124 Die magischen Küsse.
Treppe auf Treppe ab durch die weiten öden Gänge und
Hallen des Klosters unermüdlich fort und fort. Es mochte
wohl Mitternacht sein, da bemerkte er auf einmal, daß er
nach kurzer Frist sich immer wieder in dem Gange vor Ma-
riens Kamnierthüre fand. In wen bist du denn verliebt?
fragte er sich innerlich. Nun natürlich in Marie, ant-
wortete es in ihm. Hat sie dich aber auch wieder lieb?
fragte es weiter. Ihn überlief's heiß und kalt bei dem Ge-
danken, daß dieses nicht der Fall sein könnte. Obgleich ihm
Marie nie ein böses Wort gegeben hatte, sondern vielmehr
that, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte, war
sie darum verliebt in ihn? war sie seinetwegen in einer ähn-
lichen Stimmung, wie er jetzt? ach nein, sie lag gewiß ruhig
und schlief, und ttäumte von ihrer Katze, oder von dem Essen,
das Martin mitgebracht hätte. Franz gericth bei diesem
Gedanken in eine Wuth, daß er hätte Alles entzwei schlagen
mögen; schon wollte er Hinausstürzen aus dem Hause in den
Park, wo er am dunkelsten wäre, oder lieber gleich in den
Fischteich hinein, denn wie sollte er leben, wenn Marie ihn
nicht wieder lieb hatte? — Voll Ingrimm warf er noch einen
Blick auf die Thüre des Mädchens, welche gerade in diesem
Augenblicke durch den hinter einem Mauervorsprung hervor-
ttetenden Mond auf das hellste beschienen wurde, da erkannte
er plötzlich, daß Mariens Träume sich, ähnlich dem Bilde
einer Laterna magika, in einem Lichtkreise aus jener Thüre
darstellten. Das mußte die Gabe sein, welche ihm Herr
Florian verliehen, als er ihn sterbend auf die Augen küßte.
Und was zeigten jene Bilder? —Nur von ihm träumte Marie;
bald herzte sie ihn, bald küßte sie ihn, bald saß sie als
Hausfrau neben ihn! Franz konnte sich nicht satt sehen an
den Bildern, aber der Mond ttat wieder hinter eine Mauer-
zinne und Alles war verschwunden. Allein das betrübte ihn
nicht, jetzt mußte er hinaus ins Freie und laut jubelnd lief
er im Mondscheine Bergauf Bergab, durch Wald und Thal,
bis ihn die ausgehende Sonne und der Hunger nach dem
Frühstücke nach Hause trieben. In der Mitte des wohl schon
seit mehr als einern Jahrhundert dach- und fensterlosen Re-
fektoriums , hatte in dem von Schutt erhöhten Boden ein
prächtiger Lindenbaum Wurzel gefaßt, und paffend für das
Leben der jetzigen Bewohner mit seiner breiten Krone eine
neue Decke über dem Saale gebildet. Schon bei Florians
Lebzeiten war es im Sommer Gebrauch gewesen, unter diesem
Baume das Frühstück, Mittag- und Abendmahl einzunehmen.
Die Ungeduld hatte Franz heute wohl eine Stunde zu früh
hiehergeführt. Trotz seiner fieberhaften Aufregung still wie
eine Bildsäule saß er da, und blickte unverwandt auf die hohe
gothische Eingangsthüre, deren reiches Laubwerk und mu-
sizirende Engelsköpfe im rothen Morgcnlichte glänzten.
(Schluß in nächster Nummer).
Ballade.
Mel. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind rc.
Mit seinen wilden Knappen zwo,
Reitet der finstere Ritter Hugo.
Er reitet dahin in heftigem Zoren,
Und stachelt die Mähr' mit spitzigen Sporen.
In heftigem Zoren dahin er reit'.
Weil ihn bettogen die schändliche Maid,
Die ihre Ehre gar sehr verloren,
Drum reit' er hin in heftigen! Zoren.
Mit seinem langen großmächtigen Speer
Ersticht er der Maid ihren Liebhaber,
.Ersticht er die Maid, die ihre Ehr' verloren,
Ersticht er sich selbst in hefttgem Zoren.
Treppe auf Treppe ab durch die weiten öden Gänge und
Hallen des Klosters unermüdlich fort und fort. Es mochte
wohl Mitternacht sein, da bemerkte er auf einmal, daß er
nach kurzer Frist sich immer wieder in dem Gange vor Ma-
riens Kamnierthüre fand. In wen bist du denn verliebt?
fragte er sich innerlich. Nun natürlich in Marie, ant-
wortete es in ihm. Hat sie dich aber auch wieder lieb?
fragte es weiter. Ihn überlief's heiß und kalt bei dem Ge-
danken, daß dieses nicht der Fall sein könnte. Obgleich ihm
Marie nie ein böses Wort gegeben hatte, sondern vielmehr
that, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte, war
sie darum verliebt in ihn? war sie seinetwegen in einer ähn-
lichen Stimmung, wie er jetzt? ach nein, sie lag gewiß ruhig
und schlief, und ttäumte von ihrer Katze, oder von dem Essen,
das Martin mitgebracht hätte. Franz gericth bei diesem
Gedanken in eine Wuth, daß er hätte Alles entzwei schlagen
mögen; schon wollte er Hinausstürzen aus dem Hause in den
Park, wo er am dunkelsten wäre, oder lieber gleich in den
Fischteich hinein, denn wie sollte er leben, wenn Marie ihn
nicht wieder lieb hatte? — Voll Ingrimm warf er noch einen
Blick auf die Thüre des Mädchens, welche gerade in diesem
Augenblicke durch den hinter einem Mauervorsprung hervor-
ttetenden Mond auf das hellste beschienen wurde, da erkannte
er plötzlich, daß Mariens Träume sich, ähnlich dem Bilde
einer Laterna magika, in einem Lichtkreise aus jener Thüre
darstellten. Das mußte die Gabe sein, welche ihm Herr
Florian verliehen, als er ihn sterbend auf die Augen küßte.
Und was zeigten jene Bilder? —Nur von ihm träumte Marie;
bald herzte sie ihn, bald küßte sie ihn, bald saß sie als
Hausfrau neben ihn! Franz konnte sich nicht satt sehen an
den Bildern, aber der Mond ttat wieder hinter eine Mauer-
zinne und Alles war verschwunden. Allein das betrübte ihn
nicht, jetzt mußte er hinaus ins Freie und laut jubelnd lief
er im Mondscheine Bergauf Bergab, durch Wald und Thal,
bis ihn die ausgehende Sonne und der Hunger nach dem
Frühstücke nach Hause trieben. In der Mitte des wohl schon
seit mehr als einern Jahrhundert dach- und fensterlosen Re-
fektoriums , hatte in dem von Schutt erhöhten Boden ein
prächtiger Lindenbaum Wurzel gefaßt, und paffend für das
Leben der jetzigen Bewohner mit seiner breiten Krone eine
neue Decke über dem Saale gebildet. Schon bei Florians
Lebzeiten war es im Sommer Gebrauch gewesen, unter diesem
Baume das Frühstück, Mittag- und Abendmahl einzunehmen.
Die Ungeduld hatte Franz heute wohl eine Stunde zu früh
hiehergeführt. Trotz seiner fieberhaften Aufregung still wie
eine Bildsäule saß er da, und blickte unverwandt auf die hohe
gothische Eingangsthüre, deren reiches Laubwerk und mu-
sizirende Engelsköpfe im rothen Morgcnlichte glänzten.
(Schluß in nächster Nummer).
Ballade.
Mel. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind rc.
Mit seinen wilden Knappen zwo,
Reitet der finstere Ritter Hugo.
Er reitet dahin in heftigem Zoren,
Und stachelt die Mähr' mit spitzigen Sporen.
In heftigem Zoren dahin er reit'.
Weil ihn bettogen die schändliche Maid,
Die ihre Ehre gar sehr verloren,
Drum reit' er hin in heftigen! Zoren.
Mit seinem langen großmächtigen Speer
Ersticht er der Maid ihren Liebhaber,
.Ersticht er die Maid, die ihre Ehr' verloren,
Ersticht er sich selbst in hefttgem Zoren.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ballade"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.16, S.124
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg