unv verfiel in daö höchste Erstaunen. Er erinnerte
sich, wo er sich am vergangenen Abende niedergelegt hatte und
wo er sich damals befand, und mit einem Male war er von
Zweifeln bestürmt. Hatte er jenes geträumt, oder träumte er
jetzt? Bald schien ihm das eine wahr zu sein, bald das an-
dere. Nach einem herzlichen Stoßseufzer sagte er: Gott helfe
mir! sprang aus dem Bette, kleivete sich in der Geschwindigkeit
an, raffte die Schlüssel zur Werkstatt auf und rannte dahin.
Wie er aufgeschloffen hat, sieht er mit vor Erstaunen offenem
Munde die überall herrschende Unordnung. Kein Geräth an
rechter Stelle, Alles halb zerbrochen oder verschoben umher ge-
streut. Und während er instinttmäßig anfängt, es wieder zu-
sammenzulesen und an Ort und Stelle zu thun, kommen die
beiden Brüder des Matteo hinzu, und sagen, als sie ihn
so beschäftigt sehen, indem sie sich stellten, als kennten sie ihn
nicht: Guten Tag, Meister. Der Dicke wendete sich nach ih-
nen um, veränderte ein wenig die Farbe, als er sie erkannte
und sprach: Guten Tag und gutes Jahr; was sucht ihr bei
mir? Der eine antwortete: Ich will es dir sagen. Wir ha-
ben einen Bruder, der Matteo heißt, und dem cs vor einigen
Tagen geschah, daß er aus Betrübniß über eine kleine Verhaft-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der dicke Bildschnitzer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr. 8, S. 59
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg