Langeweile.
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Warum bist du so lustig, Kerl, schrie er ingrimmig, das
ist noch das langweiligste in diesem langweiligen Leben, daß
während man sich für sein vieles Geld wie ei» Mops ennüyirt,
man so viel lustiges Lumpenpack uni sich herumsehen muß.
Aber nicht wahr, du bist blos lustig, weil du endlich deinen
Zweck erreicht, und auf dem verdammten, harten, wackelichten
Bedientensitz dort oben, im Chausseestaub und Hitze, kennen
gelernt hast, was lange Weile heißt?
Nein, Herr, sagte Junior, und legte, scheinbar plötzlich
traurig werdend, Messer und Gabel nieder; es ist doch etwas
Langweiliges, wenn man, so wie ich beim Reisen eine Absicht
hat. Ihr würdet Euch gewiß auch nicht so sehr langweilen,
wenn Ihr nicht die Absicht hättet, Euch zu amüstren. Jetzt
ist's vorbei mit dem Spaß bei mir, denn die lange Weile
habe ich noch immer nicht kennen gelernt, weder auf dem Kutsch-
bock, noch hier bei der Pastete. Aber Herr, wenn auch nicht
für die lange Weile und auch nicht sür's Plaisir, so doch um
den Hunger zu stillen, erlaubt Ihr wohl, daß ich die Klcinig-
Lord N o t h i n g n i x war nun in der That ein lang-
weiliger Reisegesellschafter, da aber Junior beharrlich sein
Schlafen fortsetzte, war das nur alle halbe Stunden von einem
I ä h s ! unterbrochene Schweigen seines Herrn durchaus nach
seinem Wunsche. Ncberhaupt konnte es gar keine bester zusam-
menpassendere Gesellschaft geben, als die Beiden waren, denn
der Lord that Alles, was Junior wollte, in der Hoffnung,
es würde ihn unterhalten, und dieser ahmte alle Handlungen
seines Herrn nach, weil er wünschte, es möge ihn 'langweilen.
Jetzt kamen sie am Ende eines Waldes über einen freien
Platz; da hielten die Bewohner des nächsten Dorfes einen
Tanz, weil 'gestern glücklich und reichlich die Ernte beendet
war. Augenblicklich erwachte Junior vom Schalle der Mu-
sik, befahl dein Kutscher zu halten, und hinein unter die Leute'!
— — Das war eine Lust nach dem langen Sitzen und Schla-
fen ; erst ein frischer Trunk guten kühlen Weines und dann
das hübscheste Mädel im Arm, und herum ging's im Kreise,
daß die kurzen Röcke und langen Zöpfe flogen.
Wie gerne tanzten die Mädchen mit dem schmucken roth-
backigen Junior, der prächtig aussah in seinem goldbetreßten
Rothrocke, und die Bursche wurden doch auch nicht neidisch,
und tranken gerne mit ihm, denn er war zu lustig, daß man
gar nicht aus dem Lachen herauskam, und Geld kriegten der Wirth
und die Spielleute mehr als sie begehrten. Eine Weile ver-
suchte der dicke Lord auch es so zu treiben, aber schon nach
einigen Minuten standen ihm die dicken Schweißtropfen vor
der Stirne, denn er hatte unglücklicherweise ein eben so muth-
williges als handfestes Mädchen zur Tänzerin erwählt, die ihn,
als er nach einer Tour austreten wollte, festhielt, und unter
schallendem Gelächter aller Anwesenden den dicken Herrn mit
sich herum drehte, bis sie selbst vor Lachen kaum mehr schnau-
ben konnte. Todtmatt warf sich Lord Nothingnix unter
einen Baum auf das Gras nieder, und als Junior ihm
ein Glas Wein reichte und fragte: Herr, heißt das nicht ge-
keit zu mir nehme, setzte er lachend hinzu.
Bursche, schrie der Lord, kirschbraun vor Wuth im Ge-
sichte, du wagst es, dich in meinem Dienste nicht zu langwei-
len und verlangst dann noch, daß ich dich ausgefrestenen Schlin-
gel mit Rebhühner-Pasteten mästen soll! und damit begann er
Juniors Rücken auf das Nachdrücklichste mit seinem spani-
schen Rohre zu bearbeiten.
Hoho, meint Ihr so! rief Junior, nun das ist auch
lustig zu seiner Zeit, und macht besonders Appetit, wenn man's
kurz vor Tische treibt. Im Nu hatte er den dicken Lord ge-
packt, zu Boden geworfen, und mit dem rasch entriffenen Stocke
einigemale sehr unsanft
berührt, als die andern
Bedienten endlich herbei-
kamen und — so mann-
haft Junior sich wehrte,
er wurde überwältigt,
und es wäre ihm gewiß
schlimm ergangen, wenn
nicht der noch am Boden
liegende Lord gerufen
hätte, sie sollten den I u-
n i o r in Frieden lassen und ihn wieder auf die Beine stellen.
Das sei ein braver Bursche, sagte er, so geschickt hätte
noch kein Boxer von Alt-England ihn zu Boden gestreckt, und
als Seine Lordschaft mit vieler Mühe wieder aufgerichtet war,
umarmte er den Junior, ließ ihm eine Flasche Burgunder
zu seiner Pastete reichen, und sagte, jetzt solle er nicht mehr
auf dem Bedientensitz, sondern ihm gegenüber im Innern des
Wagens Platz nehmen, da hoffte er, würde er sich doch auch
mit der Zeit langweilen.
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Warum bist du so lustig, Kerl, schrie er ingrimmig, das
ist noch das langweiligste in diesem langweiligen Leben, daß
während man sich für sein vieles Geld wie ei» Mops ennüyirt,
man so viel lustiges Lumpenpack uni sich herumsehen muß.
Aber nicht wahr, du bist blos lustig, weil du endlich deinen
Zweck erreicht, und auf dem verdammten, harten, wackelichten
Bedientensitz dort oben, im Chausseestaub und Hitze, kennen
gelernt hast, was lange Weile heißt?
Nein, Herr, sagte Junior, und legte, scheinbar plötzlich
traurig werdend, Messer und Gabel nieder; es ist doch etwas
Langweiliges, wenn man, so wie ich beim Reisen eine Absicht
hat. Ihr würdet Euch gewiß auch nicht so sehr langweilen,
wenn Ihr nicht die Absicht hättet, Euch zu amüstren. Jetzt
ist's vorbei mit dem Spaß bei mir, denn die lange Weile
habe ich noch immer nicht kennen gelernt, weder auf dem Kutsch-
bock, noch hier bei der Pastete. Aber Herr, wenn auch nicht
für die lange Weile und auch nicht sür's Plaisir, so doch um
den Hunger zu stillen, erlaubt Ihr wohl, daß ich die Klcinig-
Lord N o t h i n g n i x war nun in der That ein lang-
weiliger Reisegesellschafter, da aber Junior beharrlich sein
Schlafen fortsetzte, war das nur alle halbe Stunden von einem
I ä h s ! unterbrochene Schweigen seines Herrn durchaus nach
seinem Wunsche. Ncberhaupt konnte es gar keine bester zusam-
menpassendere Gesellschaft geben, als die Beiden waren, denn
der Lord that Alles, was Junior wollte, in der Hoffnung,
es würde ihn unterhalten, und dieser ahmte alle Handlungen
seines Herrn nach, weil er wünschte, es möge ihn 'langweilen.
Jetzt kamen sie am Ende eines Waldes über einen freien
Platz; da hielten die Bewohner des nächsten Dorfes einen
Tanz, weil 'gestern glücklich und reichlich die Ernte beendet
war. Augenblicklich erwachte Junior vom Schalle der Mu-
sik, befahl dein Kutscher zu halten, und hinein unter die Leute'!
— — Das war eine Lust nach dem langen Sitzen und Schla-
fen ; erst ein frischer Trunk guten kühlen Weines und dann
das hübscheste Mädel im Arm, und herum ging's im Kreise,
daß die kurzen Röcke und langen Zöpfe flogen.
Wie gerne tanzten die Mädchen mit dem schmucken roth-
backigen Junior, der prächtig aussah in seinem goldbetreßten
Rothrocke, und die Bursche wurden doch auch nicht neidisch,
und tranken gerne mit ihm, denn er war zu lustig, daß man
gar nicht aus dem Lachen herauskam, und Geld kriegten der Wirth
und die Spielleute mehr als sie begehrten. Eine Weile ver-
suchte der dicke Lord auch es so zu treiben, aber schon nach
einigen Minuten standen ihm die dicken Schweißtropfen vor
der Stirne, denn er hatte unglücklicherweise ein eben so muth-
williges als handfestes Mädchen zur Tänzerin erwählt, die ihn,
als er nach einer Tour austreten wollte, festhielt, und unter
schallendem Gelächter aller Anwesenden den dicken Herrn mit
sich herum drehte, bis sie selbst vor Lachen kaum mehr schnau-
ben konnte. Todtmatt warf sich Lord Nothingnix unter
einen Baum auf das Gras nieder, und als Junior ihm
ein Glas Wein reichte und fragte: Herr, heißt das nicht ge-
keit zu mir nehme, setzte er lachend hinzu.
Bursche, schrie der Lord, kirschbraun vor Wuth im Ge-
sichte, du wagst es, dich in meinem Dienste nicht zu langwei-
len und verlangst dann noch, daß ich dich ausgefrestenen Schlin-
gel mit Rebhühner-Pasteten mästen soll! und damit begann er
Juniors Rücken auf das Nachdrücklichste mit seinem spani-
schen Rohre zu bearbeiten.
Hoho, meint Ihr so! rief Junior, nun das ist auch
lustig zu seiner Zeit, und macht besonders Appetit, wenn man's
kurz vor Tische treibt. Im Nu hatte er den dicken Lord ge-
packt, zu Boden geworfen, und mit dem rasch entriffenen Stocke
einigemale sehr unsanft
berührt, als die andern
Bedienten endlich herbei-
kamen und — so mann-
haft Junior sich wehrte,
er wurde überwältigt,
und es wäre ihm gewiß
schlimm ergangen, wenn
nicht der noch am Boden
liegende Lord gerufen
hätte, sie sollten den I u-
n i o r in Frieden lassen und ihn wieder auf die Beine stellen.
Das sei ein braver Bursche, sagte er, so geschickt hätte
noch kein Boxer von Alt-England ihn zu Boden gestreckt, und
als Seine Lordschaft mit vieler Mühe wieder aufgerichtet war,
umarmte er den Junior, ließ ihm eine Flasche Burgunder
zu seiner Pastete reichen, und sagte, jetzt solle er nicht mehr
auf dem Bedientensitz, sondern ihm gegenüber im Innern des
Wagens Platz nehmen, da hoffte er, würde er sich doch auch
mit der Zeit langweilen.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die schöne Geschichte von dem Manne, welcher die Langeweile kennen lernen wollte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.23, S.180
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg